âRemigrationâ Revisited
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Hi,
hast du es schon gelesen: Das Bundesland Rheinland-Pfalz verwehrt als erstes Bundesland AfD-Mitgliedern den Zugang zum öffentlichen Dienst.
FĂŒr uns sind das gute Nachrichten. Mehr zu den HintergrĂŒnden erfĂ€hrst du beispielsweise in diesem ZEIT-Artikel. (Opens in a new window)
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Um was gehts?
âRemigration fördern, um Wohnraum fĂŒr Einheimische zu schaffen.â
Das stand laut mehreren (Opens in a new window) Medien (Opens in a new window) in der Entwurf-Fassung eines AfD-Positionspapiers, das die rechtsextreme Partei am 5. Juli veröffentlicht hat. Nur, in der finalen Version (Opens in a new window) lautet der Satz anders:
âWohnungsmarkt entspannen, illegale Zuwanderung stoppen.â
Und noch eine zweite Ănderung gab es offenbar. Im Entwurf soll der Satz âDeutsche Leitkultur statt Multikultiâ gestanden haben. Von âKulturâ ist im offiziellen Positionspapier ĂŒberhaupt nicht mehr die Rede.
Darauf beim begleitenden Pressetermin angesprochen (ab Minute 21.45 (Opens in a new window)), gaben beide AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla vor, den Entwurf, auf den sich die Medien beziehen, nicht zu kennen. Und: Man rede nicht ĂŒber EntwĂŒrfe und ArbeitsstĂ€nde, das seien interne Prozesse.
Es stellt sich die Frage: Warum scheut sich die AfD plötzlich, âRemigrationâ in ein offizielles Parteien-Dokument zu schreiben?
Genau darum geht es heute.
Was bedeutet âRemigrationâ und was nicht?
Zuerst: Wir haben schon ĂŒber beide Begriffe geschrieben, hier ĂŒber âLeitkultur (Opens in a new window)â und hier ĂŒber âRemigration (Opens in a new window)â. Wir wollen uns heute anschauen, was seither passiert ist und konzentrieren uns auf die âRemigrationâ.
Der Begriff hat eine steile Karriere hingelegt, ein kurzer Blick zurĂŒck:
âĄïžPopulĂ€r wurde er im Januar 2024 durch die Correctiv-Recherche âGeheimplan gegen Deutschland (Opens in a new window)â, die ein rechtsextremes Netzwerk-Treffen aufdeckte. Laut des Recherche-Verbundes hat dort der IdentitĂ€re Martin Sellner sein âRemigrationsâ-Konzept vorgestellt, mit dem man die âAnsiedlung von AuslĂ€ndern rĂŒckabwickelnâ könne.
đ§ Zur Erinnerung: âRemigrationâ ist eigentlich ein Begriff aus der Migrationsforschung und meint die freiwillige RĂŒckkehr von Migrant:innen in ihr Heimatland. Was er hingegen nicht bedeutet: âRĂŒckkehrâ unter Zwang. Denn dafĂŒr gibt es andere, treffendere Begriffe, die auch den gewaltvollen Charakter aufzeigen, den diese VorgĂ€nge haben, etwa Abschiebung oder Deportation.
đĄDie Neue Rechte will âRemigrationâ dahingehend umdeuten, dass diese gewaltvollen âMaĂnahmenâ in dem eigentlich unideologisch-wissenschaftlichen Begriff âRemigrationâ aufgehen - er dient also der Beschönigung und Verharmlosung.
Deshalb handelt es sich bei âRemigrationâ, wie ihn die Neue Rechte benutzt, um einen rechtsextremen Kampfbegriff. Natascha Strobl drĂŒckt es so aus (Opens in a new window):
âMit âRemigrationâ wird versucht, einen Begriff in den demokratischen Gedankenaustausch einzubringen, der mit Demokratie nicht vereinbar ist. Er verhĂŒllt und beschönigt Vertreibung und ethnische SĂ€uberung.â
Ethnische SĂ€uberung, weil es im Kern darum geht, Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland loswerden. Und so steht es auch in der Correctiv-Recherche. âDas wichtigste Zielâ der ârechtsextremen Ideengeber, Vertreter der AfD und finanzstarker UnterstĂŒtzer der rechten Szeneâ sei es, Menschen âaufgrund rassistischer Kriterien aus Deutschlandâ vertreiben zu können - âegal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nichtâ.
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An dieser Stelle eine kurze Einordnung: GrundsĂ€tzlich können in Deutschland AuslĂ€nder:innen nur ausgewiesen werden, wenn sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die freiheitliche demokratische Grundordnung gefĂ€hrden - eine sehr hohe HĂŒrde, ĂŒber die im Einzelfall entschieden werden muss. Insgesamt gibt es hierzulande ĂŒberhaupt nur 800 (Opens in a new window) GefĂ€ngnisplĂ€tze fĂŒr Menschen, die in Abschiebehaft mĂŒssen. Die Zahl der GefĂ€hrder:innen ist noch kleiner. Das Bundeskriminalamt gab kĂŒrzlich bekannt, dass in Deutschland 575 Menschen (Opens in a new window) so eingestuft werden â mit und ohne Migrationsgeschichte. Dann noch die ausreisepflichtigen Menschen. Das sind laut Mediendienst Integration (Opens in a new window) derzeit 224.637. Die ĂŒberwiegende Mehrheit, etwa 80 Prozent, besitzt allerdings eine Duldung, sie können nicht abgeschoben werden.
â Unmittelbar ausreisepflichtig sind etwa 42.000 Menschen.
Wer in der AfD wirklich was meint
Hat man Abgeordneten und neurechten Vordenkern in den vergangenen Monaten und Jahren zugehört, geht es ihnen aber um ganz andere GröĂenordnungen:
RenĂ© Springer schreibt auf X: âWir werden AuslĂ€nder in ihre Heimat zurĂŒckfĂŒhren. Millionenfach. Das ist kein #Geheimplan (Opens in a new window). Das ist ein Versprechen.â
Martin Sellner selbst spricht von drei âRemigrationsâ-Zielgruppen: âAsylanten, Nicht-StaatsbĂŒrger und nicht-assimilierte eingebĂŒrgerte StaatsbĂŒrger, die zu Unrecht eingebĂŒrgert wurdenâ. Ăbersetzt: Asylsuchende, Menschen mit Aufenthaltstitel und Deutsche mit Migrationsgeschichte, die entweder die StaatsbĂŒrger:innenschaft erhalten haben oder in Deutschland geboren wurden. Insgesamt: rund 14 Millionen Menschen. Das erklĂ€rt er hier in mehreren Clips (Opens in a new window), die die Rechercheplattform zur IdentitĂ€ren Bewegung veröffentlicht hat.
Björn Höcke schrieb schon 2018 in seinem Buch âNie zweimal in denselben Flussâ von einem notwendigen âgroĂ angelegten Remigrationsprojekt (Opens in a new window)â, um ânicht integrierbare Migrantenâ zurĂŒckzufĂŒhren und nennt laut diesem Text (Opens in a new window) als Beispiel die frĂŒhere Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan ĂzoÄuz, die âin unserem Land tatsĂ€chlich nichts verlorenâ habe. Sie besitzt die deutsche StaatsbĂŒrgerschaft.
Matthias Helferich (Opens in a new window) sagte im Parlament: âNicht Millionen Euro werden diese Gesellschaft zusammenhalten, sondern nur Remigration, millionenfache Remigration.â
Und Marc Jongen (Opens in a new window) schrieb: âDeutsche StaatsbĂŒrger mit Migrationshintergrund wie auch AuslĂ€nder, die sich [âŠ] in das gesellschaftliche Leben einbringen, sind uns willkommen und so wenig Teil eines Remigrationskonzepts wie Deutsche ohne Migrationshintergrund.â Nur: Wer entscheidet darĂŒber, wie gut oder schlecht sich eine Person âin das gesellschaftliche Leben einbringtâ? Thomas Niehr argumentiert dazu (Opens in a new window): âInsbesondere dieses Kriterium dĂŒrfte kaum prĂ€zise zu definieren sein und daher Spielraum fĂŒr nahezu beliebige Interpretationen eröffnen.â
đ Das alles sind Hinweise, dass die AfD eben nicht nur kriminelle AuslĂ€nder:innen âremigrierenâ will, sondern mit âRemigrationâ eine âethnokulturelle IdentitĂ€tâ erzeugen will und die offizielle âRemigrationsâ-Definition in ihrem Parteiprogramm nur vorgeschoben ist.
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Diese Lesart stĂŒtzt auch ein aktueller innerparteilicher Streit zwischen Maximilian Krah und der restlichen Partei. Krah forderte kĂŒrzlich, dass man sich mit âRemigrationâ nicht auf Menschen mit deutschem Pass beziehen dĂŒrfe, weil es dafĂŒr keine gesellschaftliche Mehrheit gebe und es auch gegen das Gesetz sei. DafĂŒr wird er seither laut Spiegel von zahlreichen AfD-FunktionĂ€r:innen und dem Vorfeld der Partei angegriffen. Björn Höcke hat als Reaktion darauf direkt eine Leseempfehlung (Opens in a new window) fĂŒr Martin Sellners Buch âRemigrationâ ausgegeben.
Strategischer Sprachwechsel
âRemigrationâ tauchte also insbesondere in den Monaten nach der Correctiv-EnthĂŒllung vermehrt im Kontext neurechter Propaganda- und Wahlkampfaktionen (Opens in a new window) auf. Viel Aufmerksamkeit bekam beispielsweise das Verteilen von âAbschiebetickets (Opens in a new window)â unter anderem an Menschen mit Migrationsgeschichte in Karlsruhe - Parallelen zu diesem Vorgehen finden sich bei der ehemaligen NPD und sogar im Nationalsozialismus. Auch wurden âRemigrationsâ-Flyer an SchĂŒler:innen vor MĂŒnchner Schulen verteilt (Opens in a new window).
Neben solchen Aktionen, um âRemigrationâ bekannter zu machen, ĂŒbernahmen mehr und mehr AfDler den Begriff, erst einzelne Abgeordnete, dann ganze LandesverbĂ€nde (Opens in a new window) und Anfang 2025 rief ihn Alice Weidel auf einem Parteitag von der BĂŒhne (Opens in a new window) und die Bundespartei schrieb ihn letztlich ins Bundestagswahlprogramm (Opens in a new window).
đ Jetzt verzichtet die AfD plötzlich auf den Begriff âRemigrationâ im offiziellen Positionspapier, in dem sie sich zu vielen zentralen Themen von Sicherheit ĂŒber Wirtschaft bis hin zur Migration âpositioniertâ. Diese Ănderung ist aber keine ideologische Kehrtwende.
Konsequenzen des Compact-Urteils?
Vielmehr dĂŒrfte es einen strategischen Grund haben: Im Compact-Urteil (Opens in a new window) des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, ĂŒber das wir vergangene Woche geschrieben haben und mit dem das Verbot des rechtsextremen Magazins aufgehoben wurde, gibt es gleich mehrere AbsĂ€tze ĂŒber âRemigrationâ.
Die Leipziger Richter:innen erklĂ€ren das Konzept fĂŒr eindeutig verfassungswidrig, sofern es âzwischen deutschen Staatsangehörigen mit oder ohne Migrationshintergrund unterscheidetâ.
Denn dann wĂŒrde es sich gegen die MenschenwĂŒrde richten, mit der âweder ein rechtlich abgewerteter Status noch demĂŒtigende Ungleichbehandlungen vereinbarâ sind. Deutsche mit Migrationsgeschichte, die sich ânicht assimilieren können oder wollenâ, wĂŒrden deshalb zu âStaatsbĂŒrgern zweiter Klasseâ.
Damit steht die entscheidende Frage im Raum: Will die AfD âRemigrationâ als Mittel nutzen, um ein ethnisch homogenes Volk herzustellen? Das wĂ€re eine eindeutige Verletzung des Grundgesetzes und wĂ€re in einem möglichen Verbotsverfahren ein gewichtiges Argument FĂR ein Verbot.
Offiziell kann man diese Frage eindeutig beantworten: nein.
Im Wahlprogramm (Opens in a new window) werden unter âRemigrationâ mehrere MaĂnahmen zusammengefasst, um ein angebliches âmigrationspolitisches Staatsversagen umzukehrenâ. Man wolle ausreisepflichtige Personen, auslĂ€ndische GefĂ€hrder:innen und StraftĂ€ter:innen konsequenter abschieben, Anreize fĂŒr freiwillige RĂŒckkehr ausbauen und Ausweisungen erleichtern. Das wĂ€ren dann also die oben beschriebenen 42.000 unmittelbar Ausreisepflichtigen. Kein Wort davon, auch Deutsche mit Migrationsgeschichte auĂer Landes zu bringen. Es wird sogar die âVerfassungskonformitĂ€tâ der PlĂ€ne betont.
Warum die Streichung allein wenig Àndert
âDie Entfernung des Begriffs âRemigrationâ aus dem Positionspapier dient dazu, die AfD nach auĂen hin harmloser erscheinen zu lassen und gleichzeitig einem drohenden Parteiverbot vorzubeugen.
Doch die Art, wie viele AfDler ĂŒber âRemigrationâ sprechen oder sich explizit auf Martin Sellner beziehen, weist stark in eine verfassungsfeindliche Richtung. Die AfD - oder besser ihre FĂŒhrung mit Weidel und Chrupalla - will sich hier also massiv selbstverharmlosen und wohl auch gleichzeitig fĂŒr ein mögliches Verbotsverfahren wappnen.
Nur, das allein dĂŒrfte lĂ€ngst nicht ausreichen, wie Anwalt Chan-jo Jun (Opens in a new window) erklĂ€rt. Demnach mĂŒsste die AfD eindeutig klarmachen, dass fĂŒr âjeden innerhalb und auĂerhalb der Partei klar wird, dass es mit der AfD keine âRemigrationâ deutscher StaatsbĂŒrgerâ geben werde und auch personelle Konsequenzen ziehen, wenn diese weiter davon sprechen wĂŒrden.
Diese massive Distanzierung ist laut dem Juristen Jun nötig, weil âRemigrationâ innerhalb der AfD zu einem prĂ€genden ideologischen Kernbestandteil geworden ist. Dies Ă€ndere sich auch nicht dadurch, dass in offiziellen Papieren von âausreisepflichtigen AuslĂ€ndernâ gesprochen werde, solange fĂŒhrende Politiker:innen Millionen von Menschen - darunter auch Deutsche - zur Zielgruppe ihrer RemigrationsplĂ€ne erklĂ€rten.
Und dann sagt Jun noch, dass selbst Krah, der sich ja gerade erst fĂŒr eine - in dieser Perspektive wohl vor allem strategisch gedachte - verfassungskonforme Bedeutung von âRemigrationâ ausgesprochen hat - in seinem Buch âMillionen von Menschen, darunter auch StaatsbĂŒrgerâ, als Zielgruppe von âRemigrationsbemĂŒhungenâ ausgegeben habe.
Ein GesprÀch mit Aussage und Gegenrede könnte zum Beispiel so aussehen:
Aussage:
âMit âRemigrationâ will die AfD nur kriminelle AuslĂ€nder zurĂŒckschicken.â
Gegenrede:
âOffiziell ja - in der Praxis reden ParteigröĂen aber von Millionen Menschen, darunter deutsche StaatsÂbĂŒrger:innen mit MigrationsÂgeschichte. Das ist kein legitimes AbschiebeÂprogramm, sondern ein ethnischer SĂ€uberungsÂansatz, der gegen die MenschenÂwĂŒrde verstöĂt.â
Aussage:
âDie Mehrheit der Bevölkerung unterstĂŒtzt strengere Remigrations-MaĂnahmen - das muss jede demokratische Partei umsetzen.â
Gegenrede:
âDemokratie schĂŒtzt nicht nur Mehrheiten, sondern auch Minderheitenrechte. Verfassungsprinzipien wie MenschenwĂŒrde und Gleichbehandlung sind nicht zur Abstimmung gestellt und gelten unabhĂ€ngig von Umfragewerten.â
Aussage:
ââRemigrationâ ist ein neutraler Fachbegriff aus der Wissenschaft, den man nicht verteufeln sollte.â
Gegenrede:
âDer Begriff wird bewusst als Euphemismus fĂŒr ZwangsrĂŒckfĂŒhrungen missbraucht. In der Migrationsforschung steht er fĂŒr freiwillige RĂŒckkehr -Rechtsextreme haben ihn ideologisch umgedeutet, damit die Gewalt dahinter verharmlost wird.â
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