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tag eins: Einigung im Zollstreit, Razzia bei Antifa-Camp in Kärnten

Hallo!

Heute ist wieder tag eins. Du liest deinen täglichen Nachrichtenüberblick.

Laut meinem Handy war ich am vergangenen Samstag über 25.000 Schritte unterwegs, um die diesjährige Sommerdemonstration der rechtsextremen Identitären zu beobachten. Entlang ihrer Route kam es zu massiven Gegenprotesten mit Sitzblockaden – die von der Polizei geräumt wurden. Mehr dazu gleich im Newsletter.

Am Sonntag kam es dann auch noch zu einer polizeilichen Razzia auf dem Peršmanhof, einer Gedenkstätte für NS-Opfer. Eine Premiere, die unter anderem den Kärntner Landeshauptmann aufschreckte. Ein wildes Sommer-Wochenende.

Der Sonntag blieb spannend: Im Endspiel der Fußball-EM triumphieren die Engländerinnen im Elfmeterschießen gegen Spanien. Für das Team ist es der zweite EM-Titel in Serie.

DIE DREI THEMEN DES TAGES

1. Trump und von der Leyen verkünden Zoll-Einigung – Details sehr unklar

Im vergangenen Jahr haben die USA Waren im Gesamtwert von 3,36 Billionen Dollar aus anderen Ländern eingeführt, davon kamen Güter für 606 Milliarden Dollar aus der EU, beinahe ein Fünftel. Damit ist der Staatenbund als Block der wichtigste Handelspartner der Vereinigten Staaten (würde man die Länder einzeln betrachten, dann läge Mexiko vor Kanada, China und Deutschland). Weil die USA im gleichen Zeitraum Güter für nur 370 Milliarden Dollar in die EU ausgeführt haben, sieht Donald Trump ein Ungleichgewicht, das er lösen möchte.

Der US-Präsident scheint nicht zu verstehen, dass es sich lohnt, aus Ländern mit mehr Expertise oder höherer Qualität zu importieren, weil man damit plump gesagt mehr für sein Geld bekommt. Volkswirte nennen das seit 1817 „komparative Kostenvorteile“. Trump will die Unterschiede in den Handelsbilanzen abschaffen und redet deshalb schon seit Jahrzehnten davon, wie wichtig Zölle seien. Schon 1987 hat er in ganzseitigen Anzeigen in US-Tageszeitungen die damalige Reagan-Regierung aufgefordert, Zölle gegen Japan einzuführen, erinnert sich die Sunday Times (Opens in a new window).

Gestern haben sich EU-Vertreter:innen unter Führung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Trump und anderen Mitgliedern der US-Regierung getroffen. Am Abend stand eine vorläufige Übereinkunft mit drei besonders wichtigen Zahlen im Raum. Eine schriftliche Einigung wurde nicht präsentiert. Es ist unklar, wie belastbar die Ankündigungen in der Realität sind. Auf nahezu alle EU-Importe sollen demnach in den USA 15 Prozent Zoll erhoben werden. Ausnahmen soll es wohl bei Flugzeugen, Holz und Spirituosen geben, schreibt der Tagesspiegel (Opens in a new window) in einem Überblick.

Das heißt, dass ein Importeur zusätzlich zu dem Preis, den das ausländische Unternehmen für seine Lieferung verlangt, 15 Prozent dieses Preises als Zoll an den US-Staat abführen muss. Damit hat der Importeur drei Möglichkeiten, wenn er nicht vollständig die Bestellung streichen will: Er kann das ausländische Unternehmen zu niedrigeren Preisen zwingen; die 15 Prozent als Schmälerung des eigenen Gewinns schlucken; oder sie zumindest teilweise als höheren Preis an seine Kund:innen durchreichen. In den allermeisten Fällen passiert Letzteres. Dadurch dürften deutsche Autos, französische Weine und italienischer Käse künftig in den USA teurer werden, möglicherweise verändert dies das Kaufverhalten. Gestern war zunächst keine Rede davon, dass es Ausnahmen für Automobile und die Pharmaindustrie geben solle, in der es für Patient:innen oft schwieriger ist, auf Hersteller aus anderen Ländern auszuweichen.

Schon vor Trumps Amtszeit haben die USA auf manche Waren Zölle erhoben, sie lagen aber deutlich niedriger. Das RND (Opens in a new window) arbeitet heraus, dass die neuen 15 Prozent etwa drei Mal so hoch sind wie die durchschnittlich 4,8 Prozent, die bisher galten. In einem Kommentar (Opens in a new window) glaubt Sven Christian Schulz, dass die EU klar unter dem Abkommen leiden werde.

Außerdem verkündete Trump 600 Milliarden Dollar „Investments“ der EU in den USA und 750 Milliarden Dollar Käufe von Energie innerhalb der kommenden drei Jahre. Dazu fehlen ebenfalls Details. Beispielsweise ist unklar, ob diese Daten auch längst verkündete Rüstungskäufe umfassen. Es ist gut möglich, dass Trump die knalligen Zahlen vor allem zur PR in den USA verwenden möchte.

2. Identitären-Demo in Wien: Drei Stunden, statt gemütliche 15 Minuten

Es ist ein Bild, das sich in Österreich in den vergangenen Jahren zu einer bitteren Routine entwickelt hat: Rechtsextreme demonstrieren, FPÖ-Funktionäre marschieren mit – und die Polizei sorgt für freie Bahn. Am Samstag zeigte sich erneut, wie tief die Verflechtungen zwischen parlamentarischer Repräsentation und extrem rechten Milieus reichen.

Unter den knapp 300 bis 400 Teilnehmer:innen der Demonstration, zu der die Identitäre Bewegung aufgerufen hatte, befanden sich nicht nur einschlägig bekannte Neonazis, sondern auch Personen aus dem Kreis der FPÖ. Mindestens zwei parlamentarische Mitarbeiter liefen mit – einer davon in offizieller Funktion als Ordner. Daneben wurden auch weitere Funktionäre und Parteiangestellte der Freiheitlichen gesichtet.

Die Demonstration selbst fiel in diesem Jahr etwas größer aus als in den Vorjahren – ein Umstand, der vor allem der verstärkten Anreise neonazistischer Gruppen aus Wien und Oberösterreich geschuldet ist. Unter ihnen viele sehr junge Männer, die optisch an die Skinhead-Ästhetik der 1990er Jahre erinnern – und ebenso wie ihre ideologischen Vorbilder auf martialische Präsenz und Gewalt fixiert scheinen.

Die Veranstaltung zog auch zahlreiche internationale Rechtsextreme an: Aus Deutschland und der Schweiz reisten militante Gruppen an.

Ihre Demonstration wurde von Gegenprotesten begleitet: Zahlreiche antifaschistische Blockaden versuchten, den Aufmarsch zu verhindern. Ohne Eingreifen der Wiener Polizei – die mehrfach Blockaden räumte – wäre die rechtsextreme Demonstration wohl nur schwer vom Fleck gekommen. So brauchten sie für eine Strecke, die gemütlich in unter 15 Minuten bewältigt werden kann, gut drei Stunden.

Laut Polizei wurden mindestens 56 Personen bei den Gegenprotesten festgenommen, zusätzlich gab es Anzeigen wegen dem Versammlungsgesetz.


3. Polizeieinsatz bei Antifa-Camp am Peršmanhof

Ein massiver Polizeieinsatz bei einem antifaschistischen Sommercamp am historischen Peršmanhof in Kärnten sorgt aktuell für heftige Kritik. Rund 60 junge Erwachsene aus Österreich, Italien und Slowenien hatten sich dort zu Workshops und Vorträgen im Gedenken versammelt. Der Bauernhof Peršmanhof in Kärnten diente ab 1942 als Stützpunkt der antifaschistischen Partisan:innen. Am 25. April 1945 verübten Einheiten der SS dort ein Massaker an Zivilist:innen: Elf Mitglieder der Familien Sadovnik und Kogoj wurden erschossen.

Laut Polizei sei es wegen illegalen Campierens zu einer Amtshandlung gekommen – mit Unterstützung der Bezirkshauptmannschaft und des Bundesamts für Asyl. Bei der Identitätsfeststellung habe es Widerstand gegeben, weshalb Verstärkung angefordert wurde. Auch ein Hubschrauber, Drohnen und eine Hundestaffel kamen zum Einsatz. Ein Teilnehmer wurde leicht verletzt. Es kam zu mehreren Anzeigen und drei vorübergehenden Festnahmen, wie der ORF (Opens in a new window) berichtet. 

Die Veranstalter sprechen von überzogener Härte und fehlender Sensibilität – und betonen, dass das Camp auf Privatgrund stattfand. Bernard Sadovnik, Bürgermeister der Nachbargemeinde Globasnitz und Nachfahre einer ermordeten Familie, zeigt sich erschüttert: Der Einsatz sei „respektlos und retraumatisierend“, wie in der Presseaussendung (Opens in a new window) des Društvo/Verein Peršman zu lesen ist. 

Das Team Kärnten fordert lückenlose Aufklärung. Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) kündigte Gespräche an, die Grünen übten scharfe Kritik am Vorgehen der Polizei und kündigten parlamentarische Anfragen an.

DIE DREI TIPPS DES TAGES


1. Österreichische Recherche des Tages

Das Onlinemedium Die Chefredaktion hat mit Integrationsministerin Claudia Plakolm ein Eis gegessen – und unter anderem über ihr geplantes Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 gesprochen. Dabei zeigte sich: Die ÖVP-Politikerin stützt ihre Argumentation auf Hochrechnungen.

https://www.instagram.com/p/DMayPlHtWlf/?hl=de (Opens in a new window)


2. Krautreporter-Artikel des Tages

Seggs und 🍆: Es ist nicht egal, wenn wir online verklemmt sind

https://krautreporter.de/geschlecht-und-gerechtigkeit/5956-seggs-und-es-ist-nicht-egal-wenn-wir-online-verklemmt-sind (Opens in a new window)


3. Fundstück des Tages

Früher nannte man sie Heiratsschwindler, heute heißen sie Love Scammer: Betrüger, die einsamen Menschen die große Liebe vorgaukeln – und ihnen dann das Geld aus der Tasche ziehen. In Südostasien gibt es ganze Städte voll digitaler Täter, die weltweit Menschen um Geld, Liebe und Zukunft bringen.

Die neue Staffel des Investigativ-Podcasts LEGION von Khesrau Behroz führt in das Herz dieser Industrie: von Thailand und Myanmar über die Philippinen bis nach London und Zürich. Die Erkenntnis: Es geht nicht nur um Internetbetrug. Sondern um organisiertes Verbrechen, Menschenhandel und moderne Sklaverei.

https://www.ardaudiothek.de/episode/urn:ard:episode:07da7e4c69ca8582/ (Opens in a new window)

Heute erst 2021 Schritte gegangen,

Markus

Protraitfoto von Markus Sulzbacher
Foto: Severin Wurnig

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