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Kleinstädte kommen

ANALYSE / WOHNEN IN DER LAUSITZ

Während die Kohle-Zentren gewachsen und geschrumpft sind, hat sich in vielen Kleinstädten wenig verändert. Heute punkten Falkenberg & Co. als idyllische Wohnorte mit guter Anbindung. Wenn man sie lässt.

von Christine Keilholz

  1. Juli 2025

Die Altstadt von Bad Liebenwerda. Foto: Landkreis Elbe-Elster / Andreas Franke
Die Altstadt von Bad Liebenwerda. Foto: Landkreis Elbe-Elster / Andreas Franke

In Elbe-Elster stirbt gerade eine Mittelstadt. Zusammen kommen Bad Liebenwerda, Falkenberg, Mühlberg und Uebigau-Wahrenbrück auf 20.000 Einwohner. Und zusammen bilden die vier Kleinstädte seit Januar 2020 eine einzige Kommune. Diese Verbandsgemeinde ist praktisch ein Extremfall von Gemeindegebietsreform. Aus vier Städten mach eine - auf diese Weise wollte Brandenburg Kosten sparen.

Überzeugt hat diese Idee nicht. Seit dem Zusammenschluss hat es keinen weiteren in Brandenburg gegeben. Nun steht auch dieser vor dem Aus. Falkenbergs ehrenamtlicher Bürgermeister, Stephan Bawey, hat angekündigt, seine Stadt aus der Quadriga zu befreien. Im selben Atemzug, bei der jüngsten Verordnetenversammlung, gab er auch seinen Rücktritt bekannt. Seine beiden Kolleginnen aus den anderen Rathäusern haben sich nicht auffällig bemüht, ihn zurückzuhalten. Wirklich glücklich scheint keiner mit dem Konstrukt der Verbandsgemeinde.

Sie wollen doch lieber Kleinstädte sein. Bawey ist nicht zufrieden mit seiner Stellung im Konstrukt Verbandsgemeinde. Zudem wirken sich die finanziellen Vorteile nicht so aus wie erhofft. Die Kritik, die aus der Verbandsgemeinde kommt, lässt sich so zusammenfassen: die eingeschränkte Selbstverwaltung erschwert es den Städten, ihre Entwicklungschancen zu nutzen. Denn diese Chancen sind da. Kleinstädte sind als Lebensräume im Kommen.

Lösung für Berliner Probleme

In Deutschland leben fast 25 Millionen Menschen in Kleinstädten. Das sind fast so viele wie in den 80 Großstädten. Die Fachwerkstädte, die Ackerbürgerstädte, sie bieten eine Art von Idyll, das auch im digitalen Zeitalter Anklang findet - obwohl sie in der Öffentlichkeit weniger Aufmerksamkeit bekommen. Und wenn, dann oft unfreundlich: Der Kleinstädter gilt als Gegenentwurf zum weltoffenen Großstädter. Doch dieser Gegensatz ist längst von der Realität überholt. Kleinstädter pendeln in die nächste Metropole zur Arbeit. International vernetzte Spezialisten ziehen das Fachwerkhaus in Herzberg der engen Wohnung in Berlin vor - falls sie dort überhaupt eine finden. Die Großstadt hat Probleme, die Kleinstadt hat Lösungen.

Gerade da, wo sich die Beschaulichkeit erhalten hat. Im Westen der Lausitz gab es nie große Industrie. Der Boom der Braunkohle ging an Bad Liebenwerda vorbei - folglich auch der Bruch durch den Kohleausstieg. Während im Kern des Reviers Dörfer binnen weniger Jahre zu Arbeiterwohnstädten hochgezüchtet wurden, blieb Falkenberg Falkenberg: Ein Städtchen, in dem Handwerker und Ladenbesitzerinnen wirtschaftlich den Ton angeben, mit einem vielversprechenden Eisenbahnknoten als einziger Besonderheit.

In Falkenberg kreuzen sich die Strecken Leipzig-Cottbus und Falkenberg-Rathenow. Von hier aus pendeln täglich hunderte Menschen aus der Umgebung. Berlin ist 1,39 Stunden entfernt, Leipzig weniger als eine Stunde. Wie wichtig das ist, zeigt der Kampf der Stadt um die S-Bahn-Verbindung Falkenberg-Leipzig. Die steht vor dem Aus, weil der Landkreis Nordsachsen sie nicht mehr bezahlen will. Für Falkenberg und die ganze Umgebung wäre das ein Rückschlag. Solche Verkehrsadern verschränken Stadt und Land und haben bereits für einen Austausch gesorgt, der im Westen der Lausitz zu spüren ist.

Reich und Arm nebeneinander

Spätestens mit der Corona-Pandemie kam ein Revival des Landlebens. Davon profitieren die Gemeinden rund um Berlin, wo sich junge Kreative niedergelassen haben auf der Flucht vor teuren Mieten, Krach und Stress. Geförderte Aktionen wie der Summer of Pioneers tragen das metropole Coworking als Arbeitsform in kleine Orte mit dem Ziel, dass die Coworker gleich da bleiben. Zeitweise warb Brandenburg gezielt um Kreative, die Gutshäuser und leerstehende Fabriken wiederbeleben sollten. Einen großen Exodus von Berlinern hat das zwar nicht bewirkt, aber es hat die gut angebundenen Kleinstädte ins Blickfeld der Umworbenen gerückt. Besonders dort, wo sich die Speckgürtel von Berlin, Leipzig und Dresden berühren.

In Bad Liebenwerda lebt es sich weit ab vom Big Business - auch wenn man sich jederzeit einloggen kann. Kleinstädte tun viel für gleichwertige Lebensverhältnisse. Unter 5.000 Einwohnern findet mehr Begegnung statt als unter 500.000. Wo Reihenhäuser nebeneinander stehen, herrscht weniger Segregation als in Großstädten, wo Reiche, Arme, Migranten oder Intellektuelle lieber in ihren Vierteln unter sich sind.

Eigenheim nicht unbedingt

Das schätzen Großstädter, die sich für kleine Orte interessieren, ergab eine Untersuchung des Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR). Auch die Mittelstadt Görlitz wirbt mit kurzen Wegen, verfügbaren Kita-Plätzen und der vielfältigen Begegnung im sozialen Nahraum. Die Forschungseinrichtungen, die Görlitz mit dem Strukturwandel bekommen hat, können nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn Görlitz auch als Wohnstadt punktet. Die IÖR-Umfrage ergab, dass die Zuzugswilligen den trotz kurzer Wege urbanen Charakter schätzen, die Offenheit der Stadtgesellschaft und das rege Vereinsleben.

Die Untersuchung ergab auch, dass Neu-Kleinstädter andere Vorstellungen vom Wohnen haben als bisher gedacht. Viele leben lieber im Mehrfamilienhaus in der Innenstadt als im Eigenheim am Stadtrand. Lange galt es als geradezu überlebenswichtig für ländliche Kommunen, Bauplätze bieten zu können. Wenn sich die Nachfrage nun ändert, müssen die Städte reagieren und eigenständig handeln können.

Dem wurde die Verbandsgemeinde als Organisationsform nicht gerecht. Falkenberg und seine Partner haben keine hauptamtlichen Bürgermeister mehr, dafür Stadtparlamente und eigene Haushalte. Das Geld ist nach wie vor knapp.

Argomento Gesellschaft und Kultur