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Liebe zu Göttin-Gott

© Marina Zlochin - stock.adobe.com

Bhakti Yoga – Die Bedeutung der Liebe in der Religion

Alle Menschen suchen nach Liebe und Glück. Wahre Liebe findet man in der Anbindung an Göttin-Gott. Göttin und Gott sind die höchste Ekstase. Sie sind der Inbegriff und die Essenz unseres Fühlens. Liebe zu Göttin-Gott ist die intensivste Liebe, die wir erfahren können. Durch diese Erfahrung erlangen wir die Erkenntnis über die menschliche Existenz und unser eigentliches Wesen.

Was uns alle antreibt

Eine wissenschaftliche Studie über Babys in Waisenhäusern kam zu dem Ergebnis, dass Kleinkinder, die über lange Zeitspanne hinweg alleingelassen wurden, die Isolation nicht ertragen konnten und ihren Lebenswillen verloren. Die Verzweiflung darüber, abgesehen von der Grundpflege niemals gehalten zu werden, zerstörte die Hoffnung der Kinder, den Trost und die Liebe zu erhalten, die sie brauchten, um sich sicher und geschützt zu fühlen.1

Alle Menschen sehnen sich nach Liebe. Wir richten diese Liebe vorwiegend auf unsere »Liebsten«, d.h. auf unseren Beziehungspartner, Kinder, Eltern und Freunde. Wir brauchen andere Menschen. Davon abgesehen richten wir unsere Liebe auch auf Dinge, die uns etwas bedeuten, etwa unseren Lieblingspullover, den Schaukelstuhl unserer Großmutter, ein Haustier, unsere Arbeit, unsere Heimat oder unseren Verein. Manche Menschen lieben ihr Auto oder ihren Garten oder ein bestimmtes Hobby. Des Weiteren lieben wir bestimmte Arten des Essens, wie zum Beispiel Erdbeeren mit Schlagsahne, oder einen Waldspaziergang, das Meer oder eine bestimmte Form der Kunst. Manche lieben die Natur, andere das Geld. Ganz oben stehen für viele Romantik und Sexualität.

Liebe, Zuneigung, Anziehung, Lust sind Gefühle. Wir fühlen diese Liebe. Wir fühlen uns hingezogen oder abgestoßen. Wir fühlen die Freude und das Glück in unseren Beziehungen. Ohne Beziehungen können wir nicht leben. Wir brauchen sie, und das ist auch richtig so.

Gleichwohl gibt es viele Probleme. Freundschaften gehen auseinander, Paare trennen sich, Menschen sterben uns weg. Wir verlieren unser Eigentum aus den unterschiedlichsten Gründen, und wenn es nur daran liegt, dass diese Dinge, an die wir unser Herz gehängt haben, dem zeitlichen Verfall unterliegen. Alles, was in Raum und Zeit existiert, ist vergänglich. Jedes zeitliche und räumliche Ereignis, jede zeitweilige Existenz, womit wir eine Verbindung oder Beziehung eingegangen sind, führt am Ende zu Schmerz, weil wir es wieder verlieren.

Wir entwickeln Anhaftungen an diese Dinge. Viele Lehren antworten auf dieses Problem mit der Loslösung. Sobald wir nicht mehr angehaftet sind, leiden wir nicht mehr. Das klingt logisch, aber dann haben wir auch keine Beziehungen mehr. Wir befinden uns in einem einsamen Universum, in dem uns die Lebewesen und die Dinge nichts mehr bedeuten. Auch das Paradoxon wird versucht: die bedingungslose und erwartungslose Liebe, d.h. wir geben Liebe, ohne etwas dafür zurückzubekommen. Das ist sogar möglich, aber es ist eine sehr hohe Anforderung, bisweilen eine Überforderung. Wenn wir ehrlich sind, scheitern wir an diesem Anspruch immer wieder. Wenn uns ein Mensch etwas bedeutet, möchten wir ihn nicht verlieren. Wir sehen uns nach der Person. Wir vermissen sie, wenn sie abwesend ist. Wir erwarten zu Recht, dass sie da ist, wie die oben erwähnten Waisenkinder.

Vielleicht ist die Antwort eine andere als Loslösung. Vielleicht ist Liebe ja Anhaftung und die Frage ist nicht die der Loslösung, sondern an was wir anhaften. Dass wir anhaften, ist natürlich. Gibt es eine Anhaftung, eine Liebe, die wirklich ewig ist und niemals vergeht? Eine Liebe, die nie enttäuscht wird und die der oder die Geliebte wirklich tragen kann. Dinge können es nicht sein. Können das Menschen sein? Wir suchen immer im Bereich des Menschen. Aber wir wissen von diesen vielen Enttäuschungen.

Es gibt nur einen Empfänger für unsere Liebe, der oder die diese Liebe wirklich tragen kann und uns nie im Stich lässt, und das ist Göttin-Gott. Warum haben wir das vergessen? Warum kommt kaum jemand auf diese Idee? Weil wir diese Erfahrung nicht haben. Unsere historischen Religionen richten sich nicht auf die spirituelle Erfahrung Gottes, sondern auf Reglementierung, auf Regeln und Gesetze, um aus unzivilisierten und lasterhaften Menschen tugendhafte zu machen. Sie stellen keine Erfahrung Gottes zur Verfügung, außer in den mystischen Schulen, die aber den wenigsten Menschen zugänglich sind. Schauen wir uns in den historischen Religionen um, so finden wir Katechismen und Litaneien über Laster und Sünden beziehungsweise heilige und fromme Handlungen, etwa die Zehn Gebote. Sie stellen aber keine wirkliche spirituelle Erfahrung zur Verfügung. Eine spirituelle Erfahrung ist die Erfahrung der göttlichen Liebe.

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Wie erfährt man diese Liebe Gottes?

Was wäre, wenn wir diese Liebe Gottes real erfahren könnten? Wie würden sich unsere Gefühle, ja unser Dasein verändern? Man kann diese Liebe erfahren, und es ist gar nicht schwer. Man erfährt sie im Dienst zu Göttin-Gott. Im Christentum spricht man vom »Gottesdienst«, aber die Tiefe und Reichweite des Begriffs sind ganz verloren gegangen. Es ist nur noch irgendein Wort. Daran kann man ersehen, wie wir in dieses Vergessen und in diese Entfremdung vom Wesentlichen geraten sind. Die äußeren Formen existieren noch, aber die innere Bedeutung entgeht uns oft.

Gott zu dienen, ist eine Handlung. Man muss nur diese Handlung ausführen, dann erfährt man die Liebe und die Ekstase, im besten Falle die Erleuchtung.

Die reinste Form des Gottesdienstes ist die Anrufung der Namen Gottes. Diese Praxis findet sich in den meisten Traditionen. »Geheiligt werde dein Name«, heißt es im Vaterunser. In der indischen Tradition sind es die Mantras, die aus den Namen Gottes bestehen. Der wichtigste Mantra ist der sogenannte Maha-Mantra: »Hare Krishna Hare Krishna Krishna Krishna Hare Hare / Hare Rama Hare Rama Rama Rama Hare Hare«. In der Sufi-Tradition wird »La Illah Ill Allah« rezitiert, im Christentum etwa »Jesum Christum Kyrie Eleysum«, das die Mönche auf dem Berg Athos auf ihrem Rosenkranz beten. In der jüdischen Mystik der Kabbala gilt die Sprache insgesamt aus den Namen Gottes hervorgegangen und jedes Wort, ja jede Silbe ist ein Name Gottes, z.B. »is«, »ra« und »el« – Israel. Die Silben »is« und »ra« finden sich auch in »Ish-va-ra«, ein vedischer Name für Gott. Im Hebräischen wurde daraus »Jeoschua« oder »Jesu« bzw. »Jes-uva-ra«. »Is« steht für das Ich, »ra« für den König, also »Jesus, der König« für Ishvara. »El« ist das Licht. »Eli«, ein hebräischer Name für Gott, ist das Singular von »Elohim«, den Lichtwesen. »Purusha« ist ein anderer vedischer Name für Gott, im Deutschen »Person« (Konsonantenfolge p-r-s). P-r-s ist auch Bestandteil von p-r-d-s, dem »Paradies«, im Hebräischen »pardes«. Der vierfache Schriftsinn der Thora ist im p-r-d-s codiert.2

Doch bleiben wir bei der Praxis. Neben der Rezitation der Namen Gottes gibt es vielfältige Möglichkeiten, Göttin-Gott zu dienen. Hierzu ist es förderlich, ein personales Gottesverständnis zu haben. Wenn Göttin und Gott Personen sind, können wir sie lieben und uns ihnen hingeben, eine persönliche Beziehung mit ihnen eingehen und vielfältigen Dienst darbringen.

In der vedischen Tradition des Bhakti-Yoga ist dieses personale Gottesverständnis sehr vollständig und ursprünglich erhalten geblieben. Im Folgenden wird ein Gebet von einem indischen Gottgeweihten, Krishna das Babaji vom Govardhan, zitiert:

»O Queen of my life! My heart is constantly burning in the fire of separation from You!

Please save me from this ocean of sorrow by keeping me at Your lotus feet and making me Your maidservant! When will I hear the delectable words from Your beautiful mouth and the jingling of Your anklebells? When will I drink the nectar of Your indescribable beauty through the cups of my eyes in topmost ecstasy, and when will I smell Your bodily fragrance, making all the hairs of my body stand on end? Please bless this new maidservant by giving her the nectarean food-remnants that emanate from Your lotus-mouth! You are my japa, You are my penance and You are my meditation, and since I was born I haven't known anyone but You!

Wherever You sport with Your lover and Your girlfriends, please take me there also as Your maidservant. Thus the fallen Krishna das weeps, holding a straw between his teeth and praying: O golden beauty! Please fulfill my desires!«3

Die Göttin Radha © Midjourney by Ronald Engert

Der Gottgeweihte ruft hier die Göttin Radha an, die höchste weibliche Gottheit in der Bhakti-Tradition (O Queen of my life!). In seiner starken Anhaftung an sie fühlt er Trennungsgefühle (burning in the fire of separation from You). Diese Trennungsgefühle sind jedoch nicht wie in der materiellen Welt einfach nur schmerzhaft, sondern ebenso ekstatisch wie die Gefühle der Verbindung. Beide Gefühle richten sich auf das höchste absolute Wesen, insofern kommt in beiden Gefühlen die gleiche göttliche Energie zum Tragen.

Diese Göttin hat Füße, wie in diesem Gebet zum Ausdruck kommt (keeping me at Your lotus feet). Tatsächlich hat sie eine anthropomorphe Gestalt. Sie sieht aus wie eine menschliche Frau, ist wunderschön, besteht aber nur aus spiritueller Energie, man könnte sagen, aus reinem Licht. Der Dienst, den dieser Gottgeweihte ausführt, ist der einer Magd (making me Your maidservant).

In einem der Grundkonzepte dieser Tradition wird von zwei verschiedenen Körpern gesprochen. Der/die Gottgeweihte hat einen materiellen und einen spirituellen Körper. Der materielle Körper ist der diesseitige, mit dem der Verfasser dieses Gebets auf dieser Erde in den Raum-Zeit-Sphären existiert. In dieser physischen Form ist der Autor in einem männlichen Körper. Sein spiritueller Körper ist in seinem Fall jedoch weiblich, denn er möchte der Göttin dienen. Deshalb ist das höchste Ziel dieses Gottgeweihten eine weibliche Form als Magd oder Dienerin. Als Dienerin kann sie der Göttin besser dienen, denn dann ist ein engeres Vertrauen möglich. Radha vertraut ihr ihre intimsten Wünsche und Bedürfnisse an, und die Dienerin ist in der Lage, ihren Dienst auf die beste Weise auszuführen, da sie sich in ihrer weiblichen Form am besten in die Göttin einfühlen kann.

Diese Göttin Radha, so geht der Text weiter, spricht köstliche Worte, die von ihrem wunderschönen Mund ausströmen (delectable words from Your beautiful mouth), und sie hat klingende Fußglöckchen (jingling of Your anklebells). Der Gottgeweihte hört hier also die Worte der Göttin und sieht in der Meditation ihren Schmuck und ihre Kleidung. Er benutzt seine Ohren und Augen in einem übersinnlichen Sinn, um die Göttin zu hören und zu sehen, riecht sogar den Duft ihres Körpers (I smell Your bodily fragrance). Alle diese transzendentalen Sinneswahrnehmungen bringen ihn in Ekstase (topmost ecstasy), was durch das Symptom der aufgestellten Körperhaare angezeigt wird (the hairs of my body stand on end).

Nun wird es noch erstaunlicher, denn diese Göttin hinterlässt Essensreste, die ihren Mund berührt hatten (the nectarean food-remnants that emanate from Your lotus-mouth), d.h. sie isst sogar. Tatsächlich ist die Darbringung von Speisen zu Göttin-Gott einer der Hauptdienste in der Bhakti-Tradition. Man kocht für Göttin-Gott, opfert es ihnen, indem man es ihnen auf dem Altar, vor einem Bild von ihnen oder im Geiste darbringt und isst es anschließend selbst. Durch die Opferung ist das Essen geweiht. Es ist kein egoistischer Sinnesgenuss mehr, sondern die Barmherzigkeit Gottes, damit karmafrei, und bewirkt eine spirituelle Reinigung und Erhebung des Gottgeweihten, die sich in zunehmender Liebe zu Göttin-Gott und den damit einhergehenden Gefühlen der Freude, Glückseligkeit und Erleuchtung zeigen. Der Effekt dieser Opferung ist wirklich erstaunlich. Wenn man dies ehrlich und von Herzen tut, kann man diese Glückseligkeit und Liebe wirklich erfahren. Je öfter und länger man alle diese Dienste tut, umso stärker werden diese Gefühle. Das geht so weit, dass man ohne diese Liebe und die damit einhergehenden Gefühle nicht mehr leben möchte und in der Abwesenheit dieser Beziehung den Schmerz der Trennung erfährt, von der der Gottgeweihte in dem obigen Gebet zu Anfang spricht.

»You are my japa«: »Japa« ist das Sanskrit-Wort für die spirituelle Praxis der Mantra-Rezitation, d.h. seine Meditationspraxis ist es, den Namen »Radha« zu rezitieren und über ihn zu meditieren (You are my meditation). Der Name der Gottheit ist nicht verschieden von der Gottheit. In der spirituellen Welt sind der Name und das benannte Wesen eine Einheit. Wenn wir also die Namen der Göttin oder die Namen Gottes chanten, sind wir direkt mit ihnen verbunden.

»Wherever You sport with Your lover and Your girlfriends«: Hier kommen wir in die intimeren Bereiche der Beziehung der Göttin mit ihrem Geliebten und mit ihren Freundinnen. Die Göttin ist Radha und ihr Geliebter ist der Gott Krishna. Ihre Freundinnen sind die »Gopis« oder »Sakhis«, die namentlich bekannt sind als Lalita, Vishaka, Tungavidya, Induleka, Sudevi, Rangadevi, Champakalata, Chitra, Rupa Manjari, Rati Manjari u.a. Die romantische Liebesbeziehung zwischen Radha und Krishna wird in der Bhakti-Tradition viel besungen und besprochen. Diese Geschichten, die »lilas«, zu erzählen und zu hören, ist ebenfalls ein Gottesdienst, und zwar einer der kraftvollsten. Während man diese Geschichten hört oder liest, meditiert man über sie und versetzt sich selbst in diese Situation, indem man sich mit seinem eigenen spirituellen Körper an dem Lila beteiligt. Deshalb bittet der Gottgeweihte hier darum, an diesen Spielen teilnehmen zu dürfen (please take me there also as Your maidservant). In dem Ausdruck »Magd« soll Demut und Bescheidenheit ausgedrückt werden. Man sieht sich zunächst als Dienerin. Die Dienerschaft kann aber auch in eine Freundschaft übergehen, dann wird auch unser Gottgeweihter zu einer Freundin von Radha, zu einer dieser »girlfriends«, von denen er spricht.

Am Ende nennt er seinen Namen: Krishna das. »Das« bedeutet »Diener«. Er heißt also Krishna das, Diener von Krishna. Der Gottgeweihte identifiziert sich im Bhakti-Yoga grundsätzlich nicht mit seiner Gottheit, um selbst Gott zu werden, sondern sieht sich als Diener beziehungsweise Dienerin von Göttin-Gott. Die Verschiedenheit zwischen Gottheit und Gottgeweihten bleibt erhalten, ist sie doch die Grundlage für die Beziehung und diese besondere Dynamik von Verbindung und Trennung, die zusammen einen Tanz ergeben.

Der Gottgeweihte weint (the fallen Krishna das weeps). Diese Tränen sind ein Symptom der Ekstase, aber auch grundsätzlich dieses Gefühls der Liebe. Diese Tränen sind spiritueller Art, d.h. sie sind gleichzeitig schmerzhaft im Gefühl des Getrenntseins und glückselig im Gefühl des Verbundenseins. Es sind gleichzeitig Tränen des Schmerzes und der Freude, eine sehr eigentümliche und erstaunliche Kombination, die man als Bhakta, als Praktizierende/r des Bhakti-Yoga erfahren kann.

Der Strohhalm zwischen seinen Zähnen (holding a straw between his teeth) ist eine traditionelle Metapher für Demut. Ganz am Ende betet er darum, dass seine Sehnsucht gestillt werden möge (Please fulfill my desires!). Bhakti-Yoga und der Dienst der Gottgeweihten sind leidenschaftlich und von Sehnsucht und transzendentaler Begierde geprägt. Bhakti ist ein emotionaler Weg des Herzens, der unsere Gefühle auf einer tiefen Ebene anspricht. Es ist die tiefste Ebene überhaupt, denn es geht um diese Urbeziehung der Seele zu Göttin-Gott. Diese Beziehung ist die bedeutendste und erfolgreichste Beziehung überhaupt. Wir müssen nur akzeptieren, dass wir Diener/innen Göttin-Gottes und nicht die Herrschenden sind.

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Die wahre Ordnung der Dinge

Wir dienen Göttin-Gott. Dies ist die ursprüngliche und wahre Ordnung der Dinge. Wenn wir uns in diese Ordnung einfügen, werden wir die Wahrheit erkennen.4 Auf diese Weise offenbart sich alles. Wir müssen nur diese einfachen Handlungen, die verschiedenen Dienste, »seva«, ausführen. Einige Dienste wurden genannt: die Namen Gottes rezitieren, die Spiele Gottes erzählen und hören, Essen zubereiten. Man kann fast alles in den Dienst Gottes stellen. Schon einem Gottgeweihten die Tür aufzuhalten, ist ein Dienst, der uns ewig mit Gott verbinden kann. Man kann für Göttin-Gott den Tempel putzen, Geschirr spülen, Bücher schreiben, musizieren, Auto fahren, Häuser bauen, Kleider nähen, Schmuck herstellen, Bilder malen, Geld spenden, den Gottgeweihten dienen. Es ist ein Leben der unbegrenzten spirituellen Vielfalt und Schönheit. Es ist keine trockene Entsagung, kein moralinsaurer Verzicht. Man muss nur die Dinge in den Dienst von Göttin-Gott stellen, anstatt sie für den eigenen Genuss und egoistischen Nutzen einzusetzen.

Dieser Dienst für Göttin-Gott ist von Altruismus verschieden, denn Altruismus ist ein Dienst für den Menschen. Auch wenn wir das Ich zum Wir machen, also nicht ausschließlich uns selbst, sondern der Gemeinschaft dienen, kann es noch Eigennutz sein. Oft ist dieses Wir nur ein begrenztes, z.B. die eigene Familie, das eigene Volk, die eigene Religionsgemeinschaft. Dieses Wir ist konstituiert, indem es andere ausschließt. Auch wenn wir der ganzen Menschheit dienen, schließen wir andere Lebewesen und vielleicht Mutter Erde aus unseren Kalkulationen aus. »Macht euch die Erde untertan«, ist eine solche begrenzte Idee. Aber auch wenn wir die Erde oder die Ökologie über den Menschen stellen, verstricken wir uns in Widersprüche und leiden, denn dann müssen wir die Menschen herabsetzen. Dies sind begrenzte Konzepte, die das Ganze nicht abbilden können. Es sind zeitweilige und bedingte Lösungen, die nur wieder neue Probleme oder Widersprüche aufwerfen. Um alle Widersprüche endgültig aufzulösen, bedarf es der vertikalen Dimension, der Achse zur Transzendenz.5

Wir Menschen und alle Mitwesen sind gleichberechtigt und horizontal auf Augenhöhe, wenn diese vertikale Differenz zu Göttin-Gott eingeführt wird. Die Kategorien der Macht und der Herrschaft sind innerhalb der menschlichen Ebene unzulässig. Wir bemächtigen uns dieser Strukturen unberechtigterweise, denn die wirkliche Macht ist die Macht Gottes, wohlgemerkt eines liebenden Gottes. Das gilt auch für sein menschliches Bodenpersonal: »Unsere Vertrauensleute sind nur betraute Dienerinnen und Diener. Sie herrschen nicht.«6

Wenn wir unsere Liebe auf einen anderen Menschen richten, kann es passieren, dass wir diesen Menschen damit überlasten. Romantische Liebesbeziehungen gelten als das höchste Ideal und das Streben des Menschen. Wir suchen in dieser Liebesbeziehung die Erfüllung aller unserer Sehnsüchte, wir suchen diese Gefühle der Freude, des Glücks, der Liebe. Wir erhoffen uns Geborgenheit, Verbundenheit, Heimat. Wir suchen Halt. Aber eine andere Person kann und möchte uns diesen Halt nicht geben, da sie dann über uns stehen müsste. Diesen Halt kann uns nur Göttin-Gott geben, eine Macht größer als wir selbst. Erst wenn wir unseren Halt in Göttin-Gott gefunden haben, können wir anderen Menschen Halt geben. Erst dann können wir eine moralische Autorität im guten Sinne sein. Das ganze Wissen offenbart sich.

In der wahren Ordnung sind wir in unseren menschlichen Liebesbeziehungen auf Augenhöhe. Wir sind gleichberechtigt, gehen Seite an Seite durchs Leben, wenn beide ihren Halt in Göttin-Gott haben. In Bezug auf unsere Kinder haben wir natürliche Autorität. Wir beschützen und führen sie, geben ihnen Halt. Die Liebesbeziehung und die Freundschaftsbeziehung sind egalitär, die Eltern-Kind-Beziehung und die Herr-Diener-Beziehung sind hierarchisch.

Radha und Krishna
Radha und Krishna © May Thawtar - stock.adobe.com

Die Beziehung zu Göttin-Gott

In der Beziehung der Seele zu Göttin-Gott gibt es alle diese vier Formen der Beziehung. Die erste und grundlegende Gottesbeziehung ist die vom Diener zum Herrn. Deshalb spricht man von Gottesdienst oder von Gott, dem Herrn. Gott ist der Herr, wir sind seine Diener. Alle Religionen folgen zunächst dieser Struktur. Diese Beziehungsform ist notwendig im Sinne der wahren Ordnung: Wir dienen Göttin-Gott. Dieses hierarchische Modell kam allerdings auch dem Patriarchat gelegen. Deshalb wird im Patriarchat der Gott männlich gesehen. Wir brechen diese patriarchale Struktur schon dadurch, dass wir eine Göttin integrieren. Aber es geht noch weiter. Jenseits der Dienerschaft können wir auch eine Freundschaftsbeziehung, eine Beziehung als Eltern oder als Liebhaber/in von Göttin-Gott erfahren. Diese Beziehungsformen in Bezug auf Göttin-Gott sind im Westen nahezu unbekannt. Man findet sie vereinzelt in der christlichen Mystik, etwa in der Form der Braut Christi. Dabei handelt es sich um Nonnen, die eine eheliche Beziehung mit Jesus Christus pflegen. Sie verzichten auf eine menschliche Liebesbeziehung und leben im Zölibat, um sich ganz der Liebe zu Gott hinzugeben. Hier liegt der positive Kern des Zölibats. Das Zölibat ist kein Verzicht, sondern ein höherer Geschmack. Es ist die Praxis der Gottesliebe. Leider verstehen das die Christen selbst oft nicht und machen daraus ein Programm leidvoller Bußen und trockener Entsagungen, moralischer Verbote von sündhaften Lastern und dergleichen abstrusen Ideen. Freude und Lust werden dabei in Abrede gesellt.

Zum Glück gibt es im indischen Bhakti-Yoga eine reiche Tradition zu diesen höheren Formen der Beziehung zu Göttin-Gott. Die im obigen Zitat genannten Freundinnen von Radharani (Your girlfriends) sind ein Beispiel dafür. Sie sind einerseits Dienerinnen, aber die Dienerschaft ist zur Freundschaft erweitert. Sie sind vertraute Freundinnen von Radha. Das ist eine fortgeschrittenere Stufe der Vertrautheit und Verbundenheit, genau wie auf der menschlichen Ebene. Ein Freund ist uns näher als ein Diener, etwa ein Untergebener in unserer Firma. Das Ziel eines solchen Gottgeweihten ist es, ein Freund oder eine Freundin von Radha und Krishna zu werden. Ehrfurcht und Respekt treten in den Hintergrund zugunsten einer gleichberechtigten Beziehung auf Augenhöhe.

In Indien gibt es außerdem eine ausgeprägte Tradition der Elternschaft in Bezug auf Göttin-Gott. Der/die Gottgeweihte versteht sich als Vater oder Mutter von Göttin-Gott. Krishna wird als kleiner Junge dargestellt, der von seinen Eltern mit Essen versorgt wird, gebadet wird, an- und ausgezogen und zu Bett gebracht wird, Unterricht bekommt und manchmal auch eine erzieherische Maßnahme erforderlich macht, weil Kinder nun mal ungezogen sind. Ikonisch ist die Darstellung des kleinen Krishna als Butterdieb, der von seiner Mutter Yashoda bestraft wird. Krishna liebt es, bei den Gopis, den Kuhhirtenfrauen, Butter zu stehlen, um sie an seine Freunde, die Affen, zu verfüttern. Butter ist aber wertvoll und dient der Ernährung des kleinen Krishna. Wenn seine Mutter ihn also dafür züchtigt, ist es ein Liebesdienst für ihn. Natürlich ist das alles sehr liebevoll, und die Geschichte erzählt von einem Strick, mit dem Mutter Yashoda den kleinen Krishna festbinden will, damit er nichts anstellt. Es gelingt ihr aber nicht, weil der Strick immer wieder zu kurz ist, egal, wie viele Stricke sie zusammenbindet. Erst als Krishna, die höchste Persönlichkeit Gottes, es ihr erlaubt, ist der Strick lang genug, um ihn festzubinden. Im Grunde bindet sie ihn damit metaphorisch mit ihrer Liebe. Das sind ganz spezifische Gefühlsstimmungen zwischen Eltern und Kind, die nur dort ihren Platz haben. Innerhalb von gleichberechtigten Freundschaften oder Liebschaften wären sie eine Missstimmung.

Die innigste und intimste Beziehung der Seele zu Göttin-Gott ist, genau wie zwischen Menschen, die romantische und sexuell integrierte Liebesbeziehung. Der Tiefe dieser Beziehungsform entspricht eine ebensolche Vielfalt. Es gibt hier die unterschiedlichsten Varianten und Nuancen. Diese intime Beziehung der Seele zu Göttin-Gott vermittelt sich über die intime Beziehung zwischen Göttin und Gott selbst. Radha und Krishna haben selbst eine Liebesbeziehung (wherever You sport with Your lover). Diese Beziehung zwischen Radha und Krishna ist die faszinierendste und intensivste Liebesbeziehung überhaupt. Sie ist der Prototyp und die Urstruktur von Beziehung. Sie ist zum einen etwas Besonderes, weil sie die Beziehung zwischen Göttin und Gott als der höchsten Wesen ist, und sie ist zum anderen als romantisch-sexuelle die intensivste Form von Beziehung an sich. In der Geschlechtsbeziehung ist die Verbundenheit der beteiligten Wesen am intensivsten. Es ist die einzige Beziehungsform, wo man sich nackt begegnet, berührt und körperlich-sexuell vereinigt. Man kann als Bhakta, Gottgeweihte, diese Beziehung zwischen Radha und Krishna richtig fühlen und erfahren, indem man über sie meditiert und ihr dient.

Die Beziehung zwischen Radha und Krishna ist also auch das Modell für uns Seelen. Gottgeweihte in der romantisch-erotischen Beziehungsstimmung zu Radha und Krishna7 meditieren über diese Spiele von Göttin-Gott und sind Teil dieser Beziehung als Dienerin oder Freundin. Man dient dem göttlichen Paar und fühlt die gleichen Gefühle wie Radha und Krishna in ihrem liebenden Austausch. Der/die Gottgeweihte in ihrer spirituellen Form führt ihren jeweiligen Dienst aus, etwa die Vorbereitung des Blumenbetts oder das Zuwedeln von Wind mit dem Fächer. Sie wird Zeugin dieses Austauschs (wherever You sport with Your lover). Man bewegt sich hier in sehr intimen und diskreten Räumen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind und deshalb hier in diesem Text nicht weiter detailliert ausgeführt werden.

Man sollte nicht denken, dass man diese Spiele auch selbst mit menschlichen Partnern spielen kann und es dasselbe ist. Man kann das tun, aber das ist kein Gottesdienst und hat damit nicht die spirituelle Bedeutung und Wirkung. Wir bewegen uns in dieser spirituellen Tradition des Bhakti-Yoga im Bereich von Individualität und Personalität. Göttin-Gott sind individuelle Personen, keine Muster oder Schablonen, die wir einfach imitieren können. Es handelt sich um ihre eigene und einzigartige Beziehung, an der wir als Gottgeweihte Anteil nehmen können. Gleichwohl sind auch wir als Seelen oder Lebewesen individuelle Personen und können wir eine individuelle Beziehung mit Radha-Krishna eingehen. Die Art und Weise dieser Beziehung obliegt unserer individuellen Ausrichtung.

Nur wenige Menschen spüren diese romantische Liebesbeziehung zu Göttin-Gott. Für viele ist es eine andere Beziehungsform. Am verbreitetsten ist die Beziehung der Dienerschaft, in der man Gott mit Ehrfurcht, Respekt bis hin zu Furcht begegnet. Die anderen Beziehungsformen der Freundschaft, Elternschaft und Liebschaft stellen aber interessante Alternativen dar, u.a. für Menschen, die ein Trauma mit Autoritäten haben. Diese Beziehungsformen bieten darüber hinaus mehr Nähe, Tiefe und Vertrautheit.

Unsere eigene Art von Beziehung zu Göttin-Gott wird sich irgendwo in diesen Grundformen von Dienerschaft, Freundschaft, Elternschaft oder Liebschaft herausbilden. Welche unsere eigene ist, finden wir heraus, wenn wir länger die spirituelle Praxis des Gottesdienstes ausüben. Die Beziehung verfeinert und vertieft sich mit der Zeit. In jedem Fall ist es eine reiche und wertvolle Reise, an deren Gipfelpunkt die Erleuchtung erlangt wird.

Radha und Krishna  im Nikunj (heiliger Hain)
Radha und Krishna im Nikunj (heiliger Hain) © Midjourey by Ronald Engert

Warum steht die Göttin über Gott?

Krishna ist der Name für die höchste Persönlichkeit Gottes in der vedischen Bhakti-Tradition. Wie in den allermeisten Religionen findet sich an der Spitze eine männliche Gottheit, die die Ursache aller Ursachen ist, die die ganze Schöpfung hervorgebracht hat, die die höchste Instanz überhaupt ist. Dieser Gott Krishna, auch als Vishnu bekannt, ist in Indien neben Shiva die wichtigste und populärste männliche Gottheit.

Die indische Theologie kennt eine umfassende Götterwelt, ähnlich wie das antike Griechenland oder die germanische Tradition, in der auch weibliche Gottheiten zur Genüge zu finden sind. Man kann die Götterwelt dieser Religion aber nicht als reinen Polytheismus bezeichnen, da es monotheistisch eine höchste Gottheit gibt, die über allen anderen steht. Im Wesentlichen gibt es hier drei Schulen, in denen entweder Krishna/Vishnu, Shiva oder Shakti die höchste Gottheit ist. Shakti ist eine Göttin und die Gefährtin von Shiva. Analog dazu gibt es in der Krishna-Linie die Göttin Radha als Gefährtin von Krishna. Radha ist hier die höchste Göttin, die allerdings nicht so sehr in den Vordergrund gestellt wird. Man kann dies äußerlich gesehen als einen Mangel an Wertschätzung oder Respekt dem weiblichen Aspekt des Göttlichen gegenüber betrachten, es hat aber andere Gründe. Wir finden hier eine verborgenere Handhabung der weiblichen Gottheit, weil diese in ihren Eigenschaften subtiler und intimer als der männliche Gott ist. Radha ist eine viel feinere und berührbarere Form der Erfahrung, damit auch verletzbarer. Radha ist im Vergleich mit Krishna die Entität mit der größeren Liebe. Krishna, der das Objekt ihrer Liebe ist, kann ihre Liebe nicht verstehen, so selbstlos und hingegeben ist diese Liebe.

Radha Rani - klassische indische Darstellung
Radha Rani - klassische indische Darstellung

Viele Gottgeweihte in dieser Tradition verehren und lieben Krishna. Sie adressieren nicht Radha, weil dieser weibliche Aspekt Gottes selbst innerhalb der Tradition ein mystisches Geheimnis ist. Es gibt in dieser Tradition jedoch auch einen Zweig der Liebesmystik, der sich direkt an Radha wendet, und dazu gehört der Verfasser des obigen Gebets. Er möchte eine Dienerin bzw. Freundin von Radha sein.

Wenn ein/e Gottgeweihte sich zu Radha hingezogen fühlt, öffnen sich ihr oder ihm die höheren emotionalen Stimmungen der Liebe, die von Radha repräsentiert werden. Radha und ihre Gefährtinnen, die Gopis, Sakhis und Manjaris, sind die Liebenden, wohingegen Krishna der Geliebte ist. Wenn wir also etwas über Liebe erfahren wollen, sollten wir von Radha und den Gopis lernen. Selbst Krishna lernt von den Gopis und von Radha, was Liebe ist. Krishna dient Radha, zum Beispiel, indem er ihre Füße massiert. Ohne Radha, die Krishnas Freudenenergie ist, ist Krishna nur das unpersönliche Brahman ohne Gestalt, Eigenschaften und Spiele. Insofern steht Radha noch über Krishna und sie ist die höchste Gottheit überhaupt.

Spirituelle Praxis

Krishna, der Genießer © Midjouney by Ronald Engert

Nach diesen philosophischen und theologischen Ausführungen über die Bedeutung der Liebe in der Religion soll nun zum Abschluss ein Beispiel der spirituellen Praxis folgen, um den Lesenden eine eigene Erfahrung zu ermöglichen. Lies die folgende Geschichte (Lila) und meditiere darüber, indem du dir die Szene vor deinem inneren Auge vorstellst, dich so genau wie möglich in die Charaktere und Handlungen einfühlst und selbst als Gopi an dem Lila teilnimmst. Du kannst die Geschichte erweitern und deine eigene Rolle beliebig gestalten. Versuche, die Gefühle wahrzunehmen. Sieh es als Gnade von Göttin-Gott, dass du diese Gefühle erfahren kannst. Wenn dir Tränen der Liebe kommen, bist du auf der richtigen Spur. Falls du nichts oder nur wenig spürst, dann betrachte es als Anfang auf dem Weg. Es ist nicht trivial, diese emotionale Beziehung zum göttlichen Paar zu entwickeln. Es ist die höchste und letzte Wahrheit deiner Seele. Diese Gnade der göttlichen Liebe zu erfahren, ist die Erfüllung des Lebens. Das spürt man, wenn man sie erfährt.

Das Geheimnis, das im Nikunj erblüht

Radha und Krishna liegen im Nikunj auf dem Blumenbett.
Radha und Krishna liegen im Nikunj auf dem Blumenbett. © Midjourney by Ronald Engert

(Kapitel 1)

Es war die sanfte, goldene Stunde des Nachmittags in Vrindavan. Die Sonne begann unterzugehen und tauchte den Wald in Rosa- und Bernsteintöne. Eine sanfte Brise trug den Duft von wildem Jasmin und Kadamba-Blüten herbei und bewegte die Blätter wie Flüstern verborgener Freude. In dieser verzauberten Atmosphäre waren die Sakhis damit beschäftigt, einen geheimen Hain tief im Herzen des Nikunj vorzubereiten – eine abgelegene Laube, die nur den engsten Gefährten von Radha und Krishna bekannt war.

»Heute«, flüsterte Lalita mit einem verschmitzten Glanz in den Augen, »bereiten wir den Nikunj für ein ganz intimes Treffen vor. So wie Radha heute Morgen gelächelt hat ... Ich weiß, dass sie sich danach sehnt, mit Krishna zusammen zu sein.«

Visakha kicherte und legte vorsichtig Blütenblätter auf die weiche Erde. »Und Krishna ist seit Tagesanbruch unruhig. Er hat mich dreimal gefragt, ob Radha kommen würde. Seine Flöte hat keine Pause gemacht.«

Die Sakhis, die sich alle dem Glück des göttlichen Paares verschrieben hatten, schmückten den Hain mit zarten Händen und eifrigen Herzen. Ranken wurden zu Girlanden geflochten, Lotusblütenblätter wie ein königlicher Teppich ausgebreitet und goldene Kissen unter dem blühenden Blätterdach ausgelegt. Der Wald selbst schien vor Vorfreude zu atmen.

Bald kam Radha, schüchtern und doch strahlend, sanft geführt von ihren Sakhis. Ihre Augen waren zwar niedergeschlagen, leuchteten aber vor Erwartung. Nicht weit hinter ihr tauchte Krishna auf, verhüllt in spielerisches Geheimnis, seine Flöte an der Hüfte, sein Lächeln wissend.

In dem Moment, als sich ihre Blicke trafen, stand die Welt still. Es bedurfte keiner Worte. Die Sakhis traten leise zurück und versteckten sich hinter Bäumen und grünen Schleiern, doch ihre Herzen blieben im Zentrum dieser heiligen Bühne.

Krishna näherte sich ihr langsam, wie eine Biene, die vom duftendsten Lotus angezogen wird. »Priye«, flüsterte er, »hast du wieder deinen Nektar mitgebracht, um mich in den Wahnsinn zu treiben?«

Radha wandte ihr Gesicht ab, halb im Scherz, halb aus Schüchternheit. »Du bist es, der diesen Nektar mit deinem unruhigen Blick aufwirbelt.«

Sie lachten zusammen, ihre Stimmen klangen wie das Spiel von Flöten und Fußglöckchen. Dann begann in dieser göttlichen Geheimhaltung das Keli – das Liebesspiel voller Süße, Neckerei und tiefer Liebe. Krishna bewunderte fasziniert die weichen Lotusblüten von Radha. Er berührte sie sanft, als wären sie zerbrechliche Blüten, gefüllt mit verstecktem Honig. Radha wehrte sich spielerisch und stieß ihn weg, aber ihr Lachen verriet ihre Freude.

»Shyam!«, schimpfte sie atemlos, »Deine Hände sind noch schelmischer als deine Flöte!«

»Und doch«, murmelte Krishna und rückte näher, »wissen beide, wie sie dir gefallen können.«

Aus dem Schatten der Blätter beobachteten die Sakhis fasziniert. Eine Sakhi, Sri Hari Priya, umklammerte vor Freude ihre Brust. »Wie schön«, seufzte sie. »Wie vollkommen. Ihre Liebe geht über den Tanz der Worte hinaus.«

Lalita wischte sich eine Träne von der Wange und flüsterte: »Diesem Keli zu dienen ... zu sehen, wie es sich entfaltet ... ist der größte Schatz unseres Lebens.«

Als Krishna Radhas Lotus sanft massierte und der göttliche Nektar floss [Milch fließt aus der Brust, ein ekstatisches Symptom], schien der Hain selbst zu seufzen. Der Wind legte sich, die Vögel verstummten. Die gesamte Schöpfung hielt inne, um Zeuge ihrer heiligen Vereinigung zu werden.

Sri Hari Priya Sakhi trat leicht vor, ihre Augen leuchteten vor Hingabe. »Ich opfere mein Leben«, sagte sie leise, »für dieses Keli. Möget ihr beide Tag und Nacht, Augenblick für Augenblick, ineinander versunken sein. Möge jeder Atemzug, den ich nehme, zu eurem Vergnügen sein.«

Die anderen Sakhis schlossen sich ihr an, ihre Stimmen leise, aber entschlossen. »Wir geben all unsere Freude, unseren Komfort, uns selbst auf. Was ist Glück, wenn nicht dein Lächeln, Radhe? Was ist Leben, wenn nicht deine Berührung, Kanha?«

Krishna drehte sich für einen Moment um und lächelte sie an. »Ohne euch, meine lieben Sakhis«, sagte er, »würde dieses Keli niemals blühen. Ihr seid die Brise, die sein Feuer anfacht, die Blumen, die seinen Duft versüßen.«

Radha, deren Gesicht vor Liebe und Sanftheit strahlte, streckte ihnen eine Hand entgegen. »Kommt näher, meine geliebten Freundinnen. Teilt dieses Gefühl mit mir. Denn eure Hingabe, eure Liebenswürdigkeit, all eure Bemühungen ... sind die Girlande, die mich an Ihn bindet.«

Der Hain war in goldenes Licht getaucht, obwohl keine Sonne mehr schien. Das Keli ging weiter in einer Stille jenseits der Zeit, mit Lachen, mit Seufzern, mit Tränen der Freude.

Und die Sakhis, die sie umgaben wie Blütenblätter eine göttliche Blüte, wussten, dass sie etwas Ewiges erlebten.

Zur Fortsetzung des Lilas (Kapitel 2-8):

(Das ist meine Webseite speziell zu Bhakti-Yoga. Die Seite ist auf Englisch und richtet sich an erfahrene Bhaktas. Neulinge werden möglicherweise mit vielen Sanskrit-Begriffen nichts anfangen können. Notfalls bei ChatGPT fragen, da gibt es sehr präzise Definitionen.)

Wer Interesse an Bhakti-Yoga hat und dazu mit mir sprechen möchte, kann sich gerne an mich wenden. Bei ausreichendem Interesse starte ich eine Studiengruppe.

  1. René A. Spitz und Katherine M. Wolf: Anaclitic Depression, The Psychoanalytic Study of The Child, 1946, Vol. 2, S. 331-342, zitiert nach: Adult Children of Alcoholics and Dysfunctional Families: Die Identity Papers (dt.), Lakewook (CA, USA) 2006, S. 5. https://psycnet.apa.org/doi/10.1080/00797308.1946.11823551 (Opens in a new window)

  2. Für mehr Informationen zur Mystik und Magie der Sprache siehe meine Master-Thesis (Opens in a new window) (Humboldt-Universität zu Berlin, Fachbereich Kulturwissenschaft, 2023).

  3. Śrīla Raghunātha dāsa Goswāmī: Śri Śri Vilāpa Kusumāñjali, comments by Ananta dās Bābājī, Kolkata 2014, 2nd edition, p. 49.

  4. »Wenn deine Intelligenz aus dem dichten Wald der Täuschung herausgetreten ist, wirst du gegenüber allem, was gehört worden ist und allem, was noch zu hören ist, gleichgültig werden.« Bhagavad-gita Wie Sie Ist, Vers 2.52, Übersetzung aus dem Sanskrit von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada, The Bhaktivedanta Book Trust 1983.

  5. Die Vertikalspannung wird vom Philosophen Peter Sloterdijk in »Du musst dein Leben ändern« (Berlin 2009) diskutiert.

  6. »Für den Sinn und Zweck unserer Gruppe gibt es nur eine höchste Autorität – einen liebenden Gott, wie Er sich in dem Gewissen unserer Gruppe zu erkennen gibt. Unsere Vertrauensleute sind nur betraute Dienerinnen und Diener. Sie herrschen nicht.« (Anonyme Alkoholiker: Die 12 Schritte und 12 Traditionen, 2. Tradition)

  7. Der Sanskrit-Begriff ist ›madhurya rasa‹.

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