Der Aschenmensch von Buchenwald

"Ein Leben lang suche ich nach Worten, um diese Tatsachen zu beschreiben, ohne dass es pathetisch klingt. Ich muss einsehen, dass es unmöglich ist, den richtigen Ton zu finden. So unmöglich wie die Auferstehung der Asche der Verbrannten aus der Tiefe des Ettersberges."
In "Der Aschenmensch von Buchenwald" versucht Ivan Ivanji das Unmögliche in Worte zu fassen, sowohl für sich selbst als auch für die Leser:innen. Ivan Ivanji, geboren 1929, hat das KZ Buchenwald überlebt und möchte in dem vorliegenden Buch denjenigen eine Stimme verleihen, deren Urnen man im April 1997 im Dachstuhl des Krematoriums in Buchenwald geborgen hat. Urnen ohne Deckel, Asche, die nicht mehr zuzuordnen ist. Und doch wird hier soviel mehr erzählt.
Es ist eigentlich überhaupt nicht möglich, dieses Buch in Worte zu fassen, ihm gleichzeitig gerecht zu werden und potentielle Leser:innen nicht zu verschrecken. Denn ganz sicher ist dieses Buch ebenso wichtig wie schrecklich und es geht auch nicht nur um die Stimmen der Verstorbenen, der Opfer, sondern auch um unseren Umgang mit ihnen.
Ivan Ivanji erzählt uns von Begegnungen mit Schüler:innen, mit Erwachsenen, mit Menschen, die damals in der Nähe des KZ gelebt haben und von all dem nichts mitbekommen haben wollen. Es geht um unsere Reaktionen, wenn wir Berichte von Zeitzeugen, von Überlebenden hören und es geht auch darum, was man überhaupt erzählen kann. Ist es zu grausam, einem Kind von den Geschehnissen zu berichten? Sind die Geschichten der Opfer zumutbar? Ja, möchte man sagen, natürlich ist das zumutbar, aber sehen wir das tatsächlich so?
"Und die Buchenwalder Lampenschirme aus tätowierter Menschenhaut, wann verdrängen wir auch sie? Die Bagger waren in Bergen-Belsen im Einsatz, in Buchenwald machte die geringe Zahl der Toten diese Art der Verscharrung unnötig. Eine geringe Zahl. Wie relativ alles ist. In den letzten drei, vier Monaten vor der Befreiung waren es ja nur vierzehn- bis fünfzehntausend Tote. Nur. Tote."
"Der Aschenmensch von Buchenwald" ist erstmals 1999 erschienen und ich behaupte einfach mal, dass diese Neuauflage zu kaum einem besseren Zeitpunkt hätte erscheinen können, als zu Beginn diesen Jahres. Wir können die Geschichte, die sich einfach nicht mehr wiederholen darf, nur dann wirklich verstehen, wenn wir den Überlebenden Gehör schenken. Wir erkennen die Grausamkeit nur dann, wenn wir mit uns dem auseinandersetzen, was damals wirklich geschehen ist, wenn wir nicht wegsehen, weil wir glauben, es nicht aushalten zu können. Wie sollen wir die Geschichten weitertragen, wenn wir sie nicht kennen? Wie viele der Überlebenden waren damals selbst noch Kinder und haben zufällig überlebt und zu welchem Preis?
Mit "Der Aschenmensch von Buchenwald" erzählt uns Ivan Ivanji viel mehr, als man hinter der Beschreibung vermuten darf. Wir erfahren nicht nur etwas über die Toten und darüber, was geschehen ist, sondern auch, wie man nicht über sie sprechen sollte und wie verletzend und blind wir sind.
Was der Mensch nicht sehen möchte, dass sieht er nicht - und doch hoffe ich, dass viele Leser:innen zu diesem Buch greifen und anschließend vielleicht ein anderes Verständnis haben, den Opfern, den Tätern und der Geschichte gegenüber.