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Rüstung als Zukunftsindustrie

ANALYSE / VERTEIDIGUNG IN DER LAUSITZ

Was E-Mobilität und Energiewende bisher nicht leisten konnten, scheint nun die Verteidigung zu schaffen: die Rettung alter Industriebetriebe. Was ist dran am Rüstungs-Boom? Und will die Lausitz ihn wirklich?

  1. Februar 2025

Präsentation der Rahmenvereinbarung zur Übernahme des Standorts Görlitz durch KNDS mit Bundeskanzler Olaf Scholz und dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Foto: Alstom
Präsentation der Rahmenvereinbarung zur Übernahme des Standorts Görlitz durch KNDS mit Bundeskanzler Olaf Scholz und dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Foto: Alstom

Große Ankündigungen hatte es nicht gegeben. Eine kleine Feier fand dann doch statt im alten Waggonwerk in Görlitz. Man habe eine „nachhaltige Lösung für den Standort“ gefunden, betonten die Redner, darunter der Bundeskanzler und der Ministerpräsident. Ein Großteil des Personals würde vom neuen Eigentümer übernommen. Man sei sich weitgehend einig über den beschlossenen Weg. Das Wichtigste aber: Bei Alstom in Görlitz gehen die Lichter die aus. Der Weggang von Alstom, den die Stadt seit Jahren hat kommen sehen, ist nicht das Ende einer ganzen Industrie. In dem Werk mit 175 Jahren Tradition wird weiter produziert.

So weit sind sich Alstom und KNDS Deutschland bis jetzt einig. Ein finaler Verkauf wurde noch nicht verkündet. Stattdessen hieß es, die Verhandlungen zwischen den beiden Konzernen hätten eine „wichtige Hürde genommen“. Der Übergang des Standortes erfolgt schrittweise und wird voraussichtlich 2027 abgeschlossen sein.

Olaf Scholz (SPD) und Michael Kretschmer (CDU) waren anwesend, um die Verhandlungen zu bestärken und politisch zu unterstützen. „Es sind sehr gute Nachrichten, dass Industriearbeitsplätze erhalten bleiben, obwohl Alstom aus Görlitz weggeht“, sagte Scholz. Kretschmer war erleichtert, „dass es weitergeht, dass auch künftig an diesem Ort investiert und produziert wird“. An die ganz große Glocke hängen wollten die beiden das Ereignis aber nicht. Denn der angepeilte Verkauf hat eine heikle Seite. Waggons werden in dem Traditionswerk wohl nicht mehr hergestellt, dafür Panzerteile. Noch in diesem Jahr will KNDS mit der Produktion beginnen.

Rekordumsätze und Tariflöhne

Nachrichten wie diese rücken den Krieg in der Ukraine näher an die Lausitz. Der Einstieg von KNDS ist eine direkte Folge der steigenden Nachfrage nach Rüstungsgütern - und der Investitionen des Bunds in diesem Bereich. Der deutschfranzösische Rüstungskonzern mit Sitz in Amsterdam macht nach mehreren Fusionen neuerdings Rekordumsätze. Mit Europas Lieferungen von Kriegsgerät an die Ukraine wachsen die Aufträge und neue Produktionsstätten werden benötigt. In Görlitz sollen der Kampfpanzer Leopard 2, der Schützenpanzer Puma und Teile des Radpanzers Boxer vom Band laufen. „Damit erweitern wir unsere Fertigungskapazitäten um die Verteidigungsfähigkeit von Deutschland zu stärken“, sagte Florian Hohenwarter, COO von KNDS.

Dieser Satz war in jüngster Zeit öfter zu hören in der Lausitz. Etwa vom Bundesverteidigungsminister, als er im April 2024 einen neuen im Kreis Bautzen ankündigte. „In den vergangenen 30 Jahren ging es eigentlich immer nur darum, Standorte zu schließen“, sagte Boris Pistorius (SPD) - nun aber würden neue entstehen. Dieser Trend umfasst auch die dazugehörige Industrie, für die die Lausitz nicht nur wegen der Nähe zur Ostgrenze interessant ist, sondern auch wegen der guten Bedingungen der Strukturförderung.

Verteidigung als Wirtschaftsfaktor im Strukturwandel - das ist ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke. Es fällt aber auf: Hier boomt eine Industrie, die sich sonst lieber bedeckt hält. Gerade in Ostdeutschland, wo viele Menschen damit hadern, dass Deutschland die Ukraine gegen Russland unterstützt - und Europa sich gegen den einstigen großen Bruder im Osten wappnet. In Wirtschaftskreisen indes ist die Rüstung gern gesehen. Gerade dort, wo es um den Erhalt von Industriearbeitsplätzen geht. In Görlitz werden auch nach der Übernahme weiter Löhne nach IG-Metalltarif bezahlt. „Eine Produktionsstätte dieser Größenordnung bietet auch den Unternehmen in der Umgebung Möglichkeiten“, sagt Frank Großmann von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden. „Etliche unserer Unternehmen sind sehr daran interessiert, mit KNDS zusammenzuarbeiten.“ Verteidigungsindustrie übernimmt damit das, was in der Automobil- und Eisenbahnbranche unsicher geworden ist.

Schwung für Lübben und Ortrand

Und nicht nur dort. Im Spreewerk Lübben plant der Rüstungskonzern Diehl Defence den Bau einer Munitionsfabrik. Das Spreewerk hat eine lange und bewegte Geschichte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), zu der auch tödliche Unfälle in den letzten Jahren und Jahrzehnten gehören. Auf dem Gelände sechs Kilometer nördlich von Lübben wurde lange Munition produziert und zuletzt entsorgt. 2019 wollten die Spreewerke auf das Recyceln von Lithium-Ionen-Batterien umsatteln. Doch der Einstieg in die vielversprechende E-Auto-Industrie gelang nicht. Die neuen Eigentümer wollen noch in diesem Jahr eine Zünder- und Munitionsfabrik hochziehen. Es geht um 50 Arbeitsplätze und 50 Millionen Euro Investition.

Auch für die Eisenhütte in Ortrand stehen Rüstungspläne im Raum. Der Betrieb, der im Januar erneut Insolvenz anmelden musste, sucht seit Jahren nach zukunftsfähigen Geschäftsfeldern. Die Herstellung von Munition könnte neuen Schwung bringen. Allerdings auch Ängste und Konflikte.

In der Stadtverordnetenversammlung von Ortrand - wie auch von Lübben - hat das Thema bereits hohe Wellen geschlagen. Die Stadtoberhäupter bemühten sich dabei um Pragmatismus. Wie auch der Görlitzer Oberbürgermeister: „Die Industriearbeitsplätze in unserer Stadt und der Region sind das Rückgrat unserer Wirtschaft“, sagte Octavian Ursu (CDU). „Es ist unsere oberste Priorität, diese Arbeitsplätze zu sichern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine verlässliche Perspektive zu bieten.“ Bis zu 400 der jetzt 700 Beschäftigten sollen bei KNDS weiterarbeiten.

700 Millionen in Holzdorf

Der Kampf um den Erhalt der Oberlausitzer Alstom-Werke dauert bereits Jahre. Seit Sommer 2024 ist klar, dass Alstom die Herstellung von Zügen aus Görlitz abzieht und in Bautzen konzentriert. Damals war von mehreren Interessenten die Rede, die das Görlitzer Waggonwerk übernehmen wollten. Schon der Vorbesitzer, der kanadische Bombardier-Konzern, hatte Schwierigkeiten, die Werke zu halten. Bombardier verkaufte 2021 an den französischen Konzern Alstom. Vom Trend zur CO2-neutralen Mobilität haben die Lausitzer Eisenbahn-Produktionsstätten nicht profitieren können, auch Görlitz nicht. „Es ist bitter, dass die Produktion der so wichtigen "Zukunftsindustrie Bahn" dort ab 2026 zu Ende geht", sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Kathrin Michel.

Ob hier allerdings eine neue Zukunftsindustrie gefunden ist, wird nicht nur in Görlitz angezweifelt. „Rüstungskonzerne sind auf Wachstumskurs, sie sind die einzigen Profiteure von Kriegen“, sagte die Linken-Fraktionschefin im Sächsischen Landtag, Susanne Schaper. „Niemand sollte es feiern, wenn eine neue Rüstungsfabrik entsteht.“ Die Zukunft liege nicht im Militär.

Fürs Erste allerdings entsteht durch die Rüstung sogar Neues. Im Kreis Elbe-Elster zieht der Ausbau des Bundeswehr-Standorts Holzdorf (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) erste Investoren an. So will sich der Technik-Dienstleister in Herzberg ansiedeln. Für die Niederlassung im Gewerbegebiet der 10.000-Einwohner-Stadt haben das Unternehmen und die Stadt am Freitag den Spatenstich gesetzt. Entstehen soll ein sogenanntes „ESG Chinook Support Center Herzberg“, das die Boeing-Hubschrauber warten kann, die in Holzdorf stationiert werden.

Der Luftwaffenstützpunkt Holzdorf/Schönewalde zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt soll zu einem der größten in Deutschland werden. Noch in diesem Jahr werden dort Teile des Raketen-Abwehrsystems „Arrow 3 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ stationiert, ab 2027 sollen 47 schwere Transporthubschrauber vom Typ Boeing CH 47 F Chinook (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) hinzukommen. Es ist eine Rüstungsmaßnahme, für die der Struktureffekt gleich mit eingeplant ist: Für Investitionen ins Umfeld hat das Land Brandenburg 100 Millionen Euro aus Strukturmitteln locker gemacht. 


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