Bleistifte gegen Trump!
Von Hasnain Kazim - Meinungsfreiheit und Satire / Big Band und Schule / Bleistifte und Trump
Liebe Leserin, lieber Leser,
vergangene Woche wurde in Bamberg ein Journalist zu sieben Monaten Haft auf BewĂ€hrung verurteilt. Zudem muss er schriftlich bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser um Entschuldigung bitten. Grund: Er hatte eine Fotomontage verbreitet, auf der Faeser ein Schild in die Kamera hĂ€lt, auf dem steht: âIch hasse die Meinungsfreiheit.â Das echte Foto hatte einen Monat zuvor das Innenministerium verbreitet, auf dem Schild standen, anlĂ€sslich des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, die Worte: âWe Rememberâ.
Ich halte nicht nur das StrafmaĂ fĂŒr ĂŒberzogen, ich halte das Urteil fĂŒr im Grundsatz falsch. Denn eine Innenministerin, die ein Schild mit der Aufschrift: âIch hasse die Meinungsfreiheit.â hochhĂ€lt - was muss noch geschehen, dass man das als Satire erkennt?
Ich schrieb: âIch mag den âDeutschland-Kurierâ nicht, das Meme finde ich eher unkreativ und halbwitzig, aber das Urteil halte ich fĂŒr fatal.â Daraufhin kommentierte der Rechtsanwalt Emrah Erken: âLieber @HasnainKazim, Sie haben mit Ihrem Kommentar eindrĂŒcklich aufgezeigt, wie schlecht es mit der Meinungsfreiheit in Deutschland steht. Sie haben sich sowohl von diesem Medium als auch vom Meme distanziert. Wenn Sie nur geschrieben hĂ€tten, dass Sie das Urteil fĂŒr fatal halten, hĂ€tte man Ihnen möglicherweise âAfD-NĂ€heâ unterstellt, was natĂŒrlich völlig absurd wĂ€re. Das Meme ist - völlig unabhĂ€ngig davon, wer es erstellt hat - perfekte Satire. Das Urteil bestĂ€tigt, wie notwendig diese Kritik mittels Satire ist.â
Ich befĂŒrchte, Erken hat Recht. Denn ja, weil der âDeutschland-Kurierâ und sein Chefredakteur, eben jener verurteilte David Bendels, als âAfDâ-nah gelten, gab ich dem Impuls nach, mich zuerst von Medium und Bild zu distanzieren, um dann Kritik an dem Urteil zu ĂŒben - aus dem GefĂŒhl heraus, sonst in eine bestimmte Ecke gestellt, in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden.
NatĂŒrlich, Meinungsfreiheit heiĂt nicht Widerspruchsfreiheit, heiĂt nicht Kritikfreiheit. Man darf jeden fĂŒr seine Meinung kritisieren. Auch mich. Klar. Aber seine Meinung sollte man schon Ă€uĂern können, ohne prinzipiell davon ausgehen zu mĂŒssen, vorverurteilt zu werden. Meine Meinung ist: Recht muss tatsĂ€chlich fĂŒr alle gleichermaĂen gelten, unabhĂ€ngig davon, ob die, auf die es angewandt wird, nun politisch genehm sind oder nicht. Ich verteidige also nicht die âAfDâ, wenn ich dieses Urteil falsch finde. Sondern den Grundsatz der Meinungsfreiheit. Zu der auch böse Satire zĂ€hlt.
Ja, Satire und Ironie sind fĂŒr viele nicht gleich zu erkennen. Es hĂ€ngt oft von der Situation ab, davon, wer der Sprecher ist, in welchem Zusammenhang was gesagt oder geschrieben oder gezeichnet wird. Aber grundsĂ€tzlich ist Satire erlaubt und sogar etwas sehr Gutes. Das Bamberger Amtsgericht urteilte: âDie Fotomontage war nach Auffassung des Gerichts fĂŒr den unbefangenen Leser als solche nicht erkennbar.â Dieser Auffassung kann man sein. Ich bin mir sicher, dass es auch Menschen gibt, die das tatsĂ€chlich nicht als Satire erkannt haben. Aber wie gesagt: Ein Mensch mit durchschnittlichem Verstand sollte das schon verstehen.
Ich finde, Satire und Ăberzeichnung und beiĂender Humor mĂŒssen erlaubt sein, auch wenn einem all das nicht gefĂ€llt. Ich kritisiere das Urteil auch deshalb, weil ich daran denke: Was wird erst passieren, wenn die âAfDâ irgendwo an der Regierung ist? Was ist, wenn religiöse Fanatiker mehr Macht erhalten? Man muss Mohammed-Karikaturen nicht mögen - erlaubt sollten sie sein. Man kann Satire kritisieren, blöd finden, Gegenrede halten, Abos kĂŒndigen, dagegen demonstrieren - aber juristisch erlaubt sollte sie sein. Weil wir sonst schneller als gedacht Situationen schaffen, in denen unliebsame Kritik als Verleumdung bestraft wird.
In Autokratien ist das so. Machen Sie mal einen Witz ĂŒber Erdogan in der TĂŒrkei, am besten in der Ăffentlichkeit. Trump scheint von Ă€hnlicher Mimosenhaftigkeit zu sein. Und dann lese ich immer hĂ€ufiger, dass auch von politsch linker Seite die Meinungsfreiheit immer öfter offen infrage gestellt wird. âMeinungsfreiheit ist ein rechter Ausdruckâ, sagt die Aktivistin Sibel Schick. âEs wĂ€re geil, wenn sich Deutsche tatsĂ€chlich nicht mehr trauen wĂŒrden, offen ihre Meinung zu sagen.â Und die Juristin Mary Anne Franks von der George Washington University stellt das Prinzip der âFreedom of Speechâ infrage. Sie findet, davon wĂŒrden Mehrheitsgruppen und starke Gruppen profitieren gegenĂŒber Minderheiten und schwachen Gruppen.
Selbst wenn das stimmte, halte ich diesen Weg, nĂ€mlich an der Rede- und Meinungsfreiheit zu sĂ€gen und möglicherweise unterschiedlichen Gruppen unterschiedliche Grade an Freiheit zuzugestehen, fĂŒr absolut falsch.
Schriftliche Entschuldigungen hingegen finde ich ĂŒbrigens immer gut. Ich verlange sie immer handschriftlich, mit FĂŒller und blauer Tinte geschrieben, auf ordentlichem Briefpapier.
Schule, Musik, Leben
Die Big Band des Gymnasiums, an dem ich Abitur gemacht habe, wird dieses Jahr 30 Jahre alt. Sie wurde also ein Jahr nach meinem Schulabschluss gegrĂŒndet. Jetzt habe ich eine Einladung zum JubilĂ€umskonzert bekommen.
Als ich das las, musste ich darĂŒber nachdenken, was Schule jungen Menschen in Deutschland (und auch anderswo) bietet. Klar, irgendwas nervt immer, irgendein Fach macht immer keinen SpaĂ, mit irgendeinem Lehrer kommt man immer nicht klar. Aber alles in allem: Wie wunderbar, dass Schule hierzulande kostenfrei ist, man keine SchulgebĂŒhren zahlen muss (es sei denn, man geht auf eine Privatschule, ich habe damit aus grundsĂ€tzlichen ErwĂ€gungen meine Schwierigkeiten), sie jedem offen steht und man, wenn man kann und will, ein riesiges Angebot an Lerninhalten hat.
Arbeitsgemeinschaften, also AGs, bieten so viele Möglichkeiten: Theater, Chor, Orchester, Fotografie, Schach, âJugend forschtâ, Programmieren, you name it. Oder eben: Big Band. Diese Big Band ist seit ihrer GrĂŒndung vom Lehrer Frank MĂŒnter geleitet worden, den ich persönlich nie im Unterricht hatte, aber natĂŒrlich kenne. Generationen von SchĂŒlerinnen und SchĂŒlern haben inzwischen in der Big Band gespielt, sind auf Tournee gegangen, zum Teil weltweit. Was fĂŒr Erlebnisse! Was fĂŒr Chancen! Wie sehr schweiĂt so etwas zusammen, lĂ€sst Freundschaften entstehen, hilft bisweilen bei der Berufswahl, beeinflusst manchmal das ganze Leben!
Klar, es gibt Ungerechtigkeiten im Schulleben: dass Kinder aus Akademikerfamilien viel hĂ€ufiger das Gymnasium besuchen; dass Kinder aus manchen Familien nicht so viel UnterstĂŒtzung zu Hause bekommen wie andere; dass es auch bei der Benotung hier und da Vorurteile gibt und es bestimmte Kinder schwerer haben als andere; dass sich nicht alle Familien finanziell leisten können, dass die Kinder ein Musikinstrument lernen. DarĂŒber muss man reden und nach Lösungen suchen.
Ich halte es aber fĂŒr falsch, âdas Systemâ infrage zu stellen und das Kind mit dem Bade auszuschĂŒtten. Denn alles in allem, finde ich - und das sage ich, nachdem ich Schulsysteme in aller Welt kennengelernt habe -, dass wir schon ein ziemlich gutes haben.
Mir fĂ€llt das Zitat der Journalistin Mareice Kaiser ein, das die Wochenzeitung âDer Freitagâ aus einem Interview mit ihr diese Woche verbreitet hat. Darin sagt Kaiser: âWenn ihr euren Kindern bei den Hausaufgaben helft, verstĂ€rkt ihr soziale Ungerechtigkeiten. Das Private ist politisch.â
Das ist es, was ich mit âdas Kind mit dem Bade ausschĂŒttenâ meine. NatĂŒrlich sind Kinder im Vorteil, die zu Hause UnterstĂŒtzung beim Lernen bekommen. Aber Kinder, die vorgelesen bekommen, die mit ihren Eltern ins Technikmuseum oder in Konzerte oder in Kunstausstellungen oder ins Kino oder ins Theater gehen, die mit ihnen verreisen, die BĂŒcher zu Hause haben et cetera, all diese Kinder sind auch im Vorteil. Ebenso jene Kinder, die gesĂŒndere ErnĂ€hrung von ihren Eltern bekommen als andere Kinder. Oder auch nur mehr Aufmerksamkeit.
Ich verstehe den Punkt, den Kaiser macht: dass man versuchen sollte, zum Beispiel mit Ganztagesschulen die Nichtbetreuung mancher Kinder abzufedern. Ich bevorzuge aber die Freiwilligkeit: Vielleicht möchte ich ja, dass meine Kinder nachmittags zu Hause sind? Vielleicht möchte ich ja Zeit mit ihnen verbringen und nicht alles outsourcen? Das möchte ich als Elternteil doch schon gerne selbst entscheiden.
Und nicht mehr mit seinen Kindern zu lernen, ihnen nicht alle möglichen UnterstĂŒtzungen und Möglichkeiten zu bieten, nur damit man soziale Ungerechtigkeit nicht verstĂ€rkt, das halte ich doch fĂŒr grotesk.
Was ich sagen will: Man muss Ungerechtigkeiten, Unwuchten, Ungleichheiten angehen. Aber man sollte sich nicht der Illusion hingeben, man könnte alles ausgleichen und am Ende wÀren wir alle gleich. Das wÀre nicht nur nicht möglich, das ist, ehrlich gesagt, auch nicht erstrebenswert.
WÀhrend ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im Zug. Auf den ViererplÀtzen vor mir sitzen zwei Familien. Bei der einen starren die beiden Kinder schon seit Stunden auf ihre Handys, schauen erst Filme, zocken dann, spielen also Videospiele. Auch die Eltern sind in ihre Handys vertieft. Seit Stunden. Bei der anderen war die Handyzeit sehr begrenzt, dann wurde ihnen, leise, vorgelesen, nun malt das eine Kind, das andere liest selbst. Ich ahne in diesen wenigen Stunden Beobachtung, welch unterschiedlichen Wege die Kinder der beiden Familien gehen werden. Ich finde aber auch: Da sind die Eltern in der Verantwortung. Nicht Schule, nicht Politik, nicht Gesellschaft, nicht Staat.
Sie mögen das alles sehr anders sehen, es ist ja auch ein weites Feld.
Was Kinder und Jugendliche auf die Beine zu stellen in der Lage sind, können Sie jedenfalls beim JubilĂ€umskonzert der Big Band des VLG sehen und, vor allem, hören: am Freitag, 6. Juni 2025 um 19.45 Uhr im Stadeum in Stade. Karten gibt es fĂŒr 9,50 Euro unter www.stadeum.de (Si apre in una nuova finestra)oder an der Kasse des Stadeums.
Am Beispiel des Bleistifts
Als Donald Trump kĂŒrzlich seinen Zoll-Irrsinn startete, ĂŒbte sogar sein ihm sonst so ergebener Elon vorsichtige Kritik, indem er ein Video auf seiner Plattform X, auch bekannt als Twitter, postete von einem Mann, der am Beispiel eines auf den ersten Blick so einfachen Produkts wie dem Bleistift erlĂ€uterte, wie wichtig der weltweite Handel ist.
Der Mann: der berĂŒhmte Ăkonom Milton Friedman, NobelpreistrĂ€ger, Liberaler, Marktwirtschaftler, mit seiner schon lange berĂŒhmten Bleistiftrede. Friedman macht, zugegebenermaĂen etwas zugespitzt, deutlich, dass es zahlreicher Menschen und vieler Rohstoffe aus unterschiedlichen Weltregionen bedĂŒrfe, um einen Bleistift herzustellen.
Nun habe ich an Musk immer wieder einiges zu kritisieren. Aber dass er das Bleistiftbeispiel wĂ€hlt, um Trump zu kritisieren, finde ich als Bleistiftliebhaber einen geeigneten Anlass, um hier etwas ĂŒber Bleistifte zu schreiben. Zumal ich in den zurĂŒckliegenden Tagen und Wochen einige Zuschriften von Leserinnen und Lesern erhalten habe, ich möge doch meine anfangs gemachte AnkĂŒndigung einhalten, dass ich hier regelmĂ€Ăig ĂŒber Schreibwaren schreibe.
Denn in der Tat ist der Bleistift in der heutigen QualitÀt ein Ergebnis der Globalisierung. Bei sehr hochwertigen Stiften nÀmlich kommt das Zedernholz - und hochwertige Bleistifte sind aus Zedernholz - zum Beispiel aus kalifornischen WÀldern. Das Graphit kommt nicht selten aus Japan. Der Ton wiederum, aus dem zusammen mit dem Graphit die Mine gebrannt wird, kommt aus unterschiedlichen Weltregionen. Das MengenverhÀltnis ergibt den HÀrtegrad: je mehr Graphit, desto weicher und dunkler schreibt der Stift.
Wer sich intensiver mit den ökonomischen, technischen - oh ja, ein Bleistift ist eine viel komplexere Angelegenheit als man annehmen mag! - und historischen Apsekten des Bleistifts befassen mag, dem sei das Standardwerk âDer Bleistift. Die Geschichte eines Gebrauchsgegenstandsâ von Henry Petroski ans Herz gelegt. SpĂ€testens nach der LektĂŒre dieses Buches weiĂ man einen Bleistift, ein sehr verkanntes SchreibgerĂ€t, sehr zu schĂ€tzen.

Wer sich noch weiter mit dem Thema Bleistift auseinandersetzen möchte - Sie sehen, ich bin da ein wenig, nun ja, fanatisch -, dem seien folgende BĂŒcher empfohlen:
âDie Kunst, einen Bleistift zu spitzen. Eine praktische und theoretische Abhandlungâ von David Rees.
Das eher bildlastige, sehr schöne Buch âThe Secret Life of the Pencil. Great Creatives and their Pencilsâ von Alex Hammond und Mike Tinney.
âThe Pencil Perfect". The Untold Story of a Cultural Iconâ von Caroline Weaver, die von 2014 bis 2021 einen Bleistiftladen in New York betrieben hat.
âPencils You Should Know. A History of the Ultimate Writing Utensil in 75 Anecdotesâ, ebenfalls von Caroline Weaver.
âDer magische Bleistift. Kritzeln, zeichnen und skizzierenâ von Guy Field, fĂŒr alle, die mit dem Bleistift nicht nur schreiben, sondern vor allem zeichnen wollen.
Ich wĂŒnsche Ihnen einen geruhsamen Sonntag und eine schöne Woche und sende herzliche GrĂŒĂe derzeit aus Weiden in der Oberpfalz, wo gerade die Weidener Literaturtage stattfinden und wo ich am Samstagabend lesen durfte,
Ihr Hasnain Kazim
P. S.: Ich freue mich, wenn Sie die âErbaulichen Unterredungenâ abonnieren, mich als Mitglied mit einem Betrag unterstĂŒtzen und sie weiterempfehlen.