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Die große Pause

Wenn ich im Sommer nach Frankreich reise, handelt es sich nicht um Ferien im klassischen Sinne. In den Augen der Freunde und Verwandten kehre ich dann in mein eigentliches Leben zurück. Es ist wie bei manchen der Zuhausebesuch an Weihnachten – eine feierliche Sache. Schon in der Kindheit schärfte mir mein Großvater ein, ich müsse in Deutschland ja nur die Zeit zwischen den Schulferien überbrücken, dann würde ich schon wieder im Sud-Ouest erwartet. Der Wiege und Vollendung menschlicher Zivilisation.

So viel Mathematik konnte ich allerdings schon, um zu errechnen, dass die Wochen in Deutschland zahlreicher waren als jene in Frankreich – aber es war eben eine Frage der Qualität. Irgendwann bekam ich ein kleines Radio geschenkt, um gleich morgens die französische Innenpolitik zu verfolgen, und das tue ich noch heute.

Mit den Menschen, die ich dort nun täglich sehen werde, habe ich im Rest des Jahres keinen Kontakt – außer, ein Bagger ist gegen unseren Zaun dort gekracht, dann bekomme ich ein Schadenfoto. Das hat für die den Vorteil, dass sie mir anvertrauen können, was ihnen auf dem Herzen, dem Geldbeutel oder sonstwo liegt. Im fernen, kalten Deutschland kennen sie keinen außer mir und meiner Familie, also werde ich im Sommer zum säkularen Beichtvater. Fragen des Erbes sind ein großes Thema, verschleppte Insolvenzen, Liebeswirren oder Schwächen der Gesundheit, der Fitness, die möglichst verschwiegen werden, außer an unserem Tisch im Garten.

Die moralische Ordnung der Siedlung wird nicht von Recht und Gesetz bestimmt. Als ein neuer, ein angeheirateter Typ eine Schramme an seinem Auto bemerkte und die Gendarmerie rief, war das Entsetzen groß. Nicht über die Fahrerflucht, sondern über den Verräter, denn seit 1974 hat es in der Ferienhaussiedlung noch nie einen Polizeieinsatz gegeben. Es gab zu der Sache dann exakt null Zeugenaussagen, denn der Unfall ereignete sich an einem Mittwoch und da ist Wochenmarkt, also hat niemand etwas gesehen. Aber auch Montags hätte niemand was gesagt und auch nicht an den anderen Tagen.

Es gibt bessere Mittel. Als ein Freund nicht schlafen konnte, weil die Teenager der Nachbarn allein zuhause waren und laut Musik hörten, schlich er gegen 2 Uhr rüber, um sich zu beschweren. Die jungen Leute machten sich über ihn lustig. Doch nicht lange. Mein Freund wählte die ultimative Drohung, nicht etwa die Flics – die wären ja ebenso ausgelacht worden. Er sagte: Clara, dann rufe ich jetzt eben deine Großmutter in der Stadt an und wecke sie.

Mein Freund kennt die fragliche Großmutter seit seiner Kindheit, wie ich auch – in den matriarchalischen französischen Familien eine nahezu mythische Respektsperson. Sie ist aber auch sonst niemand, mit dem man sich anlegen möchte.

Sofort war die herrlichste Stille. Am nächsten Tag kam Claras zerknirschter Vater, Sohn der beinahe alarmierten Großmutter, bei meinem Freund vorbei und bat um Vergebung. Beim Hinausgehen fügte er aber an, die Drohung wäre schon sehr heftig gewesen, zu solch einer Eskalation dürfe es nie kommen.

Niemand verfällt auf die Idee, mit Titeln oder Gütern anzugeben, auch nicht mit irgendwelchen weltlichen Erfolgen zu prahlen. Oder die kleinen Häuser aufzumotzen, geschweige denn woanders Grössere zu kaufen. Themen des Alltags, die den Rest des Jahres so ernst genommen werden, wie Schulnoten, Beförderungen, Entlassungen, Macron und Trump - die sind hier nur wenige Sekunden lang interessant.

Es geht um die langen Linien und die großen Fragen. Geburten, Krankheiten und Todesfälle. Dazwischen ist nur eines wichtig: Wie lange man bleibt und wann man wieder kommt.

Man kann die Weltlage nicht verstehen, ohne an die zentrale Rolle der Nachrichtendienste zu denken. Profi-Schlapphut Wladimir Putin ist es gelungen, die Elite der Bundesrepublik aufs Kreuz zu legen. Es wurde erst bemerkt, als es fast zu spät war. Im Weißen Haus sitzt ein Mann, der seit Jahrzehnten im Sinne des Kreml agiert und auch in diesen Tagen der beste Sachwalter Moskaus ist. Allein schon, weil er sein Amt und sein Land so lächerlich macht. Auch der israelische Dienst beeinflusst die große Politik, man denke nur an die Pager-Aktion gegen die libanesische Hisbollah und die erstaunlich präzisen Informationen aus Teheran - etwa, wo der Hamas-Chef Ismail Hanyie während seines Besuchs wohnt.

Es ist ebenso bezeichnend, dass noch nie jemand von einem gesamteuropäischen Nachrichtendienst gehört hat. Oder sein segensreiches Wirken gespürt hat, etwa bei der Eindämmung russischer und chinesischer Einflüsse.

Lange Zeit war, zumal in der Fantasie linker Kreise, die CIA der große Drahtzieher oder Bösewicht, je nachdem. Heute hat die Agency diese mythische Stellung eingebüßt. Das neue Buch von Tim Weiner zeichnet diese Entwicklung nach. Es erscheint in Kürze, werde es in die Ferien mitnehmen.

In der Hitze dieser Saison sehnt man sich nach dem hohen Norden und schräger finnischer Komik. Die Serie Made in Finland hat beides zu bieten, erzählt den Aufstieg des Klopapierherstellers Nokia zum führenden Mobiltelefonisten. Ich habe manchmal Sehnsucht nach den unverwüstlichen Nokias, deren Akkus wochenlang hielten und mit denen man nur Sprechen oder texten konnte. Und natürlich geht es zu Beginn intern darum, dass Nokia keinesfalls weg darf vom Papier, Seele der Firma. Erinnert an viele andere, deutsche Unternehmen die auch partout nicht weg wollen vom Verbrenner.

https://www.arte.tv/de/videos/121269-001-A/made-in-finland-1-6/ (Si apre in una nuova finestra)

Wenn man sich nach einem echten französischen Film sehnt, dann möchte man ein Panorama unserer Gesellschaft, in dem das Essen, Chansons und die Liebe vorkommen. Und Politik. In so einem Fall ist Robert Guédigians Et la fête continue genau richtig! Es geht um Marseille, die Zukunft der Linken und der Liebe. Einmal gibt es ein Familienessen mit dem traditionellen Familiengericht, aber die neue Verlobte des Sohnes ist allergisch gegen Anchovis - Wesenszutat des signature dish der Familie, pasta alla puttanesca. Horreur!

Guédigian hat einen meiner Lieblingsfilme inszeniert, eine Studie über François Mitterrand in seinen letzten Jahren - zu dem fand ich aber kein Streamingangebot, leider

https://www.youtube.com/watch?v=XFnrH3JfeQE (Si apre in una nuova finestra)

Kostenlos zu streamen auf tv5mondeplus, gibt auch deutsche Untertitel.

https://www.tv5mondeplus.com/de/cinema/comedie-dramatique/et-la-fete-continue/play (Si apre in una nuova finestra)

Manchmal bekomme ich Sachen gar nicht mit, die ich eigentlich mitbekommen sollte. Naja. Beispielsweise, dass der große Klaus Erfort mit seinem Gästehaus zu Saarbrücken Insolvenz anmelden musste. Es ist ein schlechtes Zeichen, weniger für ihn als für das Saarland und den allgemeinen Geist der Zeit. Denn Erfort suchte und erreichte absolute Exzellenz in jedem Detail - das in einer Republik, die sich zu oft mit Mittelmaß zufrieden gibt. Zumal beim Essen. Mein Freund und Nachbar im französischen Südwesten, Éric, sieht es als Bürgerpflicht und familiäre Ehre an, einmal im Jahr mit seiner Frau und einem befreundeten Paar ein 3-Sterne-Restaurant aufzusuchen - se faire un trois étoiles. Sehr viel Geld hat er übrigens nicht, er ist Handwerker und spart auf diesen Ausflug.

Hier ein Video aus besseren Tagen im Gästehaus:

https://www.youtube.com/watch?v=hhwd1we00n0 (Si apre in una nuova finestra)

Zum Siebter-Tag-Staffelfinale hier noch einmal eine Hommage an den großen Ottolenghi:

https://ottolenghi.co.uk/pages/recipes/sweet-smokey-chicken-wings (Si apre in una nuova finestra)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

PS: Der siebte Tag macht nun Sommerpause, die nächste Ausgabe folgt an einem Sonntag im August. Danke für den großen Zuspruch, die Unterstützung und auf ein gesundes und munteres Wiederlesen zur rentrée.

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