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„Unseren Standortvorteil sichern wir nicht mit russischem Gas“

INTERVIEW / MICHAEL KELLNER ÜBER MITTELSTAND UND ENERGIE

Die Energiepolitik der Grünen wird in Lausitzer Unternehmerkreisen heftig kritisiert. Zu Unrecht, findet Wirtschafts-Staatssekretär Michael Kellner. Genau diese Politik habe etliche mittelständische Betriebe aus einer akuten Krise geboxt.

  1. Februar 2025

Für jeden, der von der Energiewende profitiert, gibt es zwei, die daran nicht glauben, die Lust am Scheitern haben, die sich am Alten festklammern. Foto: Nils Leon Brauer
Für jeden, der von der Energiewende profitiert, gibt es zwei, die daran nicht glauben, die Lust am Scheitern haben, die sich am Alten festklammern. Foto: Nils Leon Brauer

Herr Kellner, wie berechtigt sind die Sorgen um Mittelstand?

Wir haben eine wirtschaftlich schwierige Situation in diesem Jahr gehabt, keine Frage. Wir sehen auch, dass das einige Unternehmen besonders hart trifft. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Energiepreise runter bekommen. Und dass wir die riesigen Möglichkeiten nutzen, die wir gerade in den Kohleregionen haben.

Welche Unternehmen trifft es besonders hart? Liegt es an der Größe oder an der Betriebsstruktur?

Wir haben Branchen, die besonders betroffen sind. Wie das Chemiedreieck in Leuna und Bitterfeld, da treffen die Energiepreise größere und kleinere Betriebe. Besonders betroffen ist auch die Grundstoffindustrie.

Einige sprechen von einer verfehlten Energiepolitik der Grünen und ihres Wirtschaftsministers. Wie nehmen Sie diese Kritik auf?

Mit den Fakten. Wenn wir uns die aktuellen Strompreise für Industriekunden ansehen, liegen die auf der Höhe von 2017. Bedenken Sie, was dazwischen alles los war. Ich finde, es ist ein Riesenerfolg von Robert Habeck, dass wir das erreicht haben und zugleich den Ausbau der erneuerbaren Energien auf Rekordstände bringen konnten. Das haben wir geschafft, obwohl wir eine desolate Lage in Deutschland vorgefunden hatten. Wo wir noch ran müssen, das ist bei den Preisen für Erdgas, die sind nach wie vor zu hoch. Das liegt aber nicht an Robert Habeck, sondern an der langjährigen Abhängigkeit von Russland, in der wir uns befunden haben. Wir haben die Gaspreise ein Stück weit senken können. Aber seit dem Ukrainekrieg müssen wir das Gas aus allen Ecken der Welt herholen. Nicht weil Grüne das so wollten, sondern weil Russland kein Gas mehr geliefert hat. Das ist eine Wahrheit, die oft vergessen wird. Wir haben mit unserer Energiepolitik etliche mittelständische Betriebe aus einer akuten Krise geboxt.

Wer ist eigentlich der ostdeutsche Mittelstand - im Unterschied zum westdeutschen?

Die Unterschiede sind da nach wie vor groß. Ich sehe, dass sich viele mittelständische Unternehmen im Osten gerade mit der Nachfolge schwertun. Diese Unternehmen sind in den 1990ern gegründet worden, die Gründerinnen und Gründer wollen jetzt verdientermaßen in die Rente gehen. Sie sehen aber, dass sie schwer geeignete Nachfolger finden, weil der demografische Wandel im Osten stärker zuschlägt. Viele junge Leute sind in den 90er Jahren weggegangen, dadurch fehlt jetzt eine Unternehmergeneration, die wir dringend brauchen. Außerdem sind die ostdeutschen Unternehmen im Durchschnitt kleiner.

Macht das die Lage grundsätzlich schwieriger?

Nicht nur. Es ist auch viel Neues entstanden. Wir haben mittlerweile viele hochinnovative mittelständische Unternehmen im Flugzeugbau oder in der Medizintechnik. Dazu gehören große Unternehmen in den erneuerbaren Energien, die im Osten gegründet wurden und erfolgreich Jobs geschaffen haben. Deswegen ist mir diese Untergangsstimmung zu pauschal, da lohnt sich ein zweiter Blick.

Warum ist es Ihrer Partei trotzdem nicht gelungen, die Energiewende als wirtschaftliche Chance im ländlichen Raum beliebt zu machen?

Für jeden, der von der Energiewende profitiert, gibt es zwei, die daran nicht glauben, die Lust am Scheitern haben, die sich am Alten festklammern. Das ist übrigens ein gesamtdeutsches Problem, dass wir so sehr am Alten hängen, dass wir nicht ins Neue kommen. Wir reden so lange über Verbrennungsmotoren und merken nicht, dass uns das chinesische E-Auto davonfährt. Wir erklären die Ölheizung für heilig und vergessen, welche Dynamik bei Wärmepumpenherstellern auch in der Lausitz herrschen könnte. Mittelständische Unternehmen profitieren von dem, was wir machen. Sie können sich Stromzellen aufs Dach schrauben, dann zahlen sie einen Bruchteil der Strompreise bei den Stadtwerken. Warum? Weil wir alle Abgaben und Steuern für selbstgenutzten grünen Strom runtergenommen haben. Es sind viele Instrumente da, man muss sie aber auch ergreifen wollen.

Also sind die Energieprobleme der Wirtschaft ein Stück weit selbst gemacht?

So weit würde ich nicht gehen. Aber es sind am Ende die Unternehmen selbst, die entscheiden und investieren müssen. Wie der große Aluminiumbetrieb in Thüringen, wo ich neulich war. Die bauen ein neues Werk, investieren Millionen und sichern ihre Energie mit einer 1000-Kilowatt-Solaranlage. So entstehen Arbeitsplätze, die krisenfester sind als andere, die immer noch auf russisches Gas hoffen. Aluminium verarbeiten und zuschneiden kostet einen Haufen Energie. Aber dort weiß offensichtlich jemand, dass die Kosten mit Solar beherrschbar bleiben, und hat entsprechend gehandelt. Wir, also der Staat, sind für die Rahmenbedingungen zuständig und die haben wir verbessert.

Die Nähe zum russischen Gas wird in der ostdeutschen Wirtschaft als entscheidender Standortvorteil gesehen.

Das war vielleicht mal so, verbunden mit einem immensen Risiko. Wir haben erlebt, was das bedeutet: nämlich Abhängigkeit. Um den Standortvorteil zu sichern, brauchen wir kein russisches Gas, sondern wir brauchen Fachkräfte und eine Offenheit für Einwanderung. Wenn da ein Brandenburger Malerbetrieb ist, wo einer von drei Azubis Migrationsgeschichte hat, dann ist klar, ohne diese Leute würden diese Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Meine Sorge ist deshalb eher, dass größere Teile der ostdeutschen Gesellschaft auf Abschottung setzen, anstatt Menschen, die wir dringend brauchen, willkommen zu heißen.

Unternehmen klagen auch über zu viel Bürokratie. Die ist durch die Energiewende ja nicht weniger geworden.

Es gibt einen berechtigten Frust über die Bürokratie. Deswegen unterstützen das BMWK und ich die Lausitzer Kommunen, die sich als Net Zero Valley (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) bewerben. Ich habe große Hoffnung, dass wir dadurch zu schnelleren Entscheidungen kommen, wenn es um die Förderung von Transformationstechnologien geht. Das ist auch für Klima- und Umweltschutz wichtig, denn wir werden die Klimaziele nur erreichen, wenn wir jetzt schnell investieren. Wenn solche Dinge ewig lange dauern, dann hat keiner was davon.

Welche Rolle wird die Braunkohle künftig spielen?

Eine immer geringere. Deswegen dürfen wir die Investitionen ins Neue nicht aus den Augen verlieren. Wir sehen, dass immer weniger Kohle verbrannt wird, das ist eine super Nachricht. Die Kohlekraftwerke laufen nicht mehr sieben Tage die Woche. Ich wäre für einen angepassten Ausstiegspfad gewesen…

…also einen früheren Kohleausstieg als 2038.

Ja, aber das wollten die Länder und die Leag nicht. Ich bleibe dabei: Wir unterstützen alles, was ins Neue geht. In der Lausitz entstehen mehr neue Jobs als alte verschwinden.

Die Leag hat sich neu aufgestellt. Werden Sie auf den neuen Vorstandschef zugehen wegen eines früheren Kohleausstiegs?

Die Gespräche mit der Leag laufen konstant weiter. Das ist mir wichtig. Die Leag ist auch nicht das Problem, sondern die Eigentümer dahinter. Der EPH-Konzern verspricht sich anscheinend mehr Geschäft davon, wenn die Kohle später endet, obwohl sie ja auch stark in die Erneuerbaren investieren. Ich empfinde das als Widerspruch und würde den gern auflösen.

Michael Kellner, Jahrgang 1977, ist als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium zuständig für die Mittelstandspolitik der Bundesregierung. Der gebürtige Geraer hat Politikwissenschaft studiert und ist seit 1997 Mitglied der Grünen. Mit Michael Kellner sprach Christine Keilholz. 


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