Passer au contenu principal

Reform oder Revolution? Hauptsache, nicht gleichgültig!

Portrait von Luise Büchner (1821-1877)
Luise Büchner (1821-1877) war eine Darmstädter Frauenrechtlerin und Autorin (und eine Schwester des berühmten Georg).

O, ihr rosigen Kinder, euren Frohsinn und eure Heiterkeit möchten wir um keinen Preis der Welt euch rauben, ihr sollt Rosen in's Haar flechten und das weiße Gewand tragen, aber darunter die Rüstung der Pallas Athene!

Zurzeit lese ich das Buch „Die Frauen und ihr Beruf“ der Darmstädter Frauenrechtlerin Luise Büchner, erschienen 1855.

Der Grund ist, dass ich im November den Luise-Büchner-Preis für Publizistik bekomme, der jährlich von der Luise Büchner Gesellschaft in Darmstadt verliehen wird. Eine große Ehre ist das, das Event findet am Sonntag, 23. November, 11-13 Uhr in der Orangerie Darmstadt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) statt, und wenn ihr in der Gegend seid, freue ich mich sehr, wenn Ihr kommt und mit mir feiert!

Nachdem ich mich im vergangenen Jahr mit revolutionärem Feminismus beschäftigt habe - Attentate, Dynamit, Anarchismus! - ist es spannend, nun eine ganz und gar reformorientierte und bürgerliche Feministin zu lesen. Luise Büchner ist „gemäßigt“, sie schreibt für ein Mainstream-Publikum, das sie nicht verschrecken, sondern zum Nachdenken bringen und dessen Unterstützung sie gewinnen möchte. Mehr und bessere Mädchenbildung, Erziehung zu Vernunft und Veranwortlichkeit, Einsicht in die große Bedeutung weiblicher Tätigkeiten für das Wohlergehen der Gesellschaft - das sind ihre Anliegen und ihre Themen.

Im Vergleich zu den krassen Lebensgeschichten von Revolutionärinnen wie Victoria Woodhull, Lucy Parsons, Emma Goldman und anderen klingt das auf den erste Blick langweilig. Verdächtig gar - haben wir uns doch seit einiger Zeit angewöhnt, den sogenannen „weißen Feminismus“ mit Argwohn zu betrachten. Fast so, als wären die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen mit ihren Privilegien eigentlich schon so gut wie im Lager des Feindes.

(Interessanterweise, aber das nur am Rande, wird männlichen Akteuren ihre bürgerliche Herkunft so gut wie nie vorgeworfen, oder wenn dann in moralischer Hinsicht - Karl Marx hat das Dienstmädchen geschwängert und dann das Ganze vertuscht! - aber nicht als Defekt ihrer theoretischen, inhaltlichen Arbeit).

Natürlich ist innerfeministische Kritik berechtigt, und gerade bei Autorinnen, die aus einer weißen, bürgerlichen Perspektive schreiben, ist da vieles zu finden - wie ich in meinem aktuellen Buch am Beispiel der amerikanischen Wahlrechtsbewegung ja ausführlich zeige. Aber diese Kritik muss auf konkrete Inhalte bezogen sein, sie sollte sich nicht pauschal gegen die Perspektive bürgerlicher Frauen richten.

Die Frage, ob Feminismus revolutionär oder reformistisch sein muss, ist meiner Ansicht nach falsch gestellt. Feminismus muss beides sein.

Feminismus ist eine politische Bewegung zur Stärkung weiblicher Subjektivität. Es geht darum, Frauen als Akteurinnen und Gestalterinnen der Welt wahrzunehmen, zu fördern, ihre Stimmen zu hören und ernst zu nehmen, zur Geltung zu bringen. Aber das bedeutet, dass diese Stimmen notwendigerweise vielfältig sind. Feminismus hat kein gemeinsames Programm, und es hat seinen guten Grund, warum die Frauenbewegung sich nie in Form von Parteien organisiert hat.

Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an #aufschrei, die Debatte über sexualisierte Gewalt im Alltag, die am Jahreswechsel 2012/2013 aus dem Internet in die Realwelt geschwappt ist. Damals habe ich einen geradezu euphorischen Artikel über die politische Dynamik des Internet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) geschrieben.

Der Artikel ist in Bezug auf die segensreiche Wirkung des Internet sehr schlecht gealtert, weil das Internet sich seither zu einem Schlamm aus Hetze, Hass und Desinformation gemausert hat. (Aber ich finde spannend, mich zu erinnern, welche Hoffnungen wir damals haben konnten!)

Nicht schlecht gealtert ist der Artikel in Bezug auf die Praxis des Feminismus. Denn genau auf diese dezentrale Art und Weise ist es der Frauenbewegung seit den Zeiten Luise Büchners gelungen, eine wirkliche Revolution in den Geschlechterverhältnissen zu bewirken. Wie gründlich die Situation von Frauen in der Welt „umgewälzt“ wurde, wird gerade durch die Lektüre von solchen „bürgerlichen” Büchern aus dem 19. Jahrhundert klar, die uns einen Einblick in die damaligen Verhältnisse ermöglichen.

Der Feminismus ist, ich bleibe dabei, die erfolgreichste Revolution, vielleicht die einzige erfolgreiche Revolution, die es in der europäischen Moderne bisher gegeben hat.

Und das Erfolgsrezept war meiner Ansicht nach genau das - dass Feminismus nicht die Alternative aufmacht: Revolution oder Reform? Sondern immer beides betreibt.

Weil die einen Feministinnen revolutionär sind und die anderen reformistisch. Weil die einen aus dieser Perspektive schreiben und handeln und die anderen aus einer anderen. Weil Feministinnen unter Politik nicht verstehen, sich auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen, sondern weil jede mit vollem Elan für das eintritt, war ihr am Herzen liegt. Weil sie dadurch allesamt, jede an dem Ort, wo sie nun einmal steht, die Verhältnisse in Richtung von mehr Freiheit für Frauen verschieben. Und weil das im Zusammenspiel dann bewirkt, dass sich Gesellschaften wandeln.

„Politik geschieht nicht nur in den so genannten ‘revolutionären Momenten’, in denen sich etwas Aufgestautes entlädt. Politik geschieht jederzeit im Alltag.“

Das schrieb ich 2011 in einem Blogpost (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) über Revolutionen, und im selben Jahr habe ich unter der Frage „Wie man radikal ist (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ die These von der „kontextbezogenen größtmöglichen Radikalität“ formuliert. Radikalität erkennt man nicht an den vertretenen Positionen, sondern es ist eine politische Praxis, nämlich: „Den oder die andere im Gespräch genau so weit herauszufordern, wie es eben noch möglich ist, ohne dass die Beziehung zerbricht. Politische Ideen sind nicht einfach da und lassen sich durchdrücken, sondern sie müssen vermittelt werden. Es genügt nicht, recht zu haben, sondern es ist notwendig, dieses eigene Urteil den anderen so zu vermitteln, dass es bei ihnen etwas bewirkt, sie dazu bringt, ihre bisherigen Gewissheiten zu überdenken. Ich muss die anderen überzeugen, und das funktioniert nicht, indem ich sie belehre, sondern nur, indem ich mich auf eine Beziehung zu ihnen einlasse, was notwendigerweise bedeutet, dass ich auch offen bin für ihre Argumente und mich dem Risiko aussetze, dass am Ende nicht ich die andere überzeugt habe, sondern sie mich.“

Radikal sein bedeutet, sich auszusetzen, persönlich für etwas einzustehen, etwas zu riskieren, zum Beispiel die Gewissheit der eigenen Identität. Die Frage, ob Reform oder Revolution besser und/oder notwendig sind, ist demgegenüber unwichtig; sowieso lässt sie sich nicht allgemein beantworten, sondern nur bezogen auf eine konkrete Situation. Reformistischer und revolutionärer Feminismus sind letztlich zwei Seiten derselben Medaille, und das eigentliche Thema, um das es geht, ist die Frage der Verantwortungsübernahme, des Interesses an der Welt, der Freiheit der Frauen (und das bedeutet: aller Menschen).

Um noch einmal Luise Büchner zu Wort kommen zu lassen:

Damit wären wir denn an jenem Punkte des weiblichen Lebens angelangt, den man gar nicht entschieden genug bekämpfen kann – wir meinen den Indifferentismus, welchen Heute noch die meisten nicht allein einer Bewegung entgegenbringen, welche sich direct auf ihr Geschlecht bezieht, sondern mit dem sie überhaupt die Welt an sich vorüber gleiten lassen. Auch die Frau soll, und muß sich eine Überzeugung herausbilden, auch sie soll ihre Stellung nehmen zu der sie umgebenden Welt!

Mehr über Luise Büchner (und die Büchner Familie inklusive Revoluzzer-Bruder Georg) sowie über mein neues Buch und vieles mehr erfahrt ihr in einer Episode des Podcasts „Büchners Welt“, zu dem Luise und Peter Brunner mich eingeladen haben. Wir sprechen über Feminismus, Demokratie und Gewalt, über Feminismus und Revolution und überhaupt über alles! (Link zum Podcast) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Drei Personen (Luise und Peter Brunner, Antje Schrupp) in einem Tonstudio.
Bei der Podcastaufnahme mit Luise und Peter Brunner. | Foto: Swantje Brunner
Tipps

Sterben Rezensionen aus?

Ich möchte noch kurz auf eine Diskussion hinweisen, auf die ich über den Newsletter „Kultur und Kontroverse“ von Johannes Franzen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (Empfehlung!) aufmerksam geworden bin, nämlich dass klassische Rezensionen immer mehr aus dem Kulturjournalismus verschwinden und Redaktionen stattdessen lieber Autor*innen zu Interviews oder anderen Formaten einladen. Allerdings sind eben solche Interviews meist Teil einer PR-Strategie, und selbst wenn nicht, kommt darin logischerweise wieder die Perspektive der Autor*in zur Sprache, wohingegen Rezensionen eben gerade Urteil von Dritten sind, Einordnungen, die mit einer gewissen Distanz vorgenommen werden.

Ich merke das tatsächlich auch selbst: Im Vergleich zu früheren Büchern werden die Rezensionen weniger, die Einladungen zu Podcasts oder Interviews mehr. Ich freue mich total, wenn ich zu solchen Formaten eingeladen werde, aber ich muss sagen, dass eine Rezension mich doch besonders berührt. Es interessiert mich sehr, wie das, was ich schreibe, bei anderen ankommt, welche Einwände sie haben, was ihnen besonders gut gefällt oder eben auch nicht, was ihrer Ansicht nach fehlt, und so weiter. All das bekomme ich in Interviews nicht - weil ich da selber rede. Der Werbeeffekt für das Buch mag derselbe sein, die Qualität des Feedbacks ist es nicht.

Ich grüße euch herzlich,

Antje

PS: Ganz unten gibt’s wieder Buchgeschenke!

PPS: Wenn Ihr ein Exemplar meines neuen Buches mit Widmung erwerben möchtet (20 Euro inkl. Versand) schreibt mir einfach eine Mail mit Adresse - und ggfs. speziellen Widmungswünschen.

Neu im Internet

Revolutionärinnen jenseits von bürgerlich (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ _ Ich war bei Deutschlandfunk Kultur in der Sendung Lesart und durfte gut zehn Minuten lang mit Andrea Gerk über mein Buch und Revolutionären Feminismus sprechen. Hört rein!

Versuch einer linken Strategie gegen die AfD: (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Ich denke, die einzige Möglichkeit, eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern, ist eine linke Mehrheit aus SPD, Grünen und Linken. Aber nachdem ich das gepostet habe, wurde aus den Reaktionen klar, dass das wohl nix wird. Es gab zwar sehr viel Zustimmung, aber auch sehr viele Rückmeldungen nach dem Motto: Eine Zusammenarbeit mit den Linken/den Grünen/der SPD ist für mich ausgeschlossen. Ungefähr zu gleichen Teilen. Ich denke, das war’s dann.

Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf, Teil 1: (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Ein paar Überlegungen nach ihrem Rücktritt auf meinem Blog

Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf, Teil 2: (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Mein Interview mit der Frankfurter Rundschau zu dem Desaster.

Antjelas ein Buch

Neu auf meinem Youtube-Kanal:

Gertraud Klemm: Abschied vom Phallozän. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Ist die Männerherrschaft am Ende und beginnt bald das Matriarchat?

Maike Schöfer: Nö. Eine Anstiftung zum Neinsagen. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Über die Verbindung von religiösem Glaube und Queerfeminismus.

Termine

Samstag, 13. September 2025 | OLDENBURG
Trotzkraft: hoffnungsstur mutig
Vortrag beim Frauentag im Kulturzentrum PFL Oldenburg, Peterstraße 3 (mehr). (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

LESUNGEN : Unter allen Umständen frei. Revolutionärer Feminismus bei Victoria Woodhull, Lucy Parsons und Emma Goldman
Freitag, 19. September 2025 | DARMSTADT |Literaturhaus Darmstadt, Kasinostraße 3, 19 Uhr (mehr) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Dienstag, 30. September 2025 | BERLIN |Buchhandlung Schwarze Risse, Gneisenaustraße 2a, 20 Uhr.
Sonntag, 19. Oktober 2025 | FRANKFURT AM MAIN | Frankfurter Buchmesse, Leseinsel der unabhängigen Verlage, Halle 3, 15 Uhr.

Buchgeschenke

Manchmal habe ich Bücher doppelt, zum Beispiel als Print und als E-Book, oder ich habe eins versehentlich zweimal gekauft (schusselig wie ich bin), oder ich habe das Buch zwar gelesen, will es aber nicht behalten, oder ich sortiere mein Bücherregal aus …

… deshalb frage ich hier im Newsletter nach, ob jemand ein Buch geschenkt haben will.

Diesmal gibts:

Gertraud Klemm: Abschied vom Phallozän (2025) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Maike Schöfer: Nö (2025) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Victoria Amelina: Blick auf Frauen den Krieg im Blick (2025) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Alexander Maßmann: Evangelisch kontrovers. (2025) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Bei Interesse bitte einfach per Mail mit dem Betreff Bücherverlosung Newsletter“ Adresse schreiben, first come first serve. Wer mag, kann mir anschließend die Portokosten per paypal an post@antjeschrupp.de (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ersetzen, aber muss nicht. (Wirklich nicht).

NEWSLETTER ABONNIEREN ….. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

.

Sujet Newsletter

0 commentaire

Vous voulez être le·la premier·ère à écrire un commentaire ?
Devenez membre de Antje Schrupp et lancez la conversation.
Adhérer