Passer au contenu principal

Ist das Lausitz Festival ein Gewinn für die Lausitz?

PRO & CONTRA / KULTUR IN SACHSEN UND BRANDENBURG
  1. November 2023

Ein Fremdkörper im leeren Raum? Die Eröffnung des Lausitz Festival 2023 im Hangar 1 in Cottbus. Foto: Nicolai Schmid
Ein Fremdkörper im leeren Raum? Die Eröffnung des Lausitz Festival 2023 im Hangar 1 in Cottbus. Foto: Nicolai Schmid

Nein, sagt Claudia Arndt. Es bietet Kunst für Eliten und vernachlässigt regionale Besonderheit. Zur effektiven Förderung von kultureller Vielfalt leistet das Lausitz Festival keinen Beitrag.

Oft wird das Lausitz-Festival als ein Leuchtturm präsentiert, der die regionale Identität stärken soll. Doch bei genauerer Betrachtung stellt sich die Frage: Wie nachhaltig ist das jährliche Festivalprogramm wirklich? Wie attraktiv ist es für Menschen und Künstler:innen in der Lausitz selbst? Beim Lausitzer Kulturforum in Doberlug-Kirchhain wurde Anfang November deutlich, dass die Einbeziehung authentischer Lausitzer Expertise von Anfang an nicht auf der Agenda stand. Was bleibt also an der Basis, wenn Leuchttürme, die aus der Ferne kommen, nur in die Ferne strahlen?

Das Kulturministerium von Brandenburg hat inzwischen eingeräumt, dass es dem Festival an Beteiligung der Kulturschaffenden aus der Lausitz mangelt. Dies geht aus einer Analyse der Beamten von Ministerin Manja Schüle (SPD) hervor. Auch die Verteilung der Spielstätten zeigt demnach ein bedrückendes Ungleichgewicht zwischen den Landkreisen. Vor allem die peripheren Gebiete nördlich von Lübbenau und Senftenberg gehen dabei so gut wie leer aus. Stattdessen ist eine zunehmende Konzentration auf die Spielorte Cottbus, Görlitz und Bautzen zu beobachten. Dies wirft die Frage auf, warum ein Festival, das den Namen der Region trägt, nicht für alle Menschen in der Region zugänglich ist.

Festival für wen eigentlich

Das gilt nicht nur für die Künstler, sondern auch für das Publikum. Das Feedback aus der Bevölkerung aber spricht Bände: "Ich habe nichts davon mitbekommen" oder "Was soll das sein?", solche Äußerungen sind weit verbreitet. Auf Anfrage der Linken im Landtag Brandenburg gab Schüles Ministerium eine Liste mit 3.386 besetzten Plätze in diesem Jahr heraus. Die Geschäftsführung des Festivals sprach beim Kulturforum von 5.000 erreichten Menschen in der Ober- und Niederlausitz, obwohl 1,3 Millionen Menschen in der Lausitz leben. Selbst wenn alle Plätze von örtlichen Besuchern besetzt worden wären, hätte das Festival damit nur knapp 0,4 Prozent der in der Region lebenden Menschen erreicht.

Die zentrale Frage, die sich beim Lausitz-Festival stellt, lautet daher: Für wen wird dieses kulturelle Ereignis eigentlich veranstaltet? Dieses Thema gewinnt an Bedeutung angesichts der wachsenden Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit des Festivals. Die Tatsache, dass die Events für viele Menschen schlicht unbezahlbar sind, wirft einen Schatten auf ihre vermeintliche Offenheit. Es scheint tatsächlich darauf ausgerichtet zu sein, die oberen Zehntausend zu begünstigen.

In einer Zeit, in der die Lausitz einen umfassenden Strukturwandel durchläuft, könnte das Festival eine wichtige Rolle spielen. Es sollte dazu beitragen, die Region in ein positives Licht zu rücken. Insbesondere angesichts der Herausforderungen, mit denen die Lausitz konfrontiert ist. Um den Strukturwandel erfolgreich zu unterstützen, ist es jedoch unerlässlich, den Menschen vor Ort die Möglichkeit zu geben, sich nicht nur als Zuschauer und Zaungast zu beteiligen, sondern aktiv mitzugestalten. Dies bedeutet, ihr eigenes Kulturverständnis einzubringen und kreative Initiativen zu entwickeln.

Welche Mittel für welchen Zweck?

Es ist bedauerlich, dass viele kulturelle Einrichtungen, die einst als Treffpunkte dienten, in den letzten Jahren schließen mussten - man denke nur an die Dorfgasthöfe. Solche Orte waren nicht nur sozialer Kitt, sondern oft auch Keimzellen für kreative Entfaltung und regionale Identität. Kunst und Kultur sollten Menschen nicht ausschließen, sondern integrieren. Nur so können sie dazu beitragen, Polarisierungen zu überwinden. Um undemokratische und menschenverachtende Haltungen zu lösen, benötigen wir die Expertise von allen - nicht nur für, sondern gemeinsam mit den Menschen!

Konkretes und drängendes Anliegen sind Erreichbarkeit und die finanzielle Zugänglichkeit der Veranstaltungsorte. Es ist an der Zeit, innovative Wege zu beschreiten und Kultur als Motor zu nutzen, um auch Menschen der peripheren Orten Teilhabe zu ermöglichen. Warum nicht den öffentlichen Nahverkehr in den Fokus rücken und neue Modelle erproben? Die Subventionierung von Kulturveranstaltungen sollte Hand in Hand gehen mit einer flächendeckenden, erschwinglichen und barrierefreien Anbindung der Veranstaltungsorte.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, innovative Lösungen zu suchen. Rufbusse und Kultur-Shuttles von infrastrukturellen Knotenpunkten könnten Barrieren abbauen und gleichzeitig das kulturelle Leben in der Region revitalisieren. Wenn Kultur als Instrument genutzt wird, um Menschen zusammenzubringen, Gemeinschaft zu schaffen und den Strukturwandel aktiv zu gestalten, hätte das Festival die Möglichkeit eine Bedeutung zu entfalten, die nicht nur in die Ferne strahlt, sondern einen nachhaltigen Beitrag zur Entwicklung der Lausitz leistet.

Ja, sagt Christine Keilholz. Das Lausitz Festival bringt Kunst in die Region, die sonst nicht käme. Und hilft der Lausitz, als Kulturregion gesehen zu werden.

Das Lausitz Festival ist ein Leuchtturmprojekt. Ich bin grundsätzlich nicht gegen solcherlei Leuchtfeuer. Sie sollen von Weitem wahrnehmbar sein. Sie können Licht werfen auf das, was da ist - damit es sich finden kann. Sie sollen eine strukturschwache Region aufleuchten lassen. Ein guter Leuchtturm schafft das. Wahrscheinlich nicht vom ersten Tag an. Aber vielleicht schon im vierten Jahr, wo das Lausitz Festival nun steht.

Man kann, wenn man will, viel an diesem Groß-Event kritisieren. Wie es als ein politisches Bravourstück von ein paar Volksvertretern kreiert wurde - just in dem Moment, als es Lausitzkohle abgreifen konnte. Dass es den Lausitzer Musiksommer ignorierte. Dass es in Berlin erdacht wurde und nicht an einem sorbischen Lagerfeuer. Dass es einen Hamburger Intendanten bekam und keinen ostdeutschen. Das alles kann man dem Festival verübeln.

Muss man aber nicht. Das Lausitz Festival ist eine Strukturmaßnahme. Es bringt Potenzial, Geld und Pläne an einen Ort, der das dringend braucht. Potenzial und Geld, das sonst nicht kommen würde. Das ist erstmal nicht schlecht. Der Strukturwandel in der Lausitz ist überdies ein gesamtdeutsches Anliegen, für das auch die Menschen in Hamburg Steuern zahlen. Warum sollten sie nicht mitmachen?

Kritiker:innen argumentieren mit dem vermeintlich elitären Kulturbegriff des Festivals. Das führt auf ganz dünnes Eis. Hochkultur ist also etwas für „die da oben“? Und nichts für „uns hier unten“? Mit dieser Haltung könnten wir Dostojewski ins Altpapier werfen. Zwei Drittel der Museen müssten schließen. Und es könnten sofort Zehntausende Musikschüler:innen aufhören, Chopin-Etüden zu üben. Wie öde!

Aufmerksamkeit für Nöte des Kulturbetriebs

Hochkultur ist nichts für die Lausitz? Das ist ein erstaunliches Argument! Gerade wenn es von Lausitzer Kulturschaffenden kommt. Ich komme auch aus einer ländlichen Region. Hätte mir jemand gesagt: „Hochkultur ist nichts für Dich, sing lieber Volkslieder!“, dann wäre ich beleidigt gewesen. Wäre die Pianistin Martha Argerich dort in einer Dorfkirche aufgetreten, hätte ich mein Taschengeld gespart, um den Duft der Exzellenz zu atmen. Aber vermutlich ist der inverse Elitismus gar nicht der Kern dessen, worum es beim Festival-Zank geht.

Hier streitet eine regionale Kulturszene, die es schwer hat, um Aufmerksamkeit für ihre Angebote. Das ist legitim und verständlich. Die Auseinandersetzung um das Lausitz Festival wirft auch ein Licht auf einen Kulturbetrieb, wo das Geld knapp ist, die Konkurrenz groß - und praktisch alles am öffentlichen Tropf hängt. Künstler:innen hangeln sich von Projekt zu Projekt. Engagements sind selten auf Dauer. Karrieren sind quasi unplanbar. Und das alles findet oft vor wenig Publikum statt. In der Kultur konzentrieren sich Mittel schnell dort, wo bekannte Namen Aufmerksamkeit erregen. Die meisten anderen geben Workshops, um über die Runden zu kommen, und sehen nie den roten Teppich.

Da lässt sich verstehen, dass ein Großfestival und seine Finanzen Begehrlichkeiten wecken - auch wenn das das Lausitz Festival mit vier Millionen Euro pro Jahr relativ günstig kommt. Es ist richtig zu fragen, wofür das Geld verwendet wird. Aber dann will ich auch wissen, was Kultur in der Lausitz überhaupt einbringt. Welche Künstler etwas von der Förderung des Kulturvereins X haben oder wie viele Zuschauer das Theater Y erreicht. Davon müssten wir dann alle Geldflüsse abhängig machen. Das führt am Sinn von Kulturförderung vorbei, die richtigerweise die Flachheiten des Marktgängigen kompensieren soll.

Ohne Potenzial von außen funktioniert es nicht

Die Lausitz hat gute Schauspieler:innen, fähige Intendanten und Spiegel-Bestseller-Autor:innen. Und obendrein Gundermann. Trotzdem ist es in neuerer Zeit nicht gelungen, einen Ruf als Kulturregion aufzubauen, der auch in Hamburg oder München Beifall erheischen könnte. Das Lausitz Festival ist ein Versuch, das wieder zu ändern.

Wie jedes große Strukturprojekt schielt das Festival auf die Außenwirkung der Lausitz. Es geht eben nicht nur darum, nach innen zu motivieren. Menschen von außen sollen auf die Lausitz schauen, sich mit den Peaks wie den Problemen der Region befassen und dabei Sichtweisen wachküssen, die uns etwas Neues über uns erzählen. Im besten Fall hören sie Martha Argerich in Herrnhut, übernachten in Löbau und nehmen auf dem Rückweg noch die Neue Bühne Senftenberg mit. Das soll das Festival bewirken mittels Künstler:innen aus Paris wie Tokio - oder eben denen aus Düsseldorf und Baden-Baden. Und das ist gut so. Ohne Potenz von außen sollte kein Landstrich versauern.

Der Strukturwandel, wie ihn die Lausitz gerade erlebt, ist eine Emanzipationsbewegung. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist die Chance da, sich der Welt zu präsentieren. Das sollte uns nicht dazu verleiten, alles allein machen zu wollen. Die Ureinwohner der Lausitz haben die Transformation in ihrer Geschichte nie allein bewältigt. Noch jede neue Technologie hat ihre Bandweber, Glasbläser, Maschinenbauer und Schnapsbrenner in die Lausitz mitgebracht. Und ja: Am Strukturwandel in der Lausitz werden auch Leute verdienen, die nicht aus der Lausitz kommen.

Sujet Gesellschaft und Kultur