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Wie Schulen 2022 lernten, Corona-Kritik als Verschwörung zu behandeln

Im Jahr 2022, auf dem Höhepunkt der pandemischen Polarisierung, veröffentlicht die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung ein „Bildungsmaterial“ (Si apre in una nuova finestra) für Lehrkräfte. Thema: Verschwörungserzählungen. Ziel: Jugendlichen beibringen, wie man Wahrheit von Wahn trennt – im Klassenzimmer, im Jugendzentrum, im pädagogischen Alltag. Was wie eine schulische Orientierungshilfe erscheint, ist in Wahrheit ein didaktisches Instrument zur Diskurskontrolle.

Denn zwischen Fallbeispielen über Echsenmenschen und antisemitische Stereotype platziert das Dokument ganz selbstverständlich: die Kritik an Corona-Maßnahmen. Wer Masken als „Maulkorb“ bezeichnet oder Lockdowns hinterfragt, wird hier nicht als Teil einer demokratischen Kontroverse behandelt – sondern als Frühform verschwörungsideologischer Radikalisierung.

https://www.politische-bildung-brandenburg.de/system/files/publikation/pdf/bildungsmaterial_verschwoerungserzaehlungen.pdf (Si apre in una nuova finestra)

Diese Gleichsetzung ist nicht zufällig. Sie ist strategisch. Sie verschiebt den Rahmen des Sagbaren. Kritik an staatlicher Krisenpolitik wird zur pädagogischen Pathologie – und der Zweifel selbst zum Symptom. So wird aus der Schule kein Raum des Denkens, sondern ein Schutzraum der offiziellen Wahrheit.

Die Definition: Kritik als Symptom

Im Zentrum des Dokuments steht ein Begriff, der harmlos wirkt – und doch ein ganzes Denksystem verschiebt: „Verschwörungserzählung“. Definiert wird er über eine Formulierung von Pia Lamberty und Katharina Nocun, die längst zu ideologischen Fixgrößen im diskursiven Kampf gegen das Abweichende geworden sind. Ihre Definition lautet:

„Eine Verschwörungserzählung ist eine Annahme darüber, dass als mächtig wahrgenommene Einzelpersonen oder Gruppen wichtige Ereignisse in der Welt beeinflussen und der Bevölkerung gezielt schaden, während sie ihre Ziele im Dunkeln lassen.“
(Seite 7)

Diese Definition klingt analytisch, ist aber strategisch. Sie umfasst nicht nur absurde Mythen über Echsenwesen, sondern auch jede Form strukturierter Machtkritik, sobald diese nicht sofort beweisbar ist. Sie subsumiert Zweifel – an Konzernen, Regierungen, supranationalen Organisationen – unter ein Psychogramm des Misstrauens. Und verschiebt damit die epistemische Beweislast: Wer hinterfragt, steht unter Rechtfertigungsdruck.

Das „Akteursviereck“ auf Seite 8 karikiert diese Denkrichtung visuell: Die Welt wird eingeteilt in eine „Elite“ (die Verschwörer), „Handlanger“ (staatliche Akteure, Medien), „Schlafschafe“ (die Masse) und „Erleuchtete“ (die Warner). Was als Beschreibung gedacht ist, dient in Wahrheit der Abwertung: Wer Kritik äußert, befindet sich offenbar in einer sektenhaften Binnenlogik – und gehört somit nicht mehr zum legitimen Diskurs.

Doch genau hier liegt der ideologische Kurzschluss: Die Definition ist so breit, dass sie auch rationale Kritik erfasst – etwa an der Corona-Politik.

Bereits auf Seite 4 benennt das Dokument die Corona-Pandemie explizit als Auslöser eines „besorgniserregenden“ Anstiegs von Verschwörungserzählungen. Die implizite Botschaft: Kritik an Corona-Maßnahmen gehört in diese Kategorie.

Diese Zuschreibung ist gefährlich. Denn viele der damals als „Verschwörung“ diffamierten Fragen – etwa zur Herkunft des Virus, den Interessen der Pharmaindustrie oder den Kollateralschäden von Lockdowns – gelten heute als legitim oder gar naheliegend. Selbst das FBI und das US-Energieministerium halten einen Laborursprung für plausibel. Dass Pharmaunternehmen Milliarden an der Impfkampagne verdienten, ist keine Theorie, sondern Fakt. Und dennoch: Wer diese Aspekte 2020 oder 2021 benannte, galt – laut dieser Logik – nicht als Kritiker, sondern als „Erzähler“.

Zusätzlich wird Kritik im Text pathologisiert: Auf Seite 11 heißt es, der Glaube an Verschwörungen sei oft Ausdruck von „Ohnmachtsgefühlen“ oder einem „Mangel an Selbstwirksamkeit“. Mit anderen Worten: Wer Kritik äußert, ist nicht etwa intellektuell aktiv – sondern emotional überfordert.

Diese Verschiebung – von Argument zur Affektbeschreibung – ist nicht neutral, sondern funktional. Sie dient dazu, systemisches Misstrauen nicht argumentativ zu prüfen, sondern psychologisch zu entwaffnen. Das pädagogische Ziel ist nicht, Denken zu fördern – sondern Zweifel zu verwalten.

Die Fallbeispiele: Kritik als Vorstufe zur Radikalisierung

Den ideologischen Kern des Dokuments bilden nicht die Definitionen – sondern die Fallbeispiele. Hier konkretisiert sich die Strategie der Pathologisierung. Auf den Seiten 9 bis 13 werden reale Situationen aus Schule und Jugendarbeit geschildert – und analysiert. Die Auswahl ist bezeichnend: Sie reicht von absurden (Echsenmenschen, S. 10) über streitbare (Corona-Kritik, S. 11) bis hin zu eindeutig antisemitischen Aussagen (S. 13). Das Problem: Sie werden didaktisch gleichbehandelt. Alle gelten als Symptome derselben Grundstörung – dem „Verschwörungsglauben“.

Im ersten Fallbeispiel sprechen Jugendliche über Reptiloiden. Anstatt dies als pubertäre Provokation oder ironischen Medienreflex zu lesen, wird die Reaktion zum Interventionsfall: Die Pädagogin solle „herausfinden, ob die Jugendlichen wirklich glauben“ (S. 10), und dann „Einfluss nehmen“. Der Diskursraum wird zum Überwachungsraum. Der Gedanke selbst wird verdächtig – nicht, weil er falsch ist, sondern weil er abweichend ist.

Doch der zentrale Skandal liegt im zweiten Fallbeispiel: Schüler äußern Zweifel an den Corona-Maßnahmen. Sie nennen die Maskenpflicht einen „Maulkorb“, sprechen von „Zwangsmaßnahmen“, verweisen auf persönliche Erfahrungswerte („Ich kenne niemanden, der ernsthaft erkrankt ist“). Diese Positionen mögen zugespitzt oder pauschalisiert sein – aber sie sind politische Kritik. Das Dokument aber rückt sie in die Nähe von Querdenker-Ideologie und empfiehlt den Lehrkräften, mit „Klarheit und Haltung“ zu reagieren (S. 12).

Kritik wird hier nicht widerlegt – sie wird behandelt. Und das ist der eigentliche Bruch mit der Idee einer offenen Gesellschaft: Nicht das Argument zählt, sondern das Risiko, das von seiner bloßen Äußerung ausgeht. Kritik an staatlicher Krisenpolitik erscheint nicht als legitimer Diskursbeitrag, sondern als pädagogischer Risikofaktor – und das mitten in einer Zeit, in der Grundrechte eingeschränkt, abweichende Meinungen zensiert und mediale Monokulturen gepflegt wurden.

Hinzu kommt ein drittes Fallbeispiel, in dem ein Schüler im Seminar antisemitische Stereotype äußert („Juden kontrollieren die Welt“, S. 13). Ohne Frage: Solche Aussagen sind problematisch und müssen konfrontiert werden. Doch ihre didaktische Funktion in diesem Dokument ist klar: Sie bilden die radikale Flanke, mit deren Hilfe auch moderatere Kritik – etwa an Pharma-Konzernen oder globalen Eliten – in ein ideologisches Umfeld verschoben wird, das durchweg toxisch ist. Eine klassische Slippery-Slope-Strategie: Heute Maskenkritik, morgen Antisemitismus.

Die strukturelle Botschaft ist eindeutig: Wer an staatlicher Autorität zweifelt, befindet sich bereits im semantischen Vorhof der Demokratiefeinde. Die Methode: Gleichsetzung. Die Funktion: Abschreckung.

Die Methoden: Konformität als Kompetenz

Teil 2 des Dokuments enthält fünf pädagogische Methoden (S. 14–41). Sie klingen partizipativ – sind aber strategisch auf Normierung angelegt. Was als kritisches Denken beworben wird, ist in Wahrheit ein didaktisches Training in Deutungshoheit, Gruppendruck und ideologischer Hygiene.

  • Methode 1 lässt Schüler eigene Erfahrungen einordnen – entlang von Merkmalen wie „Feindbild“, „geheime Elite“ oder „Vertrauensverlust“. Der Rahmen ist gesetzt: Wer strukturelle Kritik äußert, tappt in die Merkmalsfalle. Das Ergebnis steht vor der Debatte fest: Es handelt sich um eine „Erzählung“, nicht um ein Argument.

  • Methode 2 bittet Schüler, selbst „Verschwörungen“ zu erfinden – aber mit der Auflage, „nicht diskriminierend“ zu sein (S. 23). Klingt harmlos, ist aber eine schiefe Versuchsanordnung: Kritik an realen Machtstrukturen (Finanzindustrie, Tech-Giganten, WHO) wird damit präventiv entwaffnet. Der pädagogische Raum wird zur Choreographie des Akzeptablen.

  • Methode 3 propagiert „Recherchekompetenz“. Recherchiert werden soll aber nur über „reale Verschwörungserzählungen“ – mit empfohlenen Quellen ausschließlich aus dem staatlich-nahen Bereich (BpB, Amadeu Antonio Stiftung). Kritische, alternative Perspektiven fehlen. Die Methode reproduziert nicht Wahrheit – sondern das staatlich abgesegnete Narrativ.

  • Methode 4 simuliert Gesprächssituationen. Schüler sollen sich zu Aussagen positionieren – etwa zu Adrenochrom-Mythen oder Impfkritik. Die Reaktion „Ignorieren“ wird dabei nur dann als erlaubt markiert, wenn „keine Diskriminierung“ vorliegt (S. 33). Mit anderen Worten: Nur was harmlos ist, darf unbeachtet bleiben. Alles andere muss adressiert – und eingehegt – werden.

  • Methode 5 schult „Handlungsstrategien“. Dabei wird empfohlen, bei „strafbaren“ Inhalten auch an Meldung zu denken (S. 41). Es ist der Moment, in dem aus pädagogischer Fürsorge institutionelle Kontrolle wird – mit der stillen Drohung, dass Denken, das sich nicht anpasst, zu melden ist.

Diese Methoden sind keine Werkzeuge der Aufklärung, sondern Instrumente der Eingrenzung. Sie lehren nicht die Freiheit der Position – sondern den Code des Richtigen. Sie operieren mit Merkmalen, nicht mit Argumenten. Und sie fördern nicht Widerspruch – sondern Anpassung.

Der offene Diskurs wird ersetzt durch pädagogisch legitimierte Diskursvermeidung.

Wenn Bildung zur Ideologie wird

Das vorliegende Dokument ist kein neutraler Beitrag zur Demokratieförderung. Es ist ein Lehrplan zur Verwaltung des Zweifels. Es bietet keine Werkzeuge zur kritischen Analyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse – sondern liefert pädagogisch verpackte Richtlinien zur Identifikation, Delegitimierung und letztlich Disziplinierung von Kritik, sobald diese nicht systemkonform artikuliert wird.

Was als pädagogische Antwort auf „Verschwörungserzählungen“ inszeniert wird, ist in Wahrheit eine diskursive Immunisierung gegen jede Form unkontrollierbarer Skepsis. Die entscheidende Operation liegt in der Gleichsetzung: Zwischen offen antisemitischen Ressentiments, kindlichen Fantasiegebilden über Echsenmenschen – und Kritik an den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. Diese strategische Nivellierung ermöglicht es, Kritik am staatlichen Handeln mit nur wenigen didaktischen Handgriffen in ein toxisches Umfeld zu verschieben. Sie erlaubt es, legitime Zweifel als Vorstufe zur Radikalisierung zu rahmen – ohne sich inhaltlich mit ihnen auseinandersetzen zu müssen.

Dass dieses Material mitten in der Pandemie entstand – einem Moment beispielloser Freiheitseinschränkungen, politischer Monopolisierungen und medialer Moralisierung –, ist kein Zufall. Es ist Ausdruck einer politischen Reaktion auf Kontrollverlust: Wenn das Vertrauen in staatliches Handeln bröckelt, muss der Zweifel disqualifiziert werden. Nicht durch Argument – sondern durch didaktische Klassifikation. Nicht durch Debatte – sondern durch pädagogische Einordnung.

Und das ist das eigentlich Alarmierende: Dieses Dokument steht exemplarisch für eine demokratische Kultur, die sich ihrer eigenen Grundprinzipien zu entledigen beginnt, sobald sie unter Druck gerät. Kritik wird nicht mehr integriert, sondern externalisiert. Zweifel nicht mehr adressiert, sondern pathologisiert. Und der politische Raum nicht mehr erweitert – sondern in pädagogische Kontrollzonen aufgeteilt.

Was als „Sensibilisierung“ bezeichnet wird, ist in Wahrheit eine Diskursprävention. Was als Schutz vor „Desinformation“ verkauft wird, ist die Vorauswahl der akzeptierten Meinung. Und was als „demokratische Resilienz“ firmiert, ist letztlich ein staatlich geförderter Reflex gegen jede Form der Infragestellung – vor allem dann, wenn sie unbequem ist.

In einer liberalen Demokratie dürfte ein solches Dokument nur eines sein: Ausgangspunkt einer Debatte. Doch hier dient es als Anleitung zur Kanalisierung. Als pädagogische Firewall gegen intellektuelle Entgrenzung. Als Erziehungsinstrument zur Vermeidung dessen, was Demokratie eigentlich ausmacht: Dissens.

Und so entlarvt sich das Dokument in seiner ganzen Ambivalenz: Es behauptet, aufzuklären – und unterrichtet doch im Nicht-Hinterfragen. Es will schützen – und konditioniert. Es will „Kritikfähigkeit“ fördern – und trainiert letztlich nur Anpassung.

Argomento Exklusiv

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