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ARCHITEKTONISCHE POESIE

FILM-KRITIK

[Beitragsbild: Sep Ruf: Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, Aula, seitlich // © ALPENREPUBLIK, 2025]

„Ich würde mich weigern, da reinzuziehen. Ich fürchte, der brennt nicht mal. Da kann kein Mensch drin wohnen. Ich weiß nicht, welcher Architekt den Bungalow gebaut hat, aber er verdient 10 Jahre.“

So Konrad Adenauer über den Kanzlerbungalow in Bonn, der von Ludwig Erhard bis Helmut Kohl den meisten Bundeskanzlern der Bonner Republik als Amts- und Wohnsitz dienen sollte (Willy Brandt scheint die Ausnahme gewesen zu sein). Im Gegensatz zu Adenauer wusste Erhard genau, wer „ihm“ den ikonischen Flachbau geschaffen hat: Der Münchener Architekt Sep Ruf.

Sep Rufs Kanzlerbungalow (1963/63) // © ALPENREPUBLIK, 2025
Sep Rufs Kanzlerbungalow (1963/63) // © ALPENREPUBLIK, 2025

Dieser hatte Ludwig Erhard bereits zehn Jahre zuvor ein Wohnhaus am Ackerberg in Gmund am Tegernsee errichtet. Neben dem Bungalow für den damaligen CDU-Wirtschaftsminister errichtete Ruf noch einen für sich sowie in der Mitte ein etwas kleineres Haus für einen Nürnberger Verleger. In den 1950er-Jahren noch mit der Moderne sowie Häusern ohne Satteldach und ohne vorstehende Giebel wie fehlenden Holzbalkonen fremdelnd, lehnten die meisten Bewohner*innen die Bauten, die im Volksmund „Tankstelle“ genannt wurden, ab.

Die durch deckenhohe und sturzlose Fenster und Türen offene Architektur schien erst recht suspekt. Ein Leben auf dem Präsentierteller. Ein damaliger Bewohner meint, die Natur habe die Häuser einwachsen lassen, so seien sie kaum mehr zu sehen, eine gute Sache. Das Interview mit dem pointierten Skeptiker sehen wir in Johann Betz' stilvollem Dokumentarfilm SEP RUF – Architekt der Moderne, der, neben SUPERMAN und Co. (Opens in a new window) seit gestern im Kino zu sehen und nicht nur für ausgemachte Architektur-Fans aufschlussreich ist.

Helle, lichtdurchflutete Räume in der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg // © ALPENREPUBLIK, 2025
Helle, lichtdurchflutete Fläche in der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg // © ALPENREPUBLIK, 2025

Für seinen Film über den 1908 geborenen und 1982 mit 74 Jahren verstorbenen Architekten taucht Betz tief in die gestalterische Materie Rufs ein, lässt zahlreiche Zeitzeug*innen, Architektur-Expert*innen und Wegbegleiter*innen zu Wort kommen, die ihn zuweilen huldvoll den Herrn Professor nennen. (Ruf lehrte Architektur und Städtebau an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, für deren naturverbundenen Neubau er verantwortlich zeichnete, war über zwanzig Jahre an der Münchner Akademie der Bildenden Künste für die internationale Moderne, von 1957 bis 1960 ihr Präsident und 1955 Gründungsmitglied der Berliner Akademie der Künste.)

Modell des EXPO-Pavillons 1958 von Sep Ruf und Egon Eiermann // ©ALPENREPUBLIK, 2025
Modell des EXPO-Pavillons 1958 von Sep Ruf und Egon Eiermann // ©ALPENREPUBLIK, 2025

Ein charmanter, zugänglicher Mensch sei Franz Joseph Ruf, wie er gebürtig hieß, gewesen, dabei doch von einer gewissen Schüchternheit geprägt. Allerdings auch bestens vernetzt (anders wäre seine Karriere von fünfzig Jahren und über 300 Bauten und Projekten wohl kaum möglich gewesen). Allerdings habe er, der gemeinsam mit Egon Eiermann den „schwebenden“ Deutschen Pavillon für die Weltausstellung EXPO in Brüssel 1958 entwarf und schuf, nie für den Ruhm gebaut. Das wäre auch schwer gewesen, war Rufs Ruf doch lange Zeit zwiespältig. Zumindest in Westdeutschland, vor allem seiner Heimat München, wurde er vor allem von konservativen Kräften herabgewürdigt und gar diffamiert. So wird im Film eine Dissertation erwähnt, in der architektonisch bedeutungsvolle und zur Stadt passende Bauten Nürnbergs benannt worden seien. Sep Rufs Bayerische Staatsbank (heute Heimatministerium) mit ihrem großzügigen, lichtdurchfluteten Atrium und der einladenden Architektur wurde darin geschwärzt.

Staatsbank in Nürnberg von Sep Ruf (1950/51; beherbergt heute das Heimatministerium) // ©ALPENREPUBLIK, 2025
Staatsbank in Nürnberg von Sep Ruf (1950/51; beherbergt heute das Heimatministerium) // © ALPENREPUBLIK, 2025

Doch musste er auch geschätzt worden sein, andernfalls hätten seine Entwürfe wohl kaum Ausschreibungen und Wettbewerbe gewonnen. Hätte man ihn eben nicht mit dem Bau des EXPO-Pavillons betraut. Immerhin der erste Auftritt Deutschlands nach der NS-Zeit. Zuletzt präsentierte Albert Speer das „Deutsche Reich“ 1937 mit einem „germanischen“ Protzbau in Paris. Sep Ruf stand für eine gegensätzliche, „kleine“ Architektur, die sich an die Umwelt anpasst und, wie es im Film heißt, beinahe schon an den Menschen anschmiegt. Studiert hatte der im Nationalsozialismus unbelastete Ruf beim Antisemiten und überzeugten Nazi German Bestelmayer, der für geschlossene, mächtige Architektur stand, die den Menschen kleiner und das Herrschen größer machen wollte.

Von dieser wandte sich der damals noch sehr junge Architekt bereits mit seinem ersten eigenen Projekt, dem Wohnhaus Karl Schwend (1933/34), ab, das als erster und einziger Flachbau München in die Architekturgeschichte eingehen sollte. Leider wurde es 1998 abgerissen, doch sehen wir eindrucksvolle Modelle. Nicht abgerissen werden darf die Hugo-Junkers-Siedlung in Grünwald, die ausnahmsweise mit Satteldächern daherkommt, sonst aber, verbunden „wie eine Perlenkette“, ganz im smarten Ruf-Stil zum Wohnen einlädt. Ebenfalls anziehend und faszinierend das kleine Ensemble am Weingut Querce Sola in der Toskana, das er 1969 erwarb, be- und umbaute - dies gar ganz nachbarschaftlich.

Sep Ruf, Neue Maxburg (1952 - 1957), Treppenhaus
Sep Ruf, Neue Maxburg (1952 - 1957), Treppenhaus // © ALPENREPUBLIK, 2025

Menschen einladen, das scheint das Motto der Ruf'schen „versöhnlichen Moderne“ zu sein. Zum Leben, Arbeiten und einander Begegnen. So auch in der beeindruckenden Neuen Münchener Maxburg (gemeinsam mit Theo Pabst), in der u. a. das Amtsgericht demokratische Prozesse sichtbar mache, wie es in der Dokumentation heißt. Ein weiterer Kontrast zur Nazi-Zeit, von der die Menchen sich ohnehin befreien wollten... Dass Ruf und Pabst es zudem schafften, in ihrem Bau den klassischen Turm der Wittelsbacher aus dem 16. Jahrhundert einzubeziehen, ist fein – hielt die Münchner*innen allerdings nicht von Spott und Ärger ab.

Drohnenaufnahme der Neuen Maxburg in München // © ALPENREPUBLIK, 2025
Drohnenaufnahme der Neuen Maxburg in München // © ALPENREPUBLIK, 2025

Es ist spannend, wie Ruf hierzulande teils verpönt war, von der internationalen Presse jedoch geschätzt bis gefeiert wurde - kennen wir aber von gewissen Altkanzlerinnen. Beispielhaft ist der erwähnte Pavillon zur Weltausstellung. Zu diesem allerdings kippte die Meinung in Schlaaaand irgendwann ins Positive. Lernkurve oder doch Anpassung und Mitläufertum? Damit hatten die Deutschen ja Erfahrung und es abzulegen, fällt den meisten bekanntlich bis heute schwer.

Sep Ruf: Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, Laubengang
// © ALPENREPUBLIK, 2025
Sep Ruf: Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, Laubengang // © ALPENREPUBLIK, 2025

Was uns beim Anschauen des mit beeindruckenden Bildern ausgestatteten Films, der Entwürfe und Fotografien aus den Entstehungszeiten mit Modellen und Aufnahmen von heute kombiniert, schwerfällt, ist nachzuvollziehen, was die Motivation Sep Rufs war. Wir verstehen, wie er designt und gebaut hat. Dass er sich ins Klein-Klein, für das sich manch Architekt*in zu schade war/ist, gekniet hat, dass er Gebäude schaffen wollte, in denen Menschen gern leben. Dass er das Offene gefeiert hat. Doch warum? Wie er zu diesem Stil fand, was ihn inspirierte, ausgerechnet das bleibt im Dunklen (Opens in a new window).

Zudem wäre eine detaillierte Einordnung wünschenswert gewesen. Welche anderen Architekt*innen prägten die Zeit, die (Nachkriegs-)Identität der Westdeutschen? Wie kam es, dass Sep Ruf so gut vernetzt war? Stattdessen lässt Johann Betz vielleicht einen Ticken zu oft Menschen zu Wort kommen, die vor allem in der zweiten Hälfte oft nur ähnlich klingende, lobende Worte für den Glas-Visionär übrig haben. So nimmt mensch die Dokumentation über den Architekten der Pfarrkirche St. Johann von Capistran in München manches Mal eher als Hagiographie denn als Biografie wahr.

Sep Ruf: Tucherpark (1968 - 1985) // © ALPENREPUBLIK, 2025
Sep Ruf: Tucherpark in München (1968 - 1985) // © ALPENREPUBLIK, 2025

Was mitnichten bedeuten soll, dass wir Ruf nicht viel zu verdanken hätten. Baute er doch schon vor siebzig, achtzig Jahren energie- und kosteneffizient und selbst bei Knappheit zur Verfügung stehende Mittel bestens nutzend (Opens in a new window). So nutzte er für die Balkone im Wohnhochhaus Theresienstraße etwa alte Geschossrohre. Der Bau steht überhaupt exemplarisch für Wohnqualität in Mehrfamilienhäusern und Rufs Einlassungen zum Wohnen in Wohnungen und nicht Einfamilienhäusern, die im Film zu sehen sind, passen ebenso in die heutige Zeit. Sie regen wie so einiges in der erhellenden und ansprechenden Doku zum Nachdenken (und bestenfalls Handeln) an.

https://www.youtube.com/watch?v=DiFn319EUB4 (Opens in a new window)

Erfahren lässt sich einiges. Nicht zuletzt über Ludwig Erhard, der meinte, wer ihn verstehen wolle, solle sehen, wie er im Kanzlerbungalow gelebt habe, statt seine Reden zu lesen. Unbeantwortet bleibt allerdings die im atmosphärischen Film gestellte Frage, wie der Mann von barocker Statur in die Speisekammer und Toilette seines schmalen Hauses am Tegernsee passte.

AS

PS: Die Musik nervt etwas. Zunächst noch jazziges Easy-Listening wird sie irgendwann belangloser und klingt teils nach Soft-Porno. Dann doch lieber der Musik aus DIVA FUTURA lauschen (Opens in a new window).

Haus Helwig (1957) in Schwalmstadt-Treysa // © ALPENREPUBLIK, 2025
Haus Helwig (1957) in Schwalmstadt-Treysa // © ALPENREPUBLIK, 2025

PPS: Während des Films musste ich ab und an an die „Tankstelle“ in Berlin denken, die sehr Ruf-isch daherkommt und in der nebst einem Café die Galerien Pace und Judin moderne Kunst präsentieren (kürzlich etwa Tom of Finland). Dort verknüpfen sich innen wie außen Architektur und Kunst, die Sep Ruf ohnehin immer zusammen dachte.

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SEP RUF – Architekt der Moderne ist seit dem 10. Juli 2025 im Kino zu sehen.

Sep Ruf – Architekt der Moderne; Deutschland 2025; Regie, Drehbuch und Produktion: Johann Betz; Bildgestaltung: Mathias Pilmes; Musik: Peter und Sebastian Horn; Sprecherin: Swintha Gersthofer; Laufzeit ca. 96 Minuten; FSK: 0

Topic Film & Serie

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