WeinLetter #105: Wege aus der Weinkrise? Der Backpulver-Irrsinn der EU
Liebe Weinfreund:in,
Du liest den WeinLetter #105. Heute gibt’s: Backpulver. Beziehungsweise es gibt kein Backpulver mehr für die Bio-Winzer:innen. Das benötigen sie nicht zum Backen, logisch. Backpulver hilft vielmehr gegen Echten Mehltau. Und da Bio-Weingüter keine Chemie-Keulen im Weinberg ausbringen, greifen sie auf Alternativen zurück. Backpulver. Damit ist jetzt Schluss. Die EU hat den Ökos aus Deutschland und Österreich, und nur Österreich und Deutschland die Verwendung verboten. Was für ein Irrsein! Baden-Württembergs Ex-Umweltminister und WeinLetter-Autor der ersten Stunden, Franz Untersteller, analysiert diesen Bürokratismus. Es geht in der Analyse um Backpulver - aber auch um das Verbot von Kaliumphosphonat. Sein Punkt: “Es kann nicht sein, dass mit dem Bio-Weinbau ausgerechnet denjenigen das Leben schwer gemacht wird, die sich neben der Erzeugung hochwertiger Weine in besonderer Weise auch dem Erhalt der Artenvielfalt, gesunden Böden und sauberen Grundwassers verschrieben haben.” Es ist ein weiterer Beitrag in der WeinLetter-Serie: Was sind Wege aus der Wein-Krise? Euch viele Erkenntnisse - und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied! (Opens in a new window) Aber vor allem:
Trinkt friedlich!
Euer Thilo
PS: Der WeinLetter macht jetzt seine wohl verdiente Sommerpause - wir sehen uns im September wieder! Stay tuned.

Ein Winzer spritzt die Rebstöcke im Weinberg mit Pflanzenschutzmittel SYMBOLFOTO: JUAN FRANCISCO GARCIA LEON
Wie die EU die deutschen Bio-Winzer gängelt
von Franz Untersteller
Wussten Sie, dass Sie ein äußerst wirkungsvolles Pflanzenschutzmittel in Ihrem Backregal stehen haben? Und wussten Sie zudem, dass Sie es auch weiterhin bedenkenlos für Ihren Teig oder was Ihnen sonst noch so einfällt, verwenden können? Sollten sie aber einen Weinbaubetrieb haben, machen Sie sich ab sofort strafbar, falls sie auf die Idee kommen sollten, den Stoff weiterhin zur Gesunderhaltung ihrer Rebstöcke verwenden zu wollen.
Wer den Versuch unternimmt, Ursachen für die noch immer weit verbreitete Skepsis gegenüber der Europäischen Union und ihren Institutionen ausfindig zu machen, wurde in den zurückliegenden Wochen leider mal wieder fündig. In Zeiten eines russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, der Aufkündigung des Multilateralismus durch die Trump-Administration und eines bedrohlich wachsenden rechten Populismus in etlichen europäischen Ländern, in denen wir aber ein geeintes Europa mehr denn je bräuchten, liefert die EU-Kommission den Eurokritikern Argumente gegen ein gemeinsames Europa quasi frei Haus.
Backpulver wird vom Grundstoff zum Wirkstoff
Was war geschehen? Das EU-Pflanzenschutzmittelrecht stellt bei der Zulassung neuer Stoffe höchste Anforderungen. So lautet jedenfalls die Selbsteinschätzung der Brüsseler Verantwortlichen, wenn es um den Schutz von Mensch und Umwelt geht. Integraler Bestandteil dieser EU-Rechtssetzung ist auch eine sogenannte Grundstoffliste. Die darin aufgeführten Stoffe können ohne entsprechende Anerkennungs- und Zulassungsverfahren ebenfalls für Pflanzenschutzzwecke eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um natürliche Stoffe, die nicht originär für den Pflanzenschutz entwickelt wurden, aber aufgrund einschlägiger positiver Erfahrungen ohne negative Folgewirkungen für Natur und Umwelt für den Schutz von Kulturpflanzen gegen Schädlinge und Krankheiten eingesetzt werden.
Einer dieser seit 2015 in der Grundstoffliste aufgeführten Stoffe hat Jede und Jeder von uns – fein in Tütchen portioniert – im Küchenregal stehen. Die Rede ist von Natriumhydrogencarbonat, uns allen wohl eher unter dem Begriff Backpulver geläufig.
Im Weinbau hat man in der Vergangenheit bei der Bekämpfung des Echten Mehltaus sehr gute Erfahrungen mit dem weißen Pulver gemacht. Bei der Anwendung ist es ohne jegliches Risiko und hat zugleich keinerlei Rückstandsproblematik. Gerade im biologischen Weinbau wurde das kostengünstige Pulver sehr gerne eingesetzt, da es zudem auch noch hilft, den Schwefeleinsatz zu reduzieren.
Damit ist es nun vorbei – und zwar ohne jegliche Übergangsfrist. Wer auch zukünftig bei der Bekämpfung des Echten Mehltaus auf Backpulver setzen möchte, muss auf das von Brüssel unter der Zulassungsnummer 00B282-00 geführte Pflanzenschutzmittel Natrisan zurückgreifen. Was ist der Unterschied zwischen Natrisan und Backpulver? Rein praktisch betrachtet gibt es keinen, denn ein Kilogramm des Pflanzenschutzmittels enthält 989 Gramm Natriumhydrogencarbonat. Natrisan ist aber mehr als fünf Mal so teuer!

Kennt ihr? Backpulver - genau das hilft gegen Echten Mehltauz FOTO: WEINLETTER
Juristische Spitzfindigkeiten mit Frustpotenzial
Ab hier wird’s nun spitzfindig – allerdings mit gravierenden Folgen für deutsche und österreichische Weinbaubetriebe. Für beide Länder hat nämlich die in Münsingen auf der schwäbischen Alb ansässige Firma „Biofa GmbH“ bei den zuständigen Stellen in Brüssel für Natrisan eine Zulassung als Pflanzenschutzmittel beantragt und mittlerweile auch bewilligt bekommen.
Was bei dem Unternehmen aller Voraussicht nach für Umsatz sorgen wird, führt bei Weinbaubetrieben in Deutschland und Österreich – zurückhaltend formuliert – zu Unverständnis und Frust. Warum?
Nach gültigem EU-Recht kann Backpulver nämlich nicht gleichzeitig Grundstoff und Pflanzenschutzmittelwirkstoff sein. Das hat zur Folge, dass das weiße Pulver mit sofortiger Wirkung aus der Grundstoffliste gestrichen wurde. Auf deutsch: Der Einsatz von Backpulver im Weinbau ist ohne jegliche Übergangsfrist untersagt – zum Leidwesen einheimischer Erzeuger, wohlgemerkt auch noch beschränkt auf Deutschland und Österreich.
Die Folge: Zusätzlich zu den mannigfaltigen Herausforderungen, mit denen sich die hießigen Weinbaubetriebe aktuell konfrontiert sehen – ich nenne den rückläufigen Weinkonsum; die Trumpschen Zolleskapaden, die immer stärker zu Tage tretenden Folgen des Klimawandels und das ganze bei gleichzeitig steigenden Lohnkosten – trägt die EU-Kommission mit ihrer Entscheidung dazu bei, die Wettbewerbssituation der Bio-Weinbaubetriebe im Verhältnis zu den Betrieben in Italien, Frankreich, Spanien oder Portugal zu verschlechtern. Denn: Dass die 4,17 Euro, die bei der Anwendung von Natrisan pro Kilo fällig werden, sich auf die Erzeugerpreise niederschlagen wird, liegt auf der Hand.

“Ungerecht behandelt”: Firmengebäude von Biofa in Münsingen FOTO: FRANZ UNTERSTELLER
Wie argumentiert der Hersteller des „neuen“ Pflanzenschutzmittels? Der Geschäftsführer der Firma Biofa „fühle sich ungerecht behandelt“, sagte er neulich dem SWR - und zwar von Brüssel. Die EU-Kommission habe Backpulver nur deshalb als Grundstoff zulassen können, weil man – so die Darstellung in einem dreiseitigen auf der Unternehmens-Website veröffentlichten Schreiben (Opens in a new window) – „unrechtmäßig“ auf frühere von Biofa selbst erhobene Studiendaten zugegriffen habe, ohne der Firma hierfür entsprechende Kompensationszahlungen zu entrichten. Als Lösung “habe die EU-Kommission selbst“ ein Zulassungsverfahren als Pflanzenschutzmittel eingefordert.
Stellt sich für mich die Frage, weshalb Brüssel stattdessen nicht bereit war, im Nachhinein Kompensationszahlungen für die Inanspruchnahme von firmeneigenem Datenmaterial zu leisten und damit die Grundlage zur Beibehaltung der bisherigen Regelung zu schaffen? Das unerfreuliche Ergebnis müssen nun die Bio-Weinbaubetriebe verarbeiten.
Hat Brüssel etwas gegen den Öko-Weinbau?
Das Ganze hat gewissermaßen Tradition. Auch an anderer Stelle hat Brüssel in den zurückliegenden Jahren den Öko-Winzern das Leben schwer gemacht. Lange Zeit war Kaliumphosponat im biologischen Weinbau als Pflanzenstärkungsmittel zugelassen. Dies ging so lange gut, bis die zuständigen europäischen Behörden 2013 bestätigten, dass der Stoff nicht nur eine pflanzenstärkende, sondern auch eine pflanzenschützende Wirkung – in dem Fall gegen den „Falschen Mehltau“ oder auch Peronospora – entfaltet. Die Folge: Kaliumphosphonat ist seither zwar als Pflanzenschutzmittel zugelassen, da es aber nicht in der EU-Bio-Verordnung (EU 2018/848) gelistet ist, ist es im Bio-Weinbau verboten. Das ist umso absurder, weil wir bei Kaliumphosphonat von einem natürlich vorkommenden Stoff reden.
Seit längerer Zeit versucht man aus Deutschland und Österreich heraus für den Bio-Weinbau in Brüssel eine erneute Zulassung von Kaliumphosphonat jenseits des Pflanzenschutzmittelrechts zu erreichen. Bislang waren allerdings alle Bemühungen vergeblich.
Wenn es darum geht, dem Öko-Weinbau das Leben schwer zu machen, reiht sich das beschriebene Vorgehen nahtlos in den an dieser Stelle (WeinLetter #46 (Opens in a new window)) 2022 diskutierten Vorstoß der EU-Kommission zur Neufassung der EU-Pestizidrichtlinie ein. Beabsichtigt war seinerzeit in „sensiblen Gebieten“ – darunter fallen Landschafts- und Wasserschutzgebiete ebenso wie FFH- und Natura-2000-Schutzgebiete – nicht nur die Verwendung chemisch-synthetischer, sondern auch biologischer Pflanzenschutzmittel komplett zu verbieten. Für weite Teile des Weinbaus im Moseltal, dem Kaiserstuhl oder in den Steillagen links und rechts des Neckars hätte dies den Todesstoß bedeutet, übrigens mit weitreichenden Folgen für die jeweiligen Kulturlandschaften. Das Aufatmen in der Weinbranche war nicht zu überhören, als die Kommission als Folge des massiven Drucks aus Landwirtschaft, Weinbau und der Politik die Vorlage zu Beginn des Jahres 2024 zurückzog. Zugleich kündigte Kommissionspräsidentin von der Leyen damals einen „ausgereifteren“ Richtlinienentwurf an.
Plädoyer für mehr Pragmatismus im Umgang mit dem Öko-Weinbau
Nach den zuvor beschriebenen Fällen und Fehlentwicklungen bleibt zu hoffen, dass die Kommission darin endlich zu einem pragmatischeren Umgang mit den Bio-Winzerinnen und -Winzern findet. Es kann nicht sein, dass mit dem Bio-Weinbau ausgerechnet denjenigen das Leben schwer gemacht wird, die sich neben der Erzeugung hochwertiger Weine in besonderer Weise auch dem Erhalt der Artenvielfalt, gesunden Böden und sauberen Grundwassers verschrieben haben.
Mehr als je zuvor gilt heute die Forderung gegenüber der EU, dass sich neue Regelungen stärker an der gelebten Praxis des Bio-Weinbaus orientieren sollten statt mit juristischen Winkelzügen ausgerechnet auch noch diejenigen zu gängeln, die mit ihren im Vergleich zu konventionell erzeugenden Betrieben niedrigeren Erträgen bereits heute ein Stück weit die Antwort auf den rückläufigen Weinkonsum geben.

Franz Untersteller, 67, ist gelernter Landschaftsplaner. Er war zwischen 2006 und 2021 Abgeordneter der Grünen im baden-württembergischen Landtag und zwischen 2011 bis 2021 Minister für Umwelt, Klima u. Energiewirtschaft im Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Seit Januar 2022 ist er als selbstständiger Unternehmensberater im Energiesektor tätig. Zudem ist er Globaler Botschafter für das weltweite Klima-Projekt Under2Coalition (Opens in a new window). Er schreibt regelmäßig für den WeinLetter. Hier ist er bei einer Malbec-Challenge in Mexiko (Opens in a new window) zu sehen, über die er zuletzt geschrieben hat. FOTO: FRANZ UNTERSTELLER
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Mehr Pflanzenschutz im WeinLetter gibt’s hier
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WeinLetter #84: Ist dieser Hektar aus Hohenlohe die Zukunft des Weins? (Opens in a new window)
WeinLetter #82: Der Frost-Frust der deutschen Weingüter (Opens in a new window)
WeinLetter #76: Aus für das EU-Pestizidgesetz. Und nun? (Opens in a new window)
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