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Hier wird die KI trainiert

HINTERGRUND / IT-FORSCHUNG IN COTTBUS

Die BTU hat an zentraler Stelle ein KI-Lehrlabor eingerichtet. Dort werden Trainingsdaten für KI-Systeme erstellt. Neue Lausitz hat bei einem Ortstermin geschaut, wer dort noch alles trainiert.

von Christian Füller

  1. Januar 2024

Es sind nur ein paar Schritte vom Senatssaal der BTU Cottbus-Senftenberg bis zum KI-Lehrlabor. Das heißt, die BTU lässt an zentraler Stelle etwas erforschen, was in jüngster Zeit in Verruf gekommen ist: es werden Trainingsdaten für Systeme Künstlicher Intelligenz gewonnen. Genau in solchen Trainingsdaten aus einem der größten digitalen Bilderspeicher der Welt, dem so genannten Laion5B-Datensatz, wurden kurz vor Weihnachten Tausende Abbildungen von sexuellem Missbrauch gefunden. Das bedeutet, dass mit Laion trainierte KI-Bildgeneratoren auch auf der Grundlage von Kinderpornografie arbeiten.

Hat das Lehrlabor also einen Gruselfaktor? Ist es so etwas wie Dr. Frankensteins Werkstatt? Wie gefährlich ist das Trainingslabor für Künstliche Intelligenz, das unweit des höchsten Gremiums der BTU liegt?

Wahnsinnig riskant sehen die zwei Räume beim Besuch der Neuen Lausitz nicht aus. Es stehen ein paar Rechner herum, an den Wänden hängen Poster von wissenschaftlichen Konferenzen. Der Teppichboden ist sehr grau. In einer Ecke steht die - so sieht es aus – Bastelarbeit eines Teenagers, der aus Fischertechnik eine Fabrik erbaut hat. Und auch der Leiter des Labors, Toni Schneidereit, macht keinen angriffslustigen Eindruck – obwohl er privat ein begeisterter Kampfsportler ist. Aber genau hier, auf dem Tisch mit der Fischertechnik-Anlage und unter den Augen des schlacksigen Dr. Schneidereit, passiert das, worüber seit dem Aufkommen von ChatGPT die ganze Programmier- und Unternehmer-Elite des Planeten diskutiert: wie kreiert man ethische Trainingsdaten für Systeme Künstlicher Intelligenz?

Geheimnis der neuronalen Netzwerke erforschen

Wenn man so will, schlägt im Lehrlabor von Toni Schneidereit und seinen Professoren Douglas W. Cunningham und Michael Breuß das Herz des Zentrums für Künstliche Intelligenz (Opens in a new window) in der Lausitz, das aus 30 Professoren, vier Studiengängen und engen Verknüpfungen zu KI-Forschungsgruppen besteht. In diesem Lehrlabor sollen Examenskandidaten und Doktorandinnen tief in die Kernelemente von Künstlicher Intelligenz eintauchen. Also in die geheimnisvollen Wechselwirkungen zwischen den Daten und dem neuronalen Netzwerk einer KI, vor denen sogar der sonst so furchtlose Elon Musk warnt. Gerät der an unendlich vielen Daten trainierte Algorithmus außer Kontrolle, könnte der Planet untergehen. Fürchtet der Tech-Milliardär.

Das Lehrlabor ist also, streng genommen, ein Forschunglabor. Dort geht’s der BTU grad nicht um Untergang, sondern um Aufbau. Schneidereit und zwei HiWis arbeiten brav daran, dass eine Künstliche Intelligenz lernt, die Farbe einzelner Produktionsstücke der Fischertechnik zu erkennen. Zu 100 Prozent kann die Maschine das nicht. Aber sie erkennt mit einer Wahrscheinlichkeit, die zwischen 92 und 98 Prozent liegt, ob das 1-Euro-große Werkstück rot, blau oder weiß ist.

Fahrbare und fliegende Drohnen

In einem Metallschrank stehen fahrbare Drohnen, auch fliegende, die man durch Gesten steuert und ein paar andere roboterähnliche Geschöpfe. Sie sind das Werkzeug für die Studierenden der vor etwas über einem Jahr gestarteten KI-Studiengänge. So still, wie es an diesem Freitag gegen 13 Uhr im Atelier des geborenen Cottbussers Schneidereit ist, wird es bald nicht mehr sein. Der Leiter der Einrichtung wartet auf die ersten Examenskandidaten, die hier ihre Masterarbeiten erzeugen. Es wird eine Lawine werden. Der englischsprachige KI-Master-Studiengang war aus dem Stand das zweitgrößte Studienprogramm der gesamten BTU.

Aber muss die künstliche Intelligenz so viel dafür üben, was das bloße Auge eines Menschen sofort erkennt? Dass das kleine Plastikwerkstück zum Beispiel rot ist? Die KI schaut mit ihrem Kameraauge nur ein einziges Mal hin - den Rest berechnet der Algorithmus. Das heißt: er muss vorher viel lernen. Um zu erkennen, ob eine Maschine verschleißt. Wie ein Drohnenschwarm Felder zielsicher einschätzen kann. Welche Aufgabe ein Schüler von einem KI-gesteuerten Lernsystem als nächstes braucht.

Diesen Trainingsfetisch kann man vielleicht ganz gut an dem Kampfsport erklären, den Toni Schneidereit privat im Polizei-Sportverein Cottbus betreibt: Combat Arnis (Opens in a new window). Diese von den Philippinen stammende Kampfsportart, zeichnet sich dadurch aus, dass man mit einem Stock versucht, Treffer auf dem Harnisch (Arnis) des Gegners zu landen. Die guten Kämpfer seien so blitzschnell, dass die Kampfrichter oft nicht entscheiden könnten, ob ein Treffer vorgelegen hat, so erzählt es Schneidereit.

Den Algorithmus klug machen

Und der Besucher denkt sich: Mithilfe geeigneter Trainingsdaten könnte man wahrscheinlich ein neuronales Netzwerk so trainieren, dass es die Treffer bei Combat Arnis genauer vorhersagt als ein menschlicher Kampfrichter das jemals könnte. Dafür müsste die KI Tausende, am besten Millionen Kampfszenen als Basismaterial inhaliert haben. Dann ist der Algorithmus klug genug, aus dem Ablauf eines Kampfes und den Bewegungen der Kämpfer Muster zu erkennen - und mit großer Wahrscheinlichkeit Treffer zu bestimmen.

Das Lehrlabor unter der Führung von Toni Schneidereit wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Berlin bezahlt. Die Förderung reicht bis Ende 2025. Bis dahin sollte hier so vieles an Aktivitäten stattfinden, dass die Universität das Lehrlabor oder es sich vielleicht sogar selbst finanzieren kann. Man müsse sich unentbehrlich machen, sagt der Laborleiter. Das könnte dadurch geschehen, dass ein lokaler Unternehmer ein konkretes wirtschaftliches Projekt dort erforschen lässt - und mit Drittmitteln bezahlt. Oder, dass gegen Gebühren Fortbildungen für das Trainieren und den Einsatz künstlicher Intelligenz für Lausitzer Beschäftigte stattfinden. Dafür entsteht seit ChatGPT gewissermaßen im Stundentakt größerer Bedarf. Aber soweit ist es noch nicht. Das steht als Nächstes auf dem Programm. Man rechnet gegen Ende des Jahres damit.

Das KI-Lehrlabor liegt zwar im Mittelpunkt der Universität. Aber auf der Landkarte der Zentren für künstliche Intelligenz in Deutschland ist es trotzdem noch ein weißer Fleck. Dort werden insgesamt sechs KI-Campuses in der Bundesrepublik verortet. Aber jener Cottbusser Cluster, der mit Millionen gefördert wird, ist auf dieser Karte noch nicht verzeichnet. Das BMBF konnte auf Anfrage nicht erklären, warum das so ist. Vielleicht fehlen dort noch ein paar Trainingsdaten für eine Entscheidung? 


Topic Wissenschaft und Bildung