Der Nahost-Experte und der Sesselfurzer (Ich)

Gestern habe ich offen auf eine Presseanfrage geantwortet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Aber es kommt ja noch viel besser. Ein Nachtrag.
Schon beim Fußballspiel als Kind galt: Nicht nachtreten. Und Anschluss-Beiträge sind immer doof.
Aber das ist einfach zu schön, um die geneigten Leser nicht daran teilhaben zu lassen. So eine Story kann man nicht einfach liegen lassen.
Gestern habe ich offen auf eine Presseanfrage des fotografischen Tausendsassas und intimen Nah-Ost-Experten Jäkel geantwortet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Daraufhin haben mir einige Nutzer Informationen gegeben. Und das rundet das ganze Bild des Syrienverstehers Jäkel dann doch erheblich.
Um das ganze Bild zu haben, empfehle ich, zunächst die offene Antwort zu lesen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Die Kompetenz Jäkels
Am 13.06.2025 postete Jäkel auf seiner Facebook Fanpage, er würde gerne etwas verstehen wollen.
Zusammengefasst: Israel würde im Iran „gezielte Schläge und Tötungen“ durchführen, und im Gazastreifen „flächendeckende Bombardements“.

Screenshot von Jäkels Posting
Tatsächlich habe ich genau das mehrfach erklärt.
Jäkel hätte auch einfach mich fragen können. Aber dafür verfüge ich wohl nicht über ausreichend Expertise.
Unter anderem habe ich am 29.06.2025 das als Leserfrage beantwortet. Weil die Journalistin Natalie Amiri genau diese Frage auch in einem Kommentar bei den Tagesthemen aufgeworfen hat. Das war am… Moment… Hoppala, das war auch am 13.06.2025.

Screenshot: Kommentar von Natalie Amiri
Der Zeitstempel von Facebook zeigt für Jäkels Kommentar 22:05h, der Zeitstempel der Mediathek zeigt für Amiris Kommentar 22:15h.
Ich habe jetzt echt keine Lust, noch die Zeit zu prüfen. Es ist allemal eine bemerkenswerte Korrelation, dass Jäkel in einem Zeitfenster von wenigen Minuten auf seiner Fanpage die gleiche Frage aufwirft, wie Amiri im Kommentar der Tagesthemen.
Geschenkt.

Screenshot des Zeitstempels von Jäkels Kommentar
Nur um es kurz beantwortet zu haben:
Die Schläge gegen den Iran waren symmetrische Kriegsführung aus der Luft gegen ausgewählte Ziele. Im Gazastreifen ist es eine asymmetrische Kriegsführung in einem Häuserkampf. (Urban Warfare)
Für Dummies: Eine Anreicherungsanlage kann nicht weglaufen, ein Kombattant mit einer Kalaschnikow sehr wohl. Die Anreicherungsanlage sieht danach aber auch nicht besser aus, als das Gebäude, in dem der Kombattant saß.
Zudem ist die Zielsetzung eine andere. Im Iran reichte es, ein bisschen was kaputt zu machen. Im Gazastreifen müssen zivil gekleidete Kombattanten ausgeschaltet werden. Und wenn man dabei noch ein paar Geiseln befreien kann, umso besser.
Mein Beitrag dazu hatte ich überschrieben mit „Iran, Israel und mediale Kompetenzlosigkeit (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“
Die Kompetenz Jäkels lässt sich auch daran ablesen, dass er von „flächendeckende Bombardements“ spricht. Die gab es im Gazastreifen aber nicht.
Auch wenn da in weiten Teilen alles zu Klump gebombt, geschossen und gesprengt wurde, es wurden Punktziele bekämpft. Eins nach dem anderen. Das ist genau das, was mit der Floskel gemeint ist, die würden sich „hinter Zivilisten verstecken“.
Ein „flächendeckendes Bombardement“ war beispielsweise die Operation Millennium, 30.-31.05.1942, Köln, 1000 Bomber, 1455 Tonnen Bomben, 2500 Brände, 13.000 Häuser komplett zerstört.
Und es ist faszinierend, wie gerne das auch von Deutschen vergessen wird. Wir müssten Experten im „flächendeckenden Bombardiertwerden“ sein.
Auch geschenkt.
Der Sesselfurzer
Darunter kommentierte dann eine Nutzerin, dass ich diese und andere Fragen bereits beantwortet hätte.
Jäkels Antwort darauf möchte ich in ihrer ganzen Schönheit den Raum geben, den sie verdient.
„Ach dieser U.M. Ich kann es nicht mehr hören. Über den mache ich auch bald mal einen eigenen Beitrag. Ein echter Sesselfurzer, der über ein bisschen Militärwissen verfügt, sonst keine Ahnung vom Nahen Osten hat, aber natürlich trotzdem die ganz große Welt erklären kann und zu allen Fragen Antworten hat. Ist mir echt ein Rätsel, warum der so gehypt wird.“

Screenshot: Da Jäkel die Nutzerin später blockiert hat, sind diese Kommentare nicht mehr online.
Aber bevor da irgendwelche nervigen Rechtsstreitigkeiten kommen: Es ist alles mit Datum rechtssicher gespeichert.
Ich verwahre mich gegen die Unterstellung, auf alle Fragen eine Antwort zu haben. Ich habe überraschend wenig Ahnung von französischer Poesie des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Architektur in Damaskus und Pinken.
Das „bisschen Militärwissen“… Auch Schwamm drüber.
Aber dass ein Fotojournalist mich einen „Sesselfurzer“ nennt… Kannste dir nich ausdenken. Pures Internetgold.
Aber das Beste kommt ja noch.
Meine Texte seien „stets voller Mutmaßungen, wolkenreiche Umschweifungen, um sich nicht festlegen zu müssen“. Sonst sei ich ja angreifbar. Warum keinem auffallen würde, mit welch „manipulativer Sprache“ ich meine Texte garnieren würde.
In einer anderen Antwort schrieb er:
„Und natürlich kennt sich da U.M. besser aus. Nur: Er glaubt, weil man beim Militär war und da bestimmte Kenntnisse und Erfahrungen hat, diese auf den Nahen Osten übertragen zu können.“
Ihm sei aufgefallen, dass ich keinerlei Expertise zum Nahen Osten hätte. Außer „ein bisschen Angelesenes“.
Ich habe tatsächlich absolut keine Ahnung, wo der Unterschied besteht, ob man eine Bombe nun in ein russisches Waffenlager oder in einen Tunnel unter ein Krankenhaus lenkt.
Gut, ein paar Unterschiede fallen mir doch schon ein. Aber eben nicht die, die im Rahmen von Jäkels Expertise stattfinden.
„Von außen aber, ohne intime Kenntnisse der Länder und vor allem der Menschen im nahen Osten, kann man sich strategische Analysen zum Nahen Osten eigentlich sparen.“
Ich beurteile so gut wie gar nichts „strategisch“. Meine Ebene ist die Taktik. Im Grunde analysiere ich auch nicht, ich bin Auswerter.
„U.M. war noch nie im Nahen Osten. Er hat keinerlei Expertise zum Nahen Osten. Genügt es in Deinen Augen, sich militärisch etwas auszukennen, um strategische Operationen im Nahen Osten einzuschätzen? […] der Nahe Osten scheint ist offenbar weltweit die einzige Region, über die man urteilen/analysieren/berichten kann, ohne je einen Fuß dorthin gesetzt zu haben. Wenn ein Korrespondent oder Analyst oder was auch immer über Südamerika oder Australien berichten würde, ohne je da gewesen zu sein, würde jeder vernünftige Mensch ihm zurecht den Vogel zeigen.“
Strategische Operationen? Was soll das sein?
Die Operation Ajax von CIA und MI6 im Iran waren vielleicht eine „strategische Operation“. Aber nicht einmal die Pager-Nummer des Mossad war eine „strategische Operation“.
Ich bekomme das Gefühl, Jäkel weiß gar nicht, was „strategisch“ militärisch eigentlich bedeutet.
Und nur am Rande: eine Bombe auf das Sydney Opera House oder den Cristo Redentor über Rio de Janeiro verläuft überraschend ähnlich.
In einer privaten Konversation, die mir vorliegt, nannte er mich auch „dubios“. Und er wiederholte:
„Das ist eben nicht nur ein Eindruck, ich habe recht viel bei ihm gelesen, und finde ständig Fehler und sehr schwammige Formulierungen, weil er es nicht besser weiß. Ich werde mir das bald mal vornehmen.“
Die Spiegel-Reportage
Und das ist das eigentlich grandiose, an der ganzen Geschichte.
Jäkel nennt mich bereits vor bummelig vier Wochen öffentlich einen „Sesselfurzer“.
Er schreibt zweimal, demnächst mal einen eigenen Beitrag zu mir zu machen.
Am 14.07.2025 schickt Jäkel mir dann eine Presseanfrage. Mit drei knappen Sätzen zur Einleitung und 11 Fragen. Die allesamt absolut nichts mit meinen Inhalten zu tun haben. Sondern bei denen es ausschließlich um meinen Hintergrund, meine Reputation geht.
Da ich nicht sofort über das Stöckchen springe und erst einmal nachfrage, erklärt Jäkel mir am gestrigen 18.07.2025 in den frühen Morgenstunden per Mail:
„Ich recherchiere über die Arbeitsweise von Bloggern, die sich regelmäßig und recht reichweitenstark zum Nahen Osten äußern. Ich möchte verstehen lernen, welche Gründe, Anlässe, Zielsetzungen und Arbeitsweisen sich Blogger zu eigen machen bei diesem ja oft polarisierenden Thema, um auch Unterschiede oder gemeinsame Strukturen herauszuarbeiten. Ich arbeite an dieser Recherche zunächst frei, aber der SPIEGEL hat Interesse gezeigt.“
Aus einem „Den Sesselfurzer knüpfe ich mir demnächst auch noch vor“ wurde eine Recherche über Arbeitsweisen von Bloggern zum Thema Nahost, für die der Spiegel sich interessiert.
Und die Fragen bezeichnet er später noch als „Sachfragen“.
Jetzt mal ehrlich: Ist das grandios, oder was?
Da war meine Einschätzung doch tatsächlich richtig und der Herr Jäkel hat mir einfach Unfug erzählt.
Ich mein… vielleicht schreibt er ja den großen Enthüllungsbeitrag für den Spiegel. Nach so bahnbrechenden journalistischen Beiträgen wie „Havannas musikalische Seele – Rum für die Ohren“ und „Türkische Keramikkunst – Der verrückte Picasso von Kütahya“ demnächst auch „Flächendeckende Bombardements – MilBlogger, die nie im Nahen Osten waren“.
Allein, so richtig glauben kann ich es nicht.
Das mediale Dilemma
Es geschieht immer wieder.
Schreibt man etwas zu Windkrafträdern, wird von irgendwo ein Windkraftrad-Experte kommen und einem belegen, was für einen Mist man erzählt hat. Schreibt man etwas zu embryonaler Stammzellenforschung, kommt ein Stammzellenforscher aus dem Gebüsch gesprungen. Oder ein Embryo. Und schreibt man etwas zu den Endstücken von Schnürsenkeln, wird ein Schnürsenkelendstückfachmann erscheinen und einem erklären, dass die Dinger Pinken oder Nadeln heißen. Und er seit 30 Jahren in dem Bereich arbeitet.
Ihnen allen sind zwei Dinge gemein.
Zum ersten bewerten Sie nicht den Kontext. Ob ihr Expertenwissen in dem jeweiligen Zusammenhang überhaupt relevant ist.
Zum zweiten unterliegen Sie einem psychologischen Effekt. Weil sie sich und ihr Selbstbild angegriffen fühlen. Denn sie wähnen sich ja als Experten und finden es schwer erträglich, wenn nun andere, die keine Experten auf vermeintlich ihrem Gebiet sind, sich dazu äußern.
Nur für das, was ich tue, ist das „Alltagsleben der Menschen“ (Zitat Jäkel bei SWR1 Leute) völlig irrelevant.
Ich streife das höchstens mal, um den Menschen die verschiedenen Konfliktparteien zu erklären. Nur zur Orientierung. Aber mehr auch nicht.
Menschen und Kulturen haben in Kriegen einen überraschen geringen Stellenwert.
„Ich wollte das exotische Vietnam sehen, das Juwel von Südostasien. Ich wollte interessante und anregende Menschen einer alten Kultur kennenlernen. Und sie töten.“
Private James T. „Joker“ Davis
Meine Leserinnen und Leser wollen nach einem Luftschlag gegen ein Café in Gaza (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) wissen, was da passiert ist.
Sie wollen wissen, was im Iran getroffen wurde (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), wie es mit der Drohnenproduktion in der Ukraine aussieht, warum man auf russischen Kreuzern nicht rauchen sollte und warum im Libanon hunderte Männer ohne Finger (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) herumlaufen. Nicht, wie ihr Alltagsleben aussieht. Dazu können sie dann in die Vorträge von Jäkel in den „großen Hallen“ (Zitat Jäkel bei SWR1 Leute) gehen.

Foto: Jäkel während eines Vortrags im im Partyraum über Rewe in Hamminkeln-Mehrhoog im April 2018.
Und genau das ist das Problem der Medien.
Sie können ganz toll die Vielfalt der Architektur in Damaskus besprechen, haben aber keine Ahnung, was dahintersteckt, wenn eine Rakete in die Vielfalt der Architektur fliegt. Oder in einen Bunker unter der Vielfalt der Architektur.
Das führt zu einer handfesten Desinformation, die ich mehrfach dargelegt habe. Unter dem wachsamen Blick anderer Journalistinnen und Journalisten, ehemaliger und aktiver Soldaten und Nachrichtendienstlern und von tausenden Lesern, die jede Information selber prüfen können.
Und dann kommt ein Fotojournalist, will meine Kompetenz angreifen und nennt mich einen Sesselfurzer.
Ich muss wirklich jedes Mal lachen, wenn ich das schreibe.
Ich habe schon so eine Ahnung, das wird in den Kommentarspalten zum Running Gag werden.