Empathie mit den Empathielosen? (Die Ermordung von Charlie Kirk)
Charlie Kirk ist tot. Der 31-jährige MAGA-Influencer (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) wurde bei einem Auftritt im Rahmen der „The American Comeback Tour“ an der Utah Valley University in Orem, Utah, erschossen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Ausgerechnet während eines Dialogs, in dem es um Waffengewalt ging, fiel in der Ferne ein Schuss, der den vor ca. 3000 Menschen auf einer Bühne sitzenden Kirk in den Hals traf, woraufhin er verblutete. Die vielleicht wichtigste junge Stimme der US-amerikanischen Ultrarechten – ermordet. Das Ergebnis: Die USA sind in Aufruhr, der Schütze ist flüchtig (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die schon aufgeheizte politische Stimmung kocht weiter über.
Und US-Präsident Trump tut, was Präsident Trump eben tut. Öl ins Feuer kippen, weiter anheizen. „Niemand verstand die Jugend in den Vereinigten Staaten von Amerika besser als Charlie“, schreibt er auf Truth Social. Ohne einen Attentäter und ohne Ermittlungsergebnisse abzuwarten, kennt Trump bereits die Schuldigen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre): Radikale Linke, MAGA-Kritiker. Kurzum alle, die seine autoritäre Umstrukturierung der USA, die viele Faschismusexperten mittlerweile auch Faschismus (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) nennen, nicht mitmachen. Am Abzug waren alle Linken, alle Progressiven – das ist Trumps Botschaft.
Dass der US-Präsident betroffen ist, ist verständlich. Nicht nur, weil er Charlie Kirk gut kannte – der Influencer war ein enger Vertrauter und erst im Mai im Oval Office zu Gast. Vor allem aber verliert Trump einen Gleichgesinnten, der die rechtsnationalistische Politik des fast 80-jährigen Präsident stets linientreu übersetzt hat für die über ein halbes Jahrhundert jüngere Tik-Tok-Generation. Zu seinen Ehren weht die Fahne auf allen Regierungsgebäuden auf Halbmast (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), so die präsidentielle Anordnung auf der Webseite des Weißen Hauses.
Gleich und Gleich gesellt sich gern
Ein Blick auf die Personalie Kirk (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) zeigt: der Autor, Podcaster und Aktivist Charlie Kirk war genau die Sorte Extremist, die Donald Trump gefällt. Den Civil Rights Act (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von 1964, ein US-amerikanisches Bürgerrechtsgesetz, das als eines der bedeutendsten Gesetze gegen die Diskriminierung von Afroamerikanern die Gleichstellung aller US-Bürger vorangetrieben hat, nannte Kirk mal einen „riesigen Fehler (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ („huge mistake“) und einen Ursprung „permanenter, DEI-artiger Bürokratie“ („permanent DEI-type bureaucracy (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“; DEI bezeichnet „Diversity, Equity, and Inclusion“, d.h. Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion – die Bezeichnung ist im MAGA-Lager Beschimpfung und Feindbild zugleich). Den ikonischen US-Bürgerrechtler Martin Luther King bezeichnet Kirk als „schlechten Mann“, die gleichgeschlechtliche Ehe war für ihn eine „Sünde“, und der zweite Verfassungszusatz der USA, welcher die Erlaubnis zum Waffenbesitz garantiert, war in seinen Augen „leider die paar Toten pro Jahr wert (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“, die durch Waffengewalt sterben.
Zum Begriff „Empathie“ sagte Kirk (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre):
„Ich kann das Wort Empathie eigentlich nicht ausstehen. Ich denke, Empathie ist ein erfundener New-Age-Begriff, der viel Schaden anrichtet.“
Äußerungen, die wir auf ähnliche Weise von anderen Rechten kennen, zum Beispiel von Tech-Milliardär Elon Musk, der Empathie „die größte Schwäche des Westens (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ nannte.
Treten wir nun also einen Schritt zurück. Was ist die ethische Perspektive auf den Mordfall Charlie Kirk und auf die politische Polarisierung, innerhalb jener dieser stattfand? Wie steht es um die moralische Anteilnahme am Schicksal eines Mannes, der so wenig auf andere gab? Sind wir ethisch zum Mitgefühl verpflichtet, selbst gegenüber jenen, die auf das Leben und die Würde ihrer Mitmenschen spucken? Wie viel Empathie schulden wir den Empathielosen?
Was du nicht willst, das[s] man dir tu'
Das Feld der Ethik (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) hat eine jahrtausendealte Geistesgeschichte. Seit der Antike zerbrechen sich Philosophen den Kopf darüber, was das Gute ist, was gute Handlungen ausmacht und wie wir als Menschen, als politische Wesen („Zoon politikon“), zueinander sein sollten. Die Antworten auf diese Grundfragen sind vielfältig. Eine, die uns auch ohne Studium der Philosophie schnell einleuchtet, lautet: „Behandle andere so, wie du selbst gerne behandelt werden möchtest“. Diesen auch als Goldene Regel (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) bekannten Satz gibt es auch in Reimform, z.B. als „Was du nicht willst, das[s] man dir tu', das füg auch keinem andern zu!“
Im Fall von Kirk, Musk und Trump – und vielen allen skrupellosen, empathielosen Menschen, hierzulande wäre die AfD (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) zu nennen – sehen wir nun etwas, das uns auf den ersten Blick irritiert. Sie fordern ethisch etwas ein, das sie selbst nicht bereit sind zu leisten. Wir sollen mit ihnen und ihrem Schicksal mitfühlen, während sie keineswegs bereit sind, so auch mit anderen (sprich: auch mit uns) zu verfahren. Ein klarer Verstoß gegen die Goldene Regel; ein Missverhältnis, das aus einem Überlegenheitsgefühl heraus resultiert.
Der Gedanke der „White Supremacy (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ ist allzu oft verbunden mit Vorstellungen von klassenmäßiger Überlegenheit (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) – rechte Unternehmer wie Musk, Politiker wie Trump und Influencer wie Kirk halten sich nicht bloß für etwas Besseres, weil sie weiß sind, sondern zeitgleich, weil sie reich sind. Und ebenso, weil sie Männer sind; aus einer patriarchalen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Gedankenwelt wird die eigene Vormachtstellung abgeleitet.
Aus dem Irrglauben der eigenen Superiorität folgt schließlich die Abwertung anderer Menschen, ganzer Menschengruppen, weswegen die Soziologie folgerichtig von „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ spricht.
Mitfühlen mit den Menschenfeinden
Mit diesen Menschenfeinden sollen wir nun mitfühlen? Ihren Schmerz ernstnehmen? Zum Tod von Charlie Kirk kondolieren? Im Ernst?
Meine kurze Antwort hierauf lautet: Ja. Michelle Obama formulierte vor einigen Jahren das Credo: „When they go low, we go high“. Gemeint war die Idee, kommunikative Tiefschläge von Trump und Co nicht 1:1 zu erwidern, nicht selbst vulgär zu werden, sondern nichtsdestoweniger am eigenen Niveau und am eigenen Anstand festzuhalten.
Als Kommunikationsstrategie ist „When they go low, we go high“ gescheitert; eine höfliche Kamala Harris hat die Präsidentschaftswahl gegen einen rüpelhaften Donald Trump verloren.
Als ethische Strategie jedoch ist ein Mindestmaß an Anstand weiterhin der richtige Weg! Wenn die Neue Rechte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) versucht, den moralischen Gesellschaftsvertrag zwischen den Menschen aufzukündigen und sich vollends ihren Rassismen und Sexismen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) hingibt, müssen wir das politisch bekämpfen – zweifellos! Den Einfluss rechtsextremer Politik gilt es zu minimieren, mit allen Mitteln!
Das heißt allerdings nicht, dass wir die Ermordung des politischen Gegners gutheißen sollten. Wer jetzt ansetzt, den Schmerz des politischen Gegners zu verspotten (wie jene zum Beispiel, die in den sozialen Medien witzeln, wie es denn sein könne, dass Kirk einfach so sterbe, wenn er doch angeblich so „pro life (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ sei), der geht buchstäblich so „low“, dass er sich selbst, und die moralische Messlatte allgemein, grundlos erniedrigt. Es ist möglich und sinnvoll, Mitgefühl auch mit jenen (und ihren Angehörigen) zu haben, die selbst eine wichtige Portion Mitgefühl vermissen lassen. Es kostet Überwindung, ist aber möglich.
Mitgefühl zu haben bedeutet wiederum nicht, dass man politische Verantwortlichkeiten ausblendet. Die Autorin Andrea Juncker schreibt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre):
„Lassen Sie uns eines von Anfang an klarstellen: Charlie Kirk war das Opfer einer Schießerei in einem Land, in dem er zusammen mit anderen rechtsextremen Influencern seit Jahren zu Gewalt aufruft. Kirk ist weder ein Märtyrer noch ein Held, er ist eine Ursache.“
Das stimmt. Die amerikanische Rechte will so ziemlich alles und jeden, der nicht bei drei auf dem Baum ist, mit Waffen ausstatten. Trumps republikanische Partei ist gegen Sicherheitsüberprüfungen beim Waffenkauf und ihre Untätigkeit nach jedem mass shooting (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) – allein im Jahr 2025 sind über 300 Menschen gestorben, über 1300 Menschen wurden verwundet – ist atemraubend. Und wo der berühmte „Good Guy with a Gun“ war, um den Kirk-Attentäter zu stoppen: fraglich. Alles und jeden zu bewaffnen ist schlichtweg ein hirnrissiges Konzept, das man immer wieder kritisieren muss.
Ebenso lassen Trump und Konsorten jeglichen Anstand missen, wenn demokratische Politiker angegriffen oder gar ermordet werden, wie erst im Juni die US-Politikerin Melissa Hortmann und ihr Ehemann (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) in Minnesota. Schlimmer noch: Paul Pelosi, den Ehemann der US-amerikanische Politikerin der Demokratischen Partei Nancy Pelosi, welcher mit einem Hammer angegriffen und verletzt wurde, verspottete Trump mehrfach (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Da gab es keine Flaggen auf Halbmast, sondern Gift auf Truth Social. Donald Trump Jr., der Sohn des Präsidenten, schlug sogar damals vor, sich als angegriffener Paul Pelosi an Halloween zu verkleiden (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Spott ist einfach, Mitgefühl schwer
Trotzdem wäre es an dieser Stelle falsch, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Wir haben es in der Hand, ob wir unseren niedersten Instinkten nachgeben, und den Mord an einem Menschen feiern, nur weil wir seine Ansichten verachten. Und damit das klar ist: Was Charlie Kirk und seine Gleichgesinnten sagen, denken und politisch durchsetzen ist nichts anderes als verachtenswert. Es ist reaktionär, rassistisch, sexistisch und steht für alles, was wir als Menschheitsgemeinschaft glauben im Laufe der Jahrhunderte zu überwinden. MAGA, AfD und Co sind ein zivilisatorischer Rückschritt und ein politisches Elend – und wenn wir nicht aufpassen, zerstören sie nicht nur gesellschaftlichen Fortschritt, sondern ganz konkret das Leben von Menschen.
Und nichtsdestoweniger sollten wir ihnen weder den Tod wünschen noch ihren Tod feiern. Gavin Newsom, vielleicht der härteste Trump-Kritiker momentan, macht es vor, indem er schreibt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre):
„Wir alle sollten tiefe Trauer und Empörung über die schreckliche Gewalt empfinden, die sich heute in Utah ereignet hat. Der Mord an Charlie Kirk ist abscheulich und verwerflich, und unsere Gedanken sind bei seiner Familie, seinen Kindern und seinen Angehörigen.“
Das hat Größe. Nicht demokratische Größe, nicht republikanische Größe – das hat menschliche Größe. Der Tod von Charlie Kirk ist und bleibt, trotz aller politischen Differenzen, vor allem eines: Der Mord an einem Menschen.
Das anzuerkennen ist ein erster Schritt aufeinander zu.
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