Passer au contenu principal

Die Zerstörung der Vernunft

Warum der zeitgenössische Faschismus die Wissenschaft angreift und alles in eine „Meinung“ verwandelt.

Wenn ihr die Texte hier regelmäßig in Eurem Posteingang haben wollt, würde es mich freuen, wenn ihr sie abonniert. Und wenn sie Euch gefallen, bitte weiter schicken, teilen, posten etc. Und natürlich könnt Ihr sie auch mit einem kleinen Mitgliedsbeitrag unterstützen.

Der rechte Populismus, der sich in rasender Geschwindigkeit zum Neuen Faschismus radikalisiert, ist paranoid von einer drohenden „Umvolkung“ besessen, betreibt diese aber in Wirklichkeit selbst, denn er verändert das Volk. Die Selbstradikalisierung ist eine Spirale der Verschärfung, in die sich sowohl die Anführer als auch die Anhänger hineinschrauben und dabei in einer Art der wechselseitigen Aufganselei gegenseitig verstärken. Die Einübung in Grausamkeit und Sadismus habe ich hier ja vor einigen Wochen beschrieben, man kann sie auch eine „Faschisierung des Sprechens“ nennen, wie das Markus Metz und Georg Seeßlen in ihrem jüngst erschienenen Buch „Blödmaschinen II“ tun. Menschen werden ummontiert und gehirngewaschen, bis sie zu Anderen werden, als sie vorher waren, und bereit sind, Verbrechen gutzuheißen.

Eine Taktik dabei ist die „Zerstörung der Vernunft“. Den Begriff habe ich mir jetzt flott und so nebenbei bei dem legendären marxistischen Philosophen Georg Lukács geliehen, der seine Geschichte des faschistischen Denkens in Deutschland mit genau diesem Übertitel versah. Diese Zerstörung der Vernunft, für Lukács die Ur- und Frühgeschichte der faschistischen Ideologie, sei gekennzeichnet durch „Herabsetzung von Verstand und Vernunft, kritiklose Verherrlichung der Intuition … Ablehnung des gesellschaftlich-geschichtlichen Fortschritts, Schaffung von Mythen…“, kurzum durch das Eindringen von Wahn und Irrationalität in die Diskurse und die Zersetzung aller Prinzipien von Rationalität. Es ist im Großen und Ganzen nicht Lukács brillantestes Werk, aber diese zentrale Beobachtung ist unbestreitbar. Oder, um Goya zu paraphrasieren: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.“

Die Überproduktion an Meinung

Auch heute ist die Zerstörung der Vernunft eine wichtige Taktik im Kampf um die Gehirne und Leidenschaften durch die neuen Faschisten. Die Vernunft soll zerstört werden, ja, alles, was man so landläufig als das Vernünftige nennt: Bevor man seinen Empörungen Lauf lässt, ein zweites Mal nachdenken; die Fakten zu prüfen und erst dann, von diesen ausgehend und auf deren Basis, wertorientierte Urteile treffen; eine Sache von verschiedenen Seiten betrachten; dem Anderen zuhören, ob der nicht auch einen Teil der Wahrheit auf seiner Seite hat; der Sachlichkeit den Vorzug vor der Erregung geben und so weiter. Allein diese simplen Grundsätze von Vernünftigkeit werden vom neuen Faschismus nicht unabsichtlich, sondern vorsätzlich zerstört. Seine Fürsprecher sind nicht so unvernünftig, weil sie erregt sind. Sie werfen sich in die Pose wahnhafter Erregung, weil sie die Vernunft ausschalten wollen.

Diese Zerstörung ist eine Voraussetzung für die politische Klimavergiftung durch die faschistische Agitation.

Der große Kurt Tucholsky formulierte einstmals den schönen Satz: „Eine klare Meinung zu haben ist im ahnungslosen Zustand viel leichter.“ Man kann auch ironisch hinzufügen: „Die Überproduktion meinungshabender Meinung stellt den Wert des Meinungshabens in Frage.“ Aber jenseits der Bonmots spielt die „Meinung“ für die faschistische Propaganda eine große Rolle, wie uns jetzt erst auffällt.

Ausweitung der Sagbarkeits-Zone

Es ist bekanntermaßen eine der bizarren Absurditäten, dass die ultrarechten Bewegungen, die – sobald sie an der Macht sind – mit großem Elan alle Freiheit abschaffen, sich auf dem Weg dahin als die Großwesire der „Meinungsfreiheit“ darstellen. Wie jeder weiß, tun sie das, um die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Den Nachbarn als „Messerfachkraft“ diffamieren? Ethnische Säuberungen „andenken“? Ist ja „nur“ eine Meinung.

Aber neben dieser augenfälligen Tatsache verfolgen sie noch einen zweiten Zweck, nämlich die Zersetzung aller vernunftgeleiteten Debatte. Jede Meinung soll gleich viel Wert sein, aber vor allem soll jede Aussage in den Status einer Meinung versetzt werden. Der Faschismus lebt davon, dass Menschen gewissermaßen einen sicheren Boden unter den Füßen verlieren, in Verwirrung versetzt werden, in Angst und in eine Konfusion, in der sie sich nicht auskennen. Denn in einem nächsten Schritt kann selbst die offensichtlichste Wahrheit in Frage gestellt werden.

Produktion von destruktivem Misstrauen

Damit wird Vertrauen in das Wissen und die Wissenschaft untergraben, und umgekehrt wird auch zur Verbreitung allgemeinen Misstrauens beigetragen, sei es gegenüber Institutionen, sei es gegenüber den Nachbarn, den Nächsten, den Mitmenschen in der Gesellschaft. Die Zerstörung von Vertrauen in jedwede Art von Wissen und die verallgemeinerte Verbreitung von destruktivem Misstrauen ist ein wesentliches Element in der Umerziehung der Individuen, die den rechten Agitatoren in die Hände fallen. „Unwissenheit“, schrieb schon Theodor W. Adorno, „scheint an sich reaktionäre Trends zu begünstigen“, und „wenn die Menschen nicht wissen, wovon sie reden, verliert der Begriff ‚Meinung‘… an Bedeutung“. Dabei geht es aber eben nicht einfach um eine Unwissenheit, die man landläufig als Unbildung oder Dummheit bezeichnen würde, sondern um produzierte Unwissenheit. Quasi: Die Leute sollen mit so vielen widersprüchlichen, begründbaren, unbegründbaren, absurden, wahrheitsbezogenen, wahrheitsfernen Behauptungen bombardiert werden, dass sie einfach nicht mehr die Realität von der Phantasie, die Wirklichkeit von der Wahnidee unterscheiden können. Die Zerstörung der Vernunft ist nicht nur eine Begleiterscheinung rechter Agitation, sie ist für diese zentral. „Flood the zone with shit“, „Überflutet alles mit Dreck“, hat Steve Bannon ja schon vor Jahren ganz unverhohlen als Ratschlag herausgegeben. Ein Rat, den die Kickls, Hafeneckers, Schnedlitze und wie sie alle heißen, täglich penibel gehorchen.

Georg Seeßlen und Markus Metz bemerken dazu: „Ein taktischer Trick dabei ist (er gilt wohl nur für die Phase der ‚Eroberung‘ der Hegemonie), alles in den Rang der ‚Meinung‘ zu versetzen. … Jemand, der die Erde für eine Scheibe hält, ist damit eben nur anderer Meinung als jemand, der sie als einen Planeten ansieht…“

Bizarrer Unsinn, gesicherte Fakten – alles nur eine „Meinung“

Nun haben die großen Denker des Liberalismus, wie John Stuart Mill und andere, die „Freiheit des Gedankens“ unter anderem mit dem Argument verteidigt, dass noch die Äußerung des abwegigsten Argumentes erlaubt sein soll, etwa, weil nur die kontroverse Diskussion unterschiedlichster Gesichtspunkte uns der Wahrheit näherbrächte. „Und selbst, wenn die Wahrheit schon entdeckt wäre, würde sie robuster dastehen, wenn sie sich regelmäßig gegen herausfordernde Argumente behaupten müsste“, proklamierte Mill. Das ist, neben der menschen- und freiheitsrechtlichen Begründung von Free Speech gewissermaßen die nutzenorientierte: Langfristig haben alle einen Vorteil, wenn es das Recht gibt, noch den größten Unsinn oder das schlimmste Vorurteil zu äußern. Das ist grundsätzlich schon richtig, aber Mill hatte wohl nicht vorausgesehen, dass es einmal politische Kräfte geben würde, die vorsätzlich das Wissen als solches zerstören würden wollen.

Es ist kein Wunder, dass die neuen Faschisten deshalb Institutionen der Wissenschaft und Bildung besonders nachdrücklich angreifen. Die Universitäten wären einseitig, wird zunächst beklagt, und es brauche mehr kontroverse Ansichten an den Hochschulen. Das kann da und dort sogar stimmen, man denke nur an die Wirtschaftswissenschaften, wo oft eine neoliberale Monokultur dominiert und dafür sorgt, dass linke Forscher keine Chance bekommen. Aber die Behauptung selbst ist eine glatte Lüge und operiert mit völlig verrückten Voraussetzungen. Es wäre doch grotesk, im Sinne einer Freiheit der Forschung unbedingt ein paar Universitätsprofessoren einzustellen, die die Theorie der Scheibenform der Erde vertreten, damit es einen gesunden Meinungsstreit mit den Anhängern der Planetentheorie gäbe. Noch absurder wäre es, zu behaupten, damit würde der Wissensproduktion ein Gefallen getan, weil die Vertreter der wissenschaftlichen Astronomie dann ihre Argumente schärfen müssten. Das Gegenteil wäre der Fall: Es würde ihnen Zeit gestohlen, und die Mittel, die in die Lehrstühle der Scheibentheoretiker fließen, wären reine Verschwendung.

„Wenn wir jedwede Meinung in der Öffentlichkeit zulassen und ihr ausreichend Zeit für eine ernsthafte Prüfung gewähren, so führt dies keineswegs zu einem Prozess, der einer Willensbildung durch Reflexion förderlich ist, sondern zerstört vielmehr die Bedingung der Möglichkeit dazu“, so Jason Stanley, einer der berühmtesten amerikanischen Faschismusforscher. Und er fügt hinzu: „Gleichermaßen kann man die Ideologie des sogenannten Islamischen Staats bedenkenlos ablehnen, ohne sich mit ihren Verfechtern im Seminar- oder Fakultätsraum auseinandersetzen zu müssen. Und ich brauche bestimmt keinen Kollegen, der die Ansicht vertritt, Juden seien genetisch zur Gier veranlagt, um meine Ablehnung dieses antisemitischen Unsinns zu begründen.“

Alles wird vermantscht

Es geht der faschistischen Propaganda in erster Linie darum, Misstrauen zu schüren. Das ist auch ein wichtiger Teil der Wirkmacht von Verschwörungstheorien. Es geht gar nicht darum, dass die Anhänger oder Mitläufer die Verschwörungstheorien wirklich glauben. Es geht darum, dass sie gar nichts mehr glauben. Das ist der erste Schritt in den Wirrkopf-Orbit. Wenn sie sich dann vollends in der Phantasie- und Paranoia-Welt verfangen, dann treten sie in den Kreis des harten Kerns der Anhängerschaft ein.

Es sind also diese drei Schritte, mit der die faschistische Agitation die Vernunft zerstört: Erstens wird die „Bedrohtheit-der-Meinungsfreiheit“-These in Umlauf gebracht, zweitens die „Alles-ist-eine-Meinung-und-gleich-viel-wert“-These, drittens werden die Institutionen des Wissens angegriffen und natürlich auch die Medien, indem echte Publizistik mit Pseudomedien, also reinen Agitations- und Propagandaschleudern, gleichgesetzt werden. All das ist dem großen Ziel unterworfen: Der Zerstörung von Vernunft.

0 commentaire

Vous voulez être le·la premier·ère à écrire un commentaire ?
Devenez membre de Vernunft und Ekstase et lancez la conversation.
Adhérer