Selbstwirksamkeit im Fokus
Blick auf die Studie „Self-Efficacy Is Mainly Genetic, Not Learned“ (Waaktaar & Torgersen, 2013) und Auswirkungen auf das professionelle Coaching.
Ziel der Studie
Die Studie untersucht, in welchem Ausmaß allgemeine Selbstwirksamkeit bei Jugendlichen genetisch versus durch Umweltfaktoren bestimmt ist. Dies steht im Gegensatz zur gängigen Annahme der Sozialen Lerntheorie (Bandura), die Selbstwirksamkeit als gelerntes Verhalten beschreibt.
Methode
Teilnehmer: 1.394 Zwillingspaare (Mono- und Dizygotische Zwillinge, 7 nationale norwegische Jahrgänge, 1988–1994)
Design: Multi-Informantenansatz (Selbstauskunft der Zwillinge, Mütter, Väter)
Messinstrument: 12-Item-Version der Children’s Perceived Self-Efficacy Scale (akademisch, sozial, selbstregulatorisch)
Statistische Analyse: Psychometrisches Zwillingsmodell (ACE-Modell), das genetische (A), gemeinsame Umweltfaktoren (C) und nicht-geteilte Umweltfaktoren (E) trennt.
Hauptergebnisse
75 % der Varianz in allgemeiner Selbstwirksamkeit wurde durch genetische Faktoren (A) erklärt.
25 % wurden durch nicht-geteilte Umweltfaktoren (E) bestimmt.
Gemeinsame Umweltfaktoren (C) hatten keinen signifikanten Einfluss auf den gemeinsamen Selbstwirksamkeitsfaktor.
Es gab keine bedeutsamen Geschlechtsunterschiede in den genetischen oder Umweltanteilen.
Informantenspezifische Unterschiede:
Väter zeigten die höchsten genetischen Effekte in ihren Bewertungen.
Mütterberichte wiesen einen kleinen, spezifischen Umweltanteil auf.
Selbstbewertungen der Jugendlichen enthielten die meisten informantenspezifischen Umweltanteile (inkl. Messfehler).
Schlussfolgerung
Die Studie widerspricht der klassischen Annahme, dass Selbstwirksamkeit primär durch Lernen aus der Umwelt entsteht. Stattdessen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Selbstwirksamkeit bei Jugendlichen größtenteils genetisch veranlagt ist. Der geringe Einfluss gemeinsamer Umweltfaktoren deutet zudem darauf hin, dass familiäre Erziehung oder soziales Umfeld nur eine untergeordnete Rolle spielen. Dies stellt die Sozial-kognitive Theorie von Bandura fundamental infrage.
Bedeutung für das Coaching
Theoretisch: Herausforderung an etablierte Lerntheorien.
Praktisch: Förderung von Selbstwirksamkeit könnte stärker auf individuellen Anlagen basieren als auf reinen Umwelteinflüssen.
Methodisch: Mehr-Informantenansätze liefern robustere Ergebnisse als Einzelbewertungen.
1. Selbstwirksamkeit verstehen
Definition: Selbstwirksamkeit ist das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern.
Wissenschaftlicher Befund: Rund 75 % der Unterschiede in allgemeiner Selbstwirksamkeit sind genetisch bedingt. Nur 25 % beruhen auf individuellen Umwelteinflüssen.
Implikation: Selbstwirksamkeit ist relativ stabil – aber gezielte Erfahrungen können Veränderungen bewirken.
2. Haltung im Coaching: Realistisch & Ressourcenorientiert
Vermeide unrealistische Erwartungen („Jeder kann alles schaffen“).
Respektiere die individuelle Ausgangslage des Coachees.
Betone Stärken und arbeite mit dem, was da ist – nicht gegen die Natur des Menschen.
Fördere keine „Selbstoptimierung“, sondern Selbstverankerung.
3. Coaching-Ziele sinnvoll definieren
Stelle Fragen wie:
Wo erlebst du bereits Selbstwirksamkeit?
In welchen Kontexten fühlst du dich handlungsfähig?
Welche Situationen haben dich früher stark gemacht?
▶︎ Ziele sollten nicht auf abstrakte Persönlichkeitsveränderung, sondern auf konkrete Kontexte und Handlungsstrategien abzielen.
4. Erlebnisse statt Überzeugungen verändern
Da Selbstwirksamkeit nicht „eingeredet“, sondern erlebt wird, gilt:
✔ Schaffe reale Erfolgserlebnisse im Alltag.
✔ Nutze Rollenspiele, Planspiele oder reale Herausforderungen.
✔ Reflektiere konkrete Situationen im Nachhinein: „Was war dein Anteil am Erfolg?“
✔ Achte auf Selbstzuschreibungen („Ich hab das geschafft“ vs. „Das war Zufall“).
5. Kontextfaktoren systematisch analysieren
Finde heraus:
Welche Umgebungen fördern beim Coachee Selbstwirksamkeit?
Welche Rollen, Aufgaben oder Beziehungen stärken dieses Empfinden?
Wo wirkt das Umfeld eher entmutigend?
▶︎ Ziel: Rahmenbedingungen gestalten, in denen Selbstwirksamkeit erlebt werden kann – z. B. klare Verantwortlichkeiten, Feedback-Kultur, Autonomie-Spielräume.
6. Individualität respektieren
Verzichte auf pauschale Selbstwirksamkeitstrainings.
Entwickle maßgeschneiderte Coaching-Strategien, z. B.:
Für eher zurückhaltende Menschen: Mikro-Erfolge sichtbar machen.
Für impulsive Typen: Reflexion und Zielbewusstheit fördern.
Für analytische Typen: Strukturiertes Kompetenz-Tracking.
7. Psychometrische Stabilität nutzen
Die Studie zeigt: Selbsteinschätzung ist oft weniger zuverlässig als Außenwahrnehmung.
Nutze das gezielt:
Hole auch Fremdbilder ein (z. B. aus 360°-Feedback).
Beobachte Verhalten statt Aussagen („Was hat die Person konkret getan?“).
8. Grenzen anerkennen – Entwicklung ermöglichen
Akzeptiere: Nicht jeder Coachee wird ein „Selbstwirksamkeits-Gigant“.
Aber: Jeder kann mehr Sicherheit in bestimmten Situationen gewinnen.
Ziel ist nicht „mehr Selbstbewusstsein“, sondern: gezielte Selbstermächtigung in relevanten Lebensbereichen.
9. Kommunikation anpassen
Vermeide imperatives Coaching („Du musst einfach…“).
Verwende stattdessen:
„Was brauchst du, um dir das zuzutrauen?“
„Wann hast du dich zuletzt stark gefühlt?“
„Was daran war deine eigene Leistung?“
10. Wirkung messbar machen
Nutze einfache Skalen (z. B. 1–10) zur Selbstwirksamkeit in bestimmten Situationen.
Frage nach Vorher-Nachher-Erleben.
Nutze Journaling, um Fortschritte sichtbar zu machen.
Fazit:
Coaching stärkt Selbstwirksamkeit nicht, indem es Menschen „umprogrammiert“, sondern indem es ihnen hilft, ihr angelegtes Potenzial in passenden Kontexten konkret zu erleben.
Wenn Sie dieses Thema persönlich vertiefen möchten, können Sie gerne eine individuelle Coaching-Session (Abre numa nova janela) vereinbaren.
Die Inhalte dieses Artikels dienen ausschließlich der Information und stellen keine medizinische, psychologische, rechtliche oder sonstige Beratung dar. Trotz sorgfältiger Recherche kann keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität übernommen werden. Die Anwendung der dargestellten Inhalte erfolgt in eigener Verantwortung.