đ§ ADHS bei Frauen:
Wenn die Diagnose Jahrzehnte zu spĂ€t kommt â und was du tun kannst

Viele von uns in der ADHSSpektrum-Community kennen es: Der Verdacht auf ADHS steht schon lange im Raum, aber Ărzte winken ab, Psychologen diagnostizieren lieber âDepressionenâ, und auf einen Diagnostiktermin wartet man ein halbes Jahr â mindestens.
Eine aktuelle Studie (Holden & Kobayashi-Wood, 2025) hat nun eindrucksvoll gezeigt, welche psychischen und sozialen Folgen eine zu spĂ€t erkannte ADHS-Diagnose fĂŒr Frauen haben kann. Sie hat mir beim Lesen fast den Atem geraubt â weil so viele Aussagen eins zu eins aus unserer Community stammen könnten.
Gerade gestern habe ich in meiner Klinik ein GesprĂ€ch mit âso einer â von mir sehr spĂ€t diagnostizierten Patientin gehabt. Und die Behandlung schenkt ihr quasi ein neues Leben. Ein Kopf, der wieder (erstmals funktioniert), wieder Energie statt totale HandlungsfĂ€higkeit und eben auch keine (weniger?) Schmerzen. Sie verlĂ€sst heute die Klinik, weil sie vorher gar nicht âtherapiefĂ€higâ mit diesem Kopf gewesen war und âalles zuvielâ war. Jetzt fĂŒhlt sie sich quasi so gut wie noch nie. Der erste Tag mit Lisdexamphetamin sei âder beste Tag ihres Lebensâ gewesenâŠ. Na jaâŠ
Auch wenn dieses Honeymoon-Effekt bei Elvanse vielleicht nicht ewig anhĂ€lt, die ErklĂ€rungen zu ADHS und das VerstĂ€ndnis ihrer Biographie sind wirklich âGamechangerâ.
đŻ Worum ging es in der Studie?
Die Forscherinnen befragten 28 Frauen aus GroĂbritannien, die erst im Erwachsenenalter mit ADHS diagnostiziert wurden â meist erst mit Mitte 30 oder spĂ€ter. Die Teilnehmerinnen berichteten von massiven Auswirkungen auf:
ihr Selbstbild
ihre psychische Gesundheit
Beziehungen, Karriere und Familie
ihre ganze Lebensgeschichte
Besonders hÀufig waren Aussagen wie:
âIch dachte immer, ich bin einfach zu faul oder dumm.â
âIch habe Jahrzehnte gebraucht, um zu verstehen, warum ich so funktioniere wie ich funktioniere.â
âDie Diagnose hat mir das Leben gerettet â aber auch wehgetan, weil ich mir wĂŒnsche, sie 20 Jahre frĂŒher bekommen zu haben.â
đ Was genau fanden die Forscherinnen heraus?
1. ADHS bei Frauen wird oft ĂŒbersehen â und das hat Folgen
Viele der Teilnehmerinnen waren schon als Kinder auffĂ€llig â aber nicht laut oder hyperaktiv, sondern vertrĂ€umt, emotional, sensibel, schnell ĂŒberfordert oder âzu vielâ. Das wurde nicht als ADHS erkannt, sondern als âLaunenhaftigkeitâ, âschlechtes Sozialverhaltenâ oder âDramaâ.
Fast alle berichteten:
Sie fĂŒhlten sich stĂ€ndig falsch, zu empfindlich oder nicht belastbar.
Ihre Probleme wurden hÀufig als Depression oder Angststörung interpretiert.
Sie wurden von Ărzt:innen nicht ernst genommen â auch dann nicht, wenn sie ihren ADHS-Verdacht offen ansprachen.
âIch hatte das GefĂŒhl, ich werde gaslighted â sogar von Fachpersonen.â
69âŻ% der Frauen sagten: Mein Geschlecht hat eine Rolle gespielt, dass ich keine frĂŒhere Diagnose bekommen habe.
81âŻ% kritisierten das medizinische System als Hauptgrund fĂŒr die spĂ€te Erkennung.
2. Maskierung und Anpassung als Ăberlebensstrategie
Ein zentrales Thema: Die Frauen maskierten ihre ADHS-Symptome ĂŒber Jahrzehnte â oft, ohne es zu wissen. Sie waren höchst angepasst, versuchten, âgut zu funktionierenâ, waren ĂŒberperfektionistisch, gleichzeitig innerlich ĂŒberfordert. Viele fĂŒhlten sich wie eine âFĂ€lschungâ.
âIch habe so viel Energie darin investiert, normal zu wirken â bis ich zusammengebrochen bin.â
3. Was die Diagnose verĂ€ndert â und was bleibt
FĂŒr fast alle Teilnehmerinnen war die spĂ€te Diagnose ein Wendepunkt: Sie fanden ein neues VerstĂ€ndnis fĂŒr sich selbst, begannen sich mitfĂŒhlender zu behandeln, konnten Strategien lernen, statt sich nur selbst zu kasteien.
Aber: Viele trauerten auch. Um das, was hĂ€tte sein können. Um verlorene Chancen, Selbstzweifel, unerfĂŒllte Beziehungen, falsche berufliche Entscheidungen.
âIch bin jetzt 50. Ich weiĂ, dass ich eine andere Mutter, Partnerin, Kollegin hĂ€tte sein können â wenn man mich frĂŒher erkannt hĂ€tte.â
đ§ Und was bedeutet das fĂŒr dich?
Vielleicht bist du gerade in genau dieser Situation:
Du vermutest ADHS, findest dich in den Beschreibungen wieder, aber:
deine Ărztin nimmt dich nicht ernst
du findest keinen Diagnostiktermin
du bist unsicher, ob du dir das nur âeinredestâ
âĄïž Nein. Du bildest dir nichts ein.
Diese Studie zeigt klar: Frauen mit ADHS werden systematisch ĂŒbersehen â und leiden jahrelang unnötig.
â Was du tun kannst (auch ohne Diagnose)
Wenn du gerade keine Diagnostik bekommst, gibt es trotzdem viele Wege, dich besser zu verstehen und zu unterstĂŒtzen:
1. Wissen sammeln und Symptome tracken
FĂŒhre ein Symptomtagebuch â gerne auch zyklisch, z.âŻB. rund um PMS oder Menopause.
Nutze Selbsttests wie WURS-K (Abre numa nova janela), [DIVA 5.0] oder [CAARS-Selbstbericht].
Lies Blogs, Studien oder BĂŒcher von anderen neurodivergenten Frauen (z.âŻB. Megan Anna Neff, Dani Donovan â oder hier im ADHSSpektrum).
2. Sprich offen â aber gezielt mit Ărzt:innen
Bereite dich strukturiert auf das GesprÀch vor (Stichwort: Lebensbeispiele, Symptomtagebuch).
Bring Artikel oder Studien mit (wie diese!).
Sei geduldig â aber bleib dran.
3. Nutz deine Community
In unserer ADHSSpektrum-Community findest du Austausch, Buddy-Coaching, Ressourcen und offene Ohren.
Wir arbeiten gemeinsam an Strategien â auch ohne offizielle Diagnose.
4. Arbeite mit dem, was du hast
Du musst nicht auf âStempelâ warten, um zu starten:
Fang an mit Timeboxing.
Plane in Zyklen statt linear.
Setze auf Strategien zur Selbstregulation (z.âŻB. Emoflex, Rejection-Resilience, Notion-Kanban, Coaching-Cards).
đŹ Mein Fazit
Diese Studie ist eine klare Botschaft:
đ Du bist nicht allein.
đ Du bist nicht zu kompliziert.
đ Du wurdest nicht ernst genommen â aber das war nicht deine Schuld.
Und ja â es ist nie zu spĂ€t, dich selbst zu verstehen.
Wenn du magst, erzÀhl in den Kommentaren oder in der Community von deiner Erfahrung. Wo stehst du gerade? Und was hÀttest du gebraucht?
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đ§ Quellenangabe:
Holden, E., & Kobayashi-Wood, H. (2025). Adverse experiences of women with undiagnosed ADHD and the invaluable role of diagnosis. Scientific Reports, 15, 20945. https://doi.org/10.1038/s41598-025-04782-y (Abre numa nova janela)