Verkostungen
Einführung: Mit zunehmendem Alter verändern sich Sinneswahrnehmung und Essgewohnheiten. Der Geschmackssinn lässt – wie alle Sinne im Alter – nach, und auch der Geruchssinn schwächt sich ab. Dennoch bleiben der Genuss von Speisen und das gemeinsame Essen für ältere Menschen wichtig. Essen hat über die reine Nährstoffzufuhr hinaus einen großen sozialen Stellenwert; Riechen, Schmecken und gemeinsames Erleben sind Mittel der Kommunikation und Stimulation. Verkostungsangebote in der Altenpflege verbinden sinnliche Anregung mit Gemeinschaft: Sie regen alle fünf Sinne an (Geschmack, Geruch, Sehen, Fühlen, Hören) und wecken Erinnerungen. Gemeinsame Verkostungen – etwa von Lieblingsrezepten oder saisonalen Spezialitäten – fördern das Wohlbefinden und heben den Alltag aus der Routine. So heißt es etwa in Betreuungsleitfäden: „Der Höhepunkt des Nachmittags ist natürlich die Verkostung. Gemeinsames Tun schenkt Freude.“ Das gemeinsame Probieren und Erzählen schafft Gespräche über Geschmack, Kindheitserinnerungen und genussvolle Momente.
Zielsetzung der Maßnahme: Verkostungen verfolgen in der Pflege und Betreuung älterer Menschen mehrere Ziele: Im pflegerischen Bereich soll das Interesse am Essen und Trinken gefördert werden, um Appetitlosigkeit und Mangelernährung entgegenzuwirken. Oft hilft es, Speisen kräftig zu würzen und mit vertrauten Aromen anzureichern, denn starke Gewürze und Kräuter (z. B. Petersilie, Schnittlauch, Majoran) regen den Geschmackssinn und Appetit an. Verkostungen können auch dazu dienen, Pflegebedürftige aktiv in den Alltag einzubeziehen – das kann schon beim gemeinsamen Anrichten oder Portionieren von Speisen geschehen. Im Sinne der aktivierenden Pflege zielen solche Angebote darauf ab, Fähigkeiten und Selbstständigkeit zu fördern. So werden geistige Funktionen durch das Raten von Zutaten und Erinnern an Geschmäcker trainiert, motorische Fähigkeiten etwa beim Kneten von Teig oder Rühren von Mus gestärkt, und die Selbstpflegekompetenz angeregt. Jede Form von Verkostung ist also auch ein „Hilfe-zur-Selbsthilfe“-Angebot: Die Senioren übernehmen – unterstützt durch Pflegekräfte – beispielsweise Teilhandlungen des Zubereitens oder des Kosten selbst.
Im aktivierenden und therapeutischen Bereich steht das Sinneserlebnis im Vordergrund. Basale Stimulationstechniken etwa greifen gezielt alle Sinne auf, um Kommunikation, Körperwahrnehmung und Wohlbefinden zu verbessern. Geruchs- und Geschmackserlebnisse sind dabei besonders kraftvoll: Vertraute Düfte und Aromen aus Kindertagen können positive Emotionen und Erinnerungen wecken. In Studien zu Demenzbetreuung wurden Verkostungen sogar als Routineangebot eingesetzt, um Erinnerungen anzuregen – etwa im Rahmen von reminiszenter Therapie mit dem Schwerpunkt auf Speisen der Kindheit. Die aktive Teilnahme am Genießen lässt Betroffene sich weiterhin als Teil der Gemeinschaft erfahren und stärkt ihr Selbstwertgefühl.
Schließlich hat jede Verkostung eine soziale Komponente: Sie bringt Menschen an einen Tisch und fördert den Austausch. Gemeinsame Aktivitäten, bei denen Senioren sich eingebunden fühlen und wertgeschätzt werden, verbessern nachweislich Stimmung und kognitive Funktionen – sie wirken „positiv auf Demenzsymptome“. Das gesellige Probieren schafft Nähe und Zugehörigkeit. Gerade in Pflegeheimen, in denen Alltag und Mahlzeiten oft standardisiert sind, liefern Verkostungsevents Abwechslung und Teilhabe. Bewohner und Betreuungskräfte tauschen sich aus, lachen über Erinnerungen oder diskutieren über verschiedene Geschmäcker – dies stärkt das Gemeinschaftsgefühl und bekämpft Isolation.
Vor- und Nachteile: Verkostungen bieten viele Vorteile, bringen aber auch Aspekte mit, die beachtet werden müssen:
Gesundheitliche Vorteile: Durch abwechslungsreiche Kost kann Appetitlosigkeit begegnet und damit der Nährstoff- und Flüssigkeitsbedarf besser gedeckt werden. Altersgemäß gewürzte Speisen mit vertrauten Kräutern machen das Essen schmackhafter. Der stimulierende Effekt auf alle Sinne kann auch die allgemeine Motivation steigern und beim Erkennen von Lebensmitteln helfen. Studien zeigen zudem, dass solche sinnlichen Angebote die Lebensqualität verbessern können (Stichwort: Basale Stimulation).
Soziale Vorteile: Die Veranstaltung von Verkostungen verbindet Menschen. Gespräche über Geschmack, Rezepte und Vergangenes fördern den sozialen Austausch. Als Gruppenaktivität vermitteln sie Geborgenheit und bieten Senioren das Gefühl, „mitzuarbeiten“ oder teilzuhaben, was das Selbstwertgefühl stärkts. Viele Einrichtungen berichten, dass gerade gemeinsame Zubereitung und Verkostung von Speisen für freudige Momente sorgen.
Kognitive und motorische Aktivierung: Geschmackstests (etwa Erkennen von Früchten, Kräutern oder Süßigkeiten) schulen den Gedächtnisabruf und Konzentration. Beim Rühren, Schneiden oder Abfüllen sind Hand-Auge-Koordination und Feinmotorik gefragt. Solche Übungen eignen sich auch für Menschen mit Demenz, da sie von Erfolgserlebnissen begleitet sind (etwa wenn ein bekanntes Aroma richtig zugeordnet wird).
Gesundheitliche Risiken: Nicht jeder Bewohner kann bedenkenlos an Verkostungen teilnehmen. Bei Schluckstörungen, geistigen Einschränkungen oder bestimmten Erkrankungen (z. B. Parkinson, Schlaganfall) besteht das Risiko des Verschluckens oder einer Aspirationspneumonie. Hier ist Vorsicht geboten – gegebenenfalls sollten Nahrungsmittel püriert oder anderweitig angepasst werden. Auch müssen Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Diabetes oder kardiale Diäten berücksichtigt werden. Starke Gewürze (z. B. sehr scharf oder salzreich) können bei Bluthochdruck schaden. Zudem sollte vor allem bei Demenz geprüft werden, ob ein Angebot überfordern könnte – laute Geräusche oder komplexe Abläufe mögen manchen Teilnehmern Angst machen. Generell gilt: Jeder Schritt sollte gut erklärt und nur in kleinem Tempo eingeführt werden.
Soziale/psychische Nachteile: Manche Senioren fühlen sich beim Probieren unsicher oder lehnen Neues ab. Ein Ungleichgewicht kann entstehen, wenn Einzelne sehr dominant sind (z. B. beim Verteilen von Leckereien) oder andere schüchtern sind und sich kaum trauen. Auch kann es bei bestimmten Themen zu Unsicherheit kommen (Wer kennt dieses Gewürz noch? Wer hat Erfahrung damit?). Eine einfühlsame Moderation ist hier wichtig.
Praktische Aspekte: Verkostungen erfordern Vorplanung und Personalaufwand. Materialien und Lebensmittel müssen besorgt, gelagert und hygienisch vorbereitet werden. Pflege- und Küchenkräfte müssen zusammenarbeiten, und möglicherweise externe Helfer (z. B. Ehrenamtliche oder Angehörige) einbinden. Die Essumgebung sollte ruhig und einladend sein: Helle Räume, wenig Ablenkung und vertraute Sitznachbarn tragen zum Wohlgefühl bei. Gleichzeitig entstehen durch solche Events zusätzlicher Reinigungs- und Organisationsaufwand. Budgetfragen (wer bezahlt Obst, Gewürze, Dips?) und Zeitplanung (Tischzeiten, Tagesplanung) müssen früh geklärt sein.
Planung und Umsetzung in der Praxis: Eine erfolgreiche Verkostung braucht ein durchdachtes Konzept:
Themen und Inhalte: Bestimmen Sie vorab ein klares Thema, das Interesse weckt. Mögliche Ideen sind etwa „Reise durchs Land der Genüsse“ (nationale Küche), „Naschwerk der Kindheit“ (alte Süßwaren), „Herbst und Ernte“ (Kürbis, Apfel, Apfelmus), „Von der Wiese auf den Teller“ (Kräuter und Salate) oder „Schmecken wie früher“ (Familienrezepte). Ein anderes Thema kann „Blinde Verkostung“ sein, bei der die Senioren mit verbundenen Augen verschiedene Früchte oder Gewürze ertasten und raten. Wichtig ist, dass die Auswahl an Kostproben überschaubar bleibt (z. B. 3–5 kleine Portionen), damit niemand überfordert wird.
Vorbereitung: Erstellen Sie eine Einkaufsliste und Materialliste (siehe Beispiele der Aktivierungsangebote weiter unten). Klären Sie vorher alle gesundheitlichen Einschränkungen der Teilnehmer ab (Allergien, Diäten). Stimmen Sie sich mit der Küche ab: Häufig lässt sich ein kleiner Teil der Hauptküche für eine Tagesaktivität abzwacken oder es wird eine mobile Küchenstation organisiert. Viele Einrichtungen laden hierfür auch externe Anbieter oder Ehrenamtliche ein, zum Beispiel einen Eiswagen im Sommer. Sorgen Sie für genügend Besteck, Servietten, Gläser (siehe Praxis-Aktivierungen), aber auch für Hilfsmittel (z. B. rutschfeste Unterlagen, wenn jemand rührt).
Ablauf: Beginnen Sie die Verkostung mit einer kurzen Einführung: Erzählen Sie von der Idee und geben Sie eine Kostprobe oder einen Duft zur Einstimmung. Bei gemeinsamen Zubereitungen (Koch- oder Backgruppen) wird zuerst Material verteilt und einfache Arbeitsschritte erklärt. Geben Sie genügend Zeit zum Kosten – Hektik ist kontraproduktiv. Achten Sie auf eine ruhige Atmosphäre: Schalten Sie Störgeräusche aus, setzen Sie sich eventuell in einen Dekorations- oder Sinnesgarten und sorgen Sie für angenehme Beleuchtung. Wenn möglich, spielen Sie passende Musik (z. B. aus der Jugendzeit der Senioren) oder lassen leise Naturgeräusche hören, um das Ambiente zu bereichern.
Einbindung der Senioren: Binden Sie Senioren möglichst aktiv ein. Einige Teilnehmer können schon in der Vorbereitungsphase mithelfen (Rezepte ausprobieren, vorbereitendes Schälen oder Rühren), sofern es ihre Fähigkeiten zulassen. Fragen Sie nach ihren Vorlieben: Wird beispielsweise geschnittenes Gemüse blind verkostet, lassen Sie raten. Erzählen Sie Geschichten zum Thema: „Wer hat früher Krautkopf mit Rahm geliebt?“, „Welche Pflanze beim Spargelstechen hattet ihr am liebsten gerochen?“. Falls möglich, lassen Sie ältere Bewohner ein Rezept oder einen für sie typischen Geschmack mitbringen. In einer italienischen Verkostung könnte jeder zum Beispiel eine Kostprobe eines Familienrezepts beisteuern und gemeinsam probiert werden (Verkostung von Familienrezepten regt genau diese Art von Austausch an).
Einbindung des Personals: Pflege- und Betreuungskräfte sollten nicht nur dienen, sondern teilnehmen. Sie können als „Moderatoren“ fungieren: Sie leiten durch das Angebot, stellen Fragen wie „Was erinnert Sie an diesen Geschmack?“, und achten darauf, dass jeder mitmachen kann. Gleichzeitig müssen sie die Teilnehmer technisch beaufsichtigen (z. B. auf Schluckprobleme achten). Auch die Küchenleitung ist gefragt: Moderne Verpflegungsstandards empfehlen, Bewohner aktiv in Menüplanung und Zubereitung einzubeziehen. Lassen Sie z. B. beim Buffet selbst entscheiden, welche Speise probiert wird, oder organisieren Sie kleinere Gruppen, in denen Bewohner die Gerichte anrichten dürfen.
Nachbereitung: Im Anschluss an die Verkostung sollten Beobachtungen festgehalten werden: Was hat geschmeckt, welche Geschmacksrichtungen wurden erkannt? Pflegende und Betreuungskräfte können diese Rückmeldungen nutzen, um den Speiseplan anzupassen. Einfache Fragebögen oder Feedbackrunden helfen hier weiter. Dokumentieren Sie auch, ob die Senioren aktiv mitgemacht haben oder ob Sie Schwierigkeiten bemerkten (Schlucken, Konzentration). So lernen Sie für die nächste Veranstaltung.
Ideen für Verkostungsangebote
Die folgenden Aktivierungsangebote zum Thema „Verkostungen“ sind Beispiele für konkrete Umsetzungen. Jede Idee spricht verschiedene Sinne und Fähigkeiten an und kann flexibel angepasst werden. Verwenden Sie sie nach Bedarf in Gruppen oder im Einzelkontakt in stationären oder teilstationären Einrichtungen. Alle Aktivitäten sollten immer unter Berücksichtigung der Gesundheitslage der Teilnehmer ausgeführt werden.
Gesundes Smoothie-Tasting
Material: Mixer oder Stabmixer, verschiedene Früchte (z. B. Banane, Beeren, Apfel), Naturjoghurt oder Pflanzendrink, Gläser, Servietten.
Anleitung: Bereiten Sie gemeinsam mit den Senioren mehrere fruchtige Smoothies zu. Jeder kann eine Zutat beitragen (z. B. Banane schneiden, Joghurt dazugeben). Geben Sie leichte Mengen in Gläser. Die Bewohner kosten und bewerten Aussehen, Geruch und Geschmack.
Beispiel: Mango-Banane, Erdbeer-Bananen und Apfel-Spinat-Smoothie. Die Teilnehmer beschreiben die Farben („schön gelb“), nennen die Früchte und sagen, was ihnen am besten geschmeckt hat.
Teeverkostung international
Material: Auswahl verschiedener Tees (z. B. grüner, schwarzer, Kräutertee, Früchtetee), heißes Wasser, Tassen, Löffel, evtl. Honig oder Zitrone, Geschirrhandtücher.
Anleitung: Bringen Sie unterschiedliche Teesorten in kleinen Behältern mit, damit die Senioren den Duft vorher erschnuppern können. Danach wird jede Sorte aufgebrüht. Gemeinsam verkostet man den Tee – mit oder ohne Süße. Fragen Sie nach den verschiedenen Geschmacksnoten und Vorlieben.
Beispiel: Lassen Sie eine Bewohnerin aufstehen und beim Eingießen helfen. Bitten Sie die Gruppe, zu raten, ob der erste Tee aus Pfefferminze oder Kamille besteht (Vanille-Tee vs. Pfefferminze, Zitronentee usw.).
Saure-, süße- und salzige Kostprobe
Material: Kleine Portionen von sauren (Zitrone, saure Gummibärchen), süßen (Schokolade, Marmelade), salzigen (Käsewürfel, Salzgebäck) Häppchen, je nach Diät geeignet, Pappteller.
Anleitung: Verteilen Sie die Proben auf einem Tisch und kosten Sie diese der Reihe nach. Besprechen Sie, wie die Geschmacksrichtungen wirken: Gibt es jemanden, der sauer gar nicht mag? Wer fand die Schokolade zu süß?
Beispiel: Ein Bewohner ist überrascht, dass ein saures Bonbon so anders wirkt als ein süßes. Das An- und Abschminken von Geschmack weckt Erinnerungen an Kindheit und kann Gespräche über Essgewohnheiten fördern.
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