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Der Sportsmann im Rathaus

PORTRAIT / TOBIAS SCHICK ZWISCHEN BAHNWERK UND BAUERNPROTESTEN
  1. Januar 2024

Tobias Schick hat Glück. In seinen 14 Monaten als Oberbürgermeister ist Cottbus wieder Großstadt geworden. Der Mann, der als kleinster gemeinsamer Nenner gewählt wurde, macht einiges richtig. Die wirklich großen Dinge in der Stadt machen andere.

von Christine Keilholz

Was er mit der Stadtbrache und dem Galeria-Kaufhaus machen soll, weiß Tobias Schick auch nicht. Aber er macht es. Foto: Stadt Cottbus / Thomas Goethe
Was er mit der Stadtbrache und dem Galeria-Kaufhaus machen soll, weiß Tobias Schick auch nicht. Aber er macht es. Foto: Stadt Cottbus / Thomas Goethe

Der Mann mit der Amtskette fand deutliche Worte: „Wir prägen unsere Stadt, im Positiven und im Negativen. Wir sind selbst dafür verantwortlich, wie unsere Stadt nach außen wahrgenommen wird“, sagte Tobias Schick seinen Gästen in der fast vollen Stadthalle beim Neujahrsempfang Anfang Januar. Es war der Tag vor der Eröffnung des Bahnwerks, vor dem Kanzlerbesuch und vor den angekündigten Protesten von Bauern. Im Saal waren etliche städtische Unternehmer, die das Grummeln der Bauern über die Bundespolitik teilten.

In der ersten Reihe saß ein nervöser Ministerpräsident, der wohl ahnte, dass ihm das Fest um sein 300 Meter langes Prestigeprojekt, das erste seit Jahrzehnten eröffnete Stück Industrie in Cottbus, am nächsten Tag verdorben würde, weil nur über den Kanzler und die Bauern geredet werden würde. Es würde wieder Bilder in den Nachrichten geben von schimpfenden und pfeifenden Menschen in der Hauptstadt des Strukturwandels.

Gelassen dagegen der Stadtchef. Tobias Schick ist seit 14 Monaten im Amt und man sieht, dass jetzt Vieles anders läuft. Der Neujahrsempfang ist ein nobles Event geworden. Auf der Brache an der Stadtpromenade, dem größten Ärgernis der Stadt, ist frisches Gras ausgerollt. An Bauzäunen hängen Plakate, die für die Segnungen des Strukturwandels werben. Die Botschaft ist klar: Cottbus geht voran. Mit Schick an der Spitze präsentiert sich ein Cottbus, das in die Lausitzer Erfolgserzählung der Landesregierung passt.

Stabil über 100.000 Einwohner

Tobias Schick regiert eine Stadt, die erst seit Kurzem wieder Großstadt ist. Nach fünf Jahren ist die Einwohnerzahl wieder stabil über 100.000. Das ist sicher nicht das direkte Verdienst des 44-jährigen Oberbürgermeisters. Ebenso wenig wie die vier Milliarden Euro, die der Strukturwandel in die Stadt bringt. Trotzdem zahlt es ein auf sein politisches Konto. Schick ist der Mann, mit dem Cottbus den Rang als Großstadt zurückerobert hat.

Schick hatte keine hohen Erwartungen auf seiner Seite, als er im Dezember 2022 das Amt übernahm. Der nette Sportlehrer war der Mann des kleinsten gemeinsamen Nenners Aller, die nicht wollten, dass die Metropole der Lausitz an die AfD fällt. Das war nur möglich durch eine Strategie des radikalen Konsenses. In Cottbus wählen grüne Klimaschützer und die Industriearbeiter, Tech-Unternehmer und die Transformations-Enthusiasten, prominente Professoren und stolze Kraftwerk-Betriebsräte. Eine solche atemberaubende Bandbreite zu überbrücken, das ist in Großstädten traditionell die Rolle von SPD-Leuten. Die schaffen mit gestählter Verwaltungspraxis irgendwie diesen Spagat zwischen alter Volksnähe und neuer Youtube-Tauglichkeit.

Tobias Schick macht Videos, eröffnet Handwerkermessen und lässt zum Neujahrsempfang indische Studierende tanzen. Ansonsten ist er ganz der höfliche Anzugträger. Der studierte Verwaltungs-Betriebswirt ist ein Kind der Cottbuser Politik, aber kein Verwaltungspraktiker wie sein Vorgänger, der CDU-Mann Holger Kelch. Der hatte das Pech, auf dem Höhepunkt der Kohleausstiegs-Verhandlungen krank zu werden und fiel für Monate aus. Während die Oberhäupter von Spremberg und Weißwasser jeden Abend in den Nachrichten die Interessen der Lausitzer Kommunen vertraten, hatte Cottbus keinen sichtbaren Chef. Die Stadt, die eigentlich beherzt für den Wandel werben sollte, erschien als indolenter Hinterhof, wo die Nazis auf den Tischen tanzen. Und bekam entsprechend schlechte Presse.

Fragmentierte Bürgerschaft

Es gibt also viel aufzuholen - und Tobias Schick ist Sportsmann. Er hat Leichtathleten trainiert und den Stadtsportbund geleitet. Das half ihm, auch ohne höheren politischen Weihen ins Rathaus zu kommen. Sport ist immerhin das zivilgesellschaftliche System in Cottbus, das die unterschiedlichen Blasen am ehesten zusammenbringt.

Die Cottbuser Bürgerschaft ist fragmentiert. Hier die optimistische Strukturwandel-Community, die in Verwaltung und neuen Instituten jobbt. Dort die Einwohner der alten Industriestadt, denen noch der Strukturbruch der 1990er Jahre in den Knochen steckt und die noch nicht recht glaubt, dass ihre Stadt etwas anderes kann als Werkshalle und Bergmannsglorie. Und dann ist da die Campus-Community, die wieder ganz anders tickt. Die BTU-Cottbus Senftenberg ist nur ein paar Gehminuten von der City entfernt, und doch eine andere Welt. Die BTU hat viele Studierende aus Indien, China und Pakistan, die auf Englisch studieren und nach wenigen Jahren wieder verschwinden, weil sie kaum Chancen auf einen Job in der Lausitz haben.

Aus diesen gegensätzlichen Gruppen eine Stadtgemeinschaft zu formen, die den Wandel beherzt anpackt, ist fast so schwer wie ein städtisches Klinikum binnen vier Jahren zur Medizinuniversität aufzupumpen. Man kann Cottbus als die Stadt der großen Pläne sehen. Aber die Pläne kommen aus Potsdam. Die Landesregierung hat viel mit der Stadt vor. Mit dem Kohleausstieg kommt das Land in den Genuss von viel Bundesgeld, das dem Aufbau von Strukturen dient. Da liegt es nahe, alles, was gerade gebraucht wird, in die Lausitz zu verlegen. Folglich bildet Senftenberg nun Grundschullehrer aus und Cottbus demnächst Ärzte.

So schnell wie keine andere Stadt

Der Ministerpräsident nennt es Optimismus. „Die Stadt entwickelt sich in einer Art und Weise und in einer Geschwindigkeit, wie es keine andere Stadt in Deutschland tut“, sagte Dietmar Woidke (SPD) beim selben Neujahrsempfang. An Cottbus misst der Regierungschef, der im Herbst wiedergewählt werden will, die Erfolge seiner Politik. Land und Bund beglücken Cottbus mit gut bezahlten Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, die Leag verschafft Cottbus ein Mehrzweckgewässer namens Ostsee, zu dem der Tagebau Cottbus Nord umfunktioniert wird. Alles kommt irgendwie von außen. Wo bleibt da noch Raum für eigenes Wollen? Nur im kleinteiligen kommunalen Tagesgeschäft.

Tobias Schick setzt auf gut sichtbare Zeichen, die allen gefallen. Er kaufte das Gebäude von Galeria Kaufhof, das nach dem Auszug der maladen Kaufhauskette zur Brache zu werden drohte. Und er kaufte die Brache an der Stadtpromenade, die Jahrzehnte lang keiner mehr brauchte. Jetzt soll etwas einmaliges daraus werden. Was genau, weiß die Stadtverwaltung auch noch nicht, deckte den Schandfleck aber erstmal mit Rollrasen zu. Zur Ideenfindung vertraut der Oberbürgermeister auf die städtische Schwarmintelligenz. Ein Entwicklungsbeirat aus 15 Bürgerinnen und Bürgern wurde ausgelost. Schirmherrin ist Gesine Schwan. Sollen sie doch selbst entscheiden, wie ihre Stadt nach außen wahrgenommen wird. 


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