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NEUNERs #018

„Die Stärke eines Menschen kommt nicht von dem, was er verschlingt, sondern von dem, was er verdaut.“

Erasistratos (zitiert nach den Worten der Weisheit (Opens in a new window) von Albert Kitzler)

Ein kurzes Innehalten also, ein gemeinsames Betrachten eines Bildes des in Japan so verehrten und selbst durch fernöstliche Kunst inspirierten Paul Klee am Eingang der Ausstellung „Yoshihiro Suda – Garten Eden“ in der Münchner Pinakothek der Moderne (Opens in a new window), das der japanische Künstler Yoshihiro Suda seinem Blick auf japanische und europäische Kunst voranstellt.

Südlich von München, 1912 (Tusche).

Danach folgen zwei Räume mit Hokusai und Hiroshige, kleinen Installationen von Suda und „Seelenlandschaften“ der Klassischen Moderne.

Die Hortensien vom Steinplatz und die Verteidigung der Weimarer Republik gegen die Nazis

Vergangenes Wochenende bin ich durch Charlottenburg spaziert. Am Steinplatz fiel mir ein regelrechtes Meer an Wald-Hortensien auf.

Ich blieb vor dem Haus Steinplatz 3 (Opens in a new window) stehen. Rechts neben dem Eingang hängt eine Gedenktafel (Opens in a new window):

“In diesem Haus lebte bis zum März 1933, BERNHARD WEISS, 30.7.1880 – 29.7.1951, Jurist, Polizeivizepräsident in Berlin von 1927 bis 1932. Als Jude und Demokrat vom NS-Regime verfolgt, mußte er nach der Erstürmung seiner Wohnung durch die SA über Prag ins Londoner Exil fliehen. Kurz vor Wiedererlangung der ihm von den Nationalsozialisten aberkannten deutschen Staatsbürgerschaft starb Bernhard Weiß in London”.

Aus Wikipedia (Opens in a new window) erfahre ich, dass Weiß bereits stellvertretender Chef der Berliner Kriminalpolizei war, als er 1920 mit dem Aufbau der „Politischen Polizei“ beauftragt wurde. Als Organ des Staatsschutzes bekämpfte sie antidemokratische und -publikanische Kräfte von der radikalen Linken bis zur extreme Rechten. Er leitete die Mordermittlungen um Reichsaußenminister Walther Rathenau und ist später zum Berliner Polizeipräsidenten aufgestiegen. Regelmäßig wurde er als “Vertreter des Systems” mit jüdischer Herkunft Ziel von Diffamierungskampagnen der NSDAP und deren Gauleiter Goebbels (“Isodor”).

Besonders erwähnenswert ist ein Gutachten (Opens in a new window) von Weiß und anderen zur Verfassungstreue der NSDAP. Die Denkschrift mit dem Titel "Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei als staats- und republikfeindliche, hochverräterische Verbindung" sollte 1930 unter anderem durch Äußerungen von Hitler, Goebbels sowie weiterer Akteure belegen, dass die Partei darauf abziele, die verfassungsmäßige Staatsform zu untergraben und den Umbau der verfassungsmäßigen Zustände plane: “auf 97 Seiten rangen die preußischen Beamten um Antworten. Vieles, was Nationalsozialisten sagten, verlor sich in Andeutungen, Metaphern, Codes.” (Justus Bender, FAS (Opens in a new window), 23.03.2025). Nicht nur das erinnert an die heutige Situation und aktuelle Gutachten des Verfassungsschutzes.

Während der Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah im Zuge der jüngsten AfD-Mäßigungsmanöver laut taz (Opens in a new window) sagt: “Der Staat passt nicht zu dem, was unserer politischen Überzeugung entspricht, aber wir werden mit ihm auskommen müssen”, wird Göring zitiert: “Wir hassen diesen Staat, so sagten wir ohne Republikschutzgesetz, unter dem Republikschutzgesetz sagen wir: Wir lieben ihn - und jeder weiß doch, was wir meinen.”

Weiß wollte den Leipziger Oberreichsanwalt Werner 1930 zur Anklageerhebung veranlassen. Doch dazu kam es nicht. Das Gutachten tauchte erneut 1932 in den Akten des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun (an den Reichskanzler Brüning, 4. März 1932 (Opens in a new window)) auf: “Für mindestens ebenso gefährlich halte ich allerdings die nationalsozialistische Bewegung. Die in Preußen gemachten Beobachtungen und Feststellungen sind in der anliegenden, im Preußischen Ministerium des Innern bearbeiteten Denkschrift eingehend erörtert und beleuchtet”. Staatssekretär Planck notierte am 5. Juni 1932 handschriftlich: „Herr RK Brüning wünschte seinerzeit keine Antwort. Ein Teil der Anlagen wurde von mir auf sein Ersuchen vernichtet“. Zu diesem Zeitpunkt war von Papen schon als Reichskanzler installiert. Einen Monat später erhielt die geschäftsführende Regierung Preußens die Mitteilung, dass Papen kommissarisch auch ihre Regierungsgeschäfte leite. Mit dem sogenannten “Preußenschlag” und der Zentrierung der politischen Macht hatte es mit dem „Demokratischen Bollwerk“ und einem starken Föderalismus ein Ende.

Das Verbotsverfahren versandete demnach, weil - jenseits der bereits durchsetzten Institutionen - entscheidende Akteure und insbesondere Reichskanzler Brüning der Überzeugung waren, man müsse die NSDAP “nicht mit juristischen Repressionen stellen, sondern auf dem Feld der Politik schlagen” (Manuel Opitz, Geo (Opens in a new window), 13.05.2025). Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt ist nur einer unter vielen, der heute sagt: “Wer die AfD schwächen will, der muss sie politisch stellen”. Weil man aus der Geschichte gelernt hat?

Auch im letzten Jahrhundert wollte man aus der Geschichte, den sogenannten “Sozialistengesetzen” von 1878, lernen: “Unter Reichskanzler Bismarck waren Sozialdemokraten im Kaiserreich verfolgt worden und hatten daraufhin an Zustimmung gewonnen. Repression wurde also als Irrweg gesehen.” (FAS).

Wenige Tage nach meiner zufälligen Begegnung mit den Hortensien am Steinplatz erscheint im aktuellen Tagesspiegel (Opens in a new window) der Artikel “Der Mann, der Hitlers Aufstieg verhindern wollte: Was wir von Robert Kempner über das AfD-Verbot lernen können”. Der damalige Justiziar der Polizeiabteilung im preußischen Innenministerium und - wenn man so will - Mitstreiter von Weiß war noch in hohem Alter fest überzeugt: “Ein Parteiverbot hätte die Nationalsozialisten aufhalten und die Demokratie retten können.” (TS). “Mit dieser Haltung im Dezember 1930 wurde das Schicksal der Weimarer Republik besiegelt!”, schrieb Kempner laut FAS in seinem 1983 veröffentlichten Buch “Der verpasste Nazi-Stopp”.

Bernhard Weiss kommt in dem Artikel nicht vor. Aber 2005 veröffentlichte das Deutschlandradio ein Feature (Opens in a new window) über ihn: “eine deutsche Ausnahmegestalt: Preuße alter Schule, engagierter Demokrat und energischer Polizeifachmann, Patriot und selbstbewusster Jude, liberaler Jurist und Autor. Das Feature stellt Bernhard Weiß nicht nur als Kontrahenten von Joseph Goebbels vor, sondern lässt ihn selbst in Erscheinung treten.”

Es ist im Archiv nicht mehr abrufbar. Aber auf dieser Seite (Opens in a new window) kann man es vollständig hören, zum Beispiel an einem Sonntagnachmittag.

Heute nur eine Leseempfehlung:

https://www.kiwi-verlag.de/buch/thomas-hueetlin-berlin-24-juni-1922-9783462005424 (Opens in a new window)

Danke für´s Verweilen!

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