Lauchhammers blinder Fleck
TV-KRITIK / LAUSITZ IN DER ARD
Der Sechsteiler in der ARD zeichnet ein so ästhetisches wie schreckliches Bild der Lausitz. Dort ist aber nur ein Teil der Realität abgebildet. Das Entscheidende fehlt.
von Christian Füller
Oktober 2022

So eindrucksvolle Bilder. Die Eimerketten eines riesigen Baggers schlagen ihre Zähne in die Kohle. In Zeitlupe spritzen die Brocken auseinander. Auch die aufgerissenen Böden des Tagebaus und selbst die Leichen der strangulierten Mädchen haben etwas schrecklich Schönes an sich. Lauchhammer, das ist der Titel eines sechsteiligen Krimis, der die Lausitz ins Zentrum rückt. Und die DDR. Und die Transformation. Und die Menschen, die mit ihr ringen.
Die Serie, deren letzter Teil gestern lief (und immer noch in der Mediathek zu sehen ist), hat sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Sie wird einerseits für ihre Bildsprache und ihr Drehbuch gelobt. Und sie wird andererseits verdammt für ihren einseitigen Blick auf die Lausitz und ihre Menschen: „Leben im Osten nur Freaks (Abre numa nova janela)?“ fragte die FAZ.
Das ist eine berechtigte Kritik. Die Menschen, die in Lauchhammer, aus der DDR kommend, gezeigt werden, scheinen allesamt Loser, Freaks oder kaputte Typen zu sein. Eine Mutter, die über Crystal Meth ihre Kinder vergisst. Sie hat keinen Herd und kein fließend Wasser in ihrer Küche. Der pensionierte Polizist sitzt in einer verrauchten Bude. Der Wohnzimmertisch voller Whisky- und Wodkaflaschen. Der Mann, der die gigantische Förderbrücke Lauchhammers erklärt, tut es so: „Das ist einer der teuersten Wegwerf-Artikel der Wiedervereinigung. Der Stolz des DDR-Kombinats Takraf. War nach der Wiedervereinigung ganze 15 Monate in Betrieb. Kaum hatte es seine Arbeit aufgenommen, wurd’s auch schon wieder stillgelegt.“
Wie lange schaufelte die F60 Kohle?
Klar, das hört sich einseitig an. Aber sind das denn etwa keine Fakten? Schaufelte die F60 des VEB in Lauchhammer etwa länger Kohle? Die Art, wie im Sechsteiler das Ost-Personal auftritt, ist also nicht nur einseitig. Sie bildet auch eine Realität der Menschen in den neuen Bundesländern ab. Die Philippika des Schriftstellers Tim Müller in der FAZ hat ihrerseits blinde Flecken. Und zwar mindestens zwei. In einem dieser beiden blinden Flecken sind sich die Drehbuchschreiber und Ästheten des Lausitz-Grusels und der Kritiker übrigens einig. Dazu gleich mehr.
Zunächst zu den Protagonisten, die angeblich nur Verlierer und Depressive sind. Das stimmt so nicht. Es gibt positive Figuren in „Lauchhammer“. Auch wenn sie nicht ausschließlich strahlende Helden sind – was vielleicht eher Beleg für eine gute Geschichte wäre. Die Kommissarin ist stark – okay, sie ist aus dem hippen Leipzig nach Cottbus gekommen. Von hier aber stammt der Polizist, der ein überaus kreativer und lebensfroher Mensch ist. Am stärksten tritt eine junge Frau auf, Jacky, die in Lauchhammer wohnt und deswegen bei den Klimaaktivisten mitkämpft.
Sie spricht Sätze und tut Dinge, die alles andere als resignativ klingen. Sie sagt: Ich will hierbleiben. Sie sagt: "Ich will den Planeten retten." Sie sagt: "Wir müssen das endlich anders machen". Und sie tut etwas dafür. Aber selbst ihr Großvater, ein Bergmann der alten Schule, der wahrscheinlich jeden Lüftungsschacht und jede Baggerschaufel des Reviers mit Vornamen kennt, ist kein Relikt der alten DDR. Er verrät den Klimakämpfern, von welcher Seite sie in den Tagebau eindringen können, ohne dass die Polizei sie erwischt. „Weil wir beide unter der Erde sein werden, wenn es zu spät ist“, begründet er seiner Frau, warum er die Enkelin im Kampf gegen die Kohle unterstützt. „Jacky aber ganz sicher nicht.“
Region nicht aus der Perspektive des Gestern betrachten
Aber tatsächlich fehlt etwas wichtigeres: Der Film stellt die Behauptung auf, dass die Wertschöpfung in der Lausitz nach wie vor an der Kohle hänge. Das ist, erstens, falsch. Und, zweitens, ist das für die Darstellung der Lausitz nicht erhellend. Journalismus und Kunst, also in diesem Fall der Film, haben in einer Umbruchssituation eine wichtige Funktion. Sie dürfen das Neue, das oft erst in Umrissen erkennbar ist, nicht nur aus der Perspektive des Gestern betrachten. Sie sollten auch jene Beispiele vorstellen und illustrieren, aus denen Zukunft entsteht, die also bereits Wertschöpfung betreiben. Um es mit Fakten zu belegen: Von den 600.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in der Lausitz arbeiten noch 6.500 beim Bergbau-Unternehmen Leag. Das weiß leider kaum jemand. Und das obwohl inzwischen ein Vorstandsvorsitzender bei der Leag (Abre numa nova janela) regiert, der konsequent für das Ende der Kohle eintritt.
Es ist nicht die Aufgabe der Kunst, konstruktive Geschichten zu erzählen oder gar die Realität zu verdoppeln. Und es ist nicht die Aufgabe der Medien, die Kunst daran zu erinnern, dass sie die Realität falsch abgebildet hat. Aber natürlich sollten in beiden Branchen der Zeichen und der symbolischen Abbildungen, Realitäten vorkommen, die noch kaum jemand zur Kenntnis nimmt. Und ist nicht auch Fiktion ein Stück Realität – für morgen. Der blinde Fleck in „Lauchhammers“ Kameraaugen und auch seinen Besprechungen, sind Tatsachen der Transformation. Dazu gehört, dass es nicht nur bei der Polizei Menschen gibt, die aktiv, cool und hoffnungsvoll sind. Dass Menschen hier bleiben wollen, die eigene, neue Gewerke aufbauen. Sei es ein Museum oder einen Betrieb für Stickarbeiten. Oder eine Agentur für Werkzeuge, die man sich ausleihen kann. Oder einen Hersteller für Mini-Holzkraftwerke (Abre numa nova janela), die sich fast jeder leisten kann.
Bahnwerk ist 2024 fertig, die ICE-Gleise frühestens 2027
Natürlich dürften dann auch die neuen und vielleicht künftigen Industrien nicht fehlen. Große Forschungszentren wie in Görlitz das Casus. Neue große Fabriken beziehungsweise Dienstleistungshallen, wie das Bahnwerk in Cottbus (Abre numa nova janela), das eine Milliarde Euro teuer ist und 1.200 Arbeitsplätze für Facharbeiter und Hochqualifizierte entstehen lässt. Oder eine neue Wasserstoffindustrie (Abre numa nova janela), die sich in der Lausitz an allen Ecken und Enden breit macht - und die nicht mehr auf staatliche Förderung angewiesen ist.
Würden sich damit Kunst oder Journalismus an staatlicher Propaganda beteiligen? Nein, natürlich nicht. Es ist doch nicht verboten aufzudecken, wie absurd es ist, ein ICE-Reparaturwerk für eine Milliarde Euro in Cottbus zu errichten – aber keine ICE-Strecke und nur ein einzelnes Bahngleis nach Cottbus zu haben. Was wäre das für ein cineastisches Narrativ unserer Zeit, den Raub des zweiten Bahngleises durch die Russen zu berichten, geschehen nach 1945! Und den Menschen danach die schaurig-schöne Pointe zu erzählen, dass das milliardenschwere Bahnwerk im Jahr 2024 fertig sein wird. Sich die Bundesbürokratie allerdings weigert, bis dahin eine ICE-Strecke nach Cottbus und Görlitz auch nur zu planen. Doch von alledem erfahren die Zuschauer von „Lauchhammer - Tod in der Lausitz“ nichts.