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"Wir dürfen keine Konzepte von anderen kopieren"

INTERVIEW / LEHRAMTS-CHEFIN NOACK NAPOLES ÜBER SCHULE

Juliane Noack Napoles soll für die BTU in Senftenberg eine Grundschullehrer-Ausbildung aufbauen. Die Erziehungswissenschaftlerin will die Chance nutzen, den Lehrerberuf neu zu erfinden.

  1. Juni 2023

"Ich glaube, dass es dem Studiengang und dem Standort guttut, wenn klar wird, wir machen hier etwas Eigenes", sagt die kommissarische Leiterin der Grundschullehrer-Ausbildung, Juliane Noack Napoles. Foto: BTU
"Ich glaube, dass es dem Studiengang und dem Standort guttut, wenn klar wird, wir machen hier etwas Eigenes", sagt die kommissarische Leiterin der Grundschullehrer-Ausbildung, Juliane Noack Napoles. Foto: BTU

Frau Noack Napoles, was wird das Besondere an der Grundschullehrer-Ausbildung in Senftenberg (Abre numa nova janela) sein? 
Bei uns sitzt man nicht in Vorlesungen, in denen über alternative Lernformate geredet wird. Wir wollen die Studierenden in neue Lernformate unmittelbar hineinwachsen lassen. Dazu gehört doch ganz wesentlich, dass ich als Studentin schon die Inhalte ansprechend und motivierend vermittelt bekomme, damit ich sie dann selbst als Lehrerin auch Neugier fördernd und kindgerecht vermitteln kann.

Was heißt das konkret?
Das heißt, wir brauchen nicht notwendigerweise eine Vorlesung „Einführung in die Mathematik“ mit Übung dazu. Dafür bieten sich auch alternative Lehr-Lern-Formate an, in denen unsere Studierenden sich unter Anleitung Inhalte selbst erarbeiten. Sonst machen sie später im Unterricht das, was sie in der Schule selbst erfahren und an der Uni bestätigt bekommen haben, und alles bleibt beim Alten. Wir müssen das in der Uni durchbrechen, sonst werden sie keine anderen Lehrkräfte. Damit verbunden ist eine weitere Besonderheit bei uns und zwar, dass die Bildungswissenschaft von Erziehungswissenschaftlern vertreten wird. Anderswo können das auch Soziologen oder Psychologen machen. Uns ist wichtig, dass wir dabei die erziehungswissenschaftlichen Ausbildungsanteile stärken.

Der Lehrerberuf öffnet sich gerade: Einige Bundesländer experimentieren mit "Lehrer-Light-Versionen (Abre numa nova janela)", um mehr Leute für den Beruf zu interessieren. Was halten Sie davon? 
Das Brandenburgische Hochschulgesetz ermöglicht bereits vielfältigen Zugang zum Hochschulstudium. Wir können damit eine große Zahl junger Menschen mit unterschiedlichen Bildungsbiografien für das Studium interessieren. So neu ist das alles also nicht. Aber es steckt doch die Frage dahinter: Welche Idee von Schule haben wir? Dann wissen wir auch, was wir von denen erwarten, die Schule machen. Wollen wir den Schwerpunkt auf den Fachwissenschaften oder mehr auf Pädagogik? Wenn man das richtig angeht, kann man eine Ausbildung generieren, die auch für Quereinsteiger (Abre numa nova janela) gut funktioniert. Die gehören sowieso längst zur Realität in den Schulen.  

Was ist Ihre persönliche Idee von Schule? 
Die Schule ist klassisch eine geschlossene Institution, die Gesellschaft reproduziert, wie sie mal war. Aber wir befinden uns im gesellschaftlichen Wandel, in dem sich auch Wissen und der Umgang damit transformiert. Deshalb muss Schule sich auch nach außen öffnen. Meine Idee ist: Schule ermöglicht, dass Kinder sich wohlfühlen und das Handwerkszeug entwickeln, mit dem sie Wissensangebote beurteilen können.

Haben Sie ein Beispiel?
Wenn ein Kind ein Plakat zur Solarenergie machen soll, funktioniert das nach der Schulbuchlogik so: Schreiben und zusammenfassen, was im Buch steht. Wenn sie das aber im Internet recherchieren sollen, müssen sie wissen, wie sich erkennen lässt, welche Inhalte richtig sind. Wenn es um den Umgang mit Wissen geht, braucht es keinen Lehrer, der vorn steht und sagt: Das ist jetzt das Wissen. Wir müssen uns fragen, welche Wissensbestände nötig sind, die doch ziemlich schnelllebig sind und wie sich Kompetenzen fördern lassen, Informationen zu bewerten, in einen Zusammenhang zu stellen und für Problemlösungen zu nutzen.

Wie wird dieser Studiengang in Senftenberg aufgebaut sein? 
Bisher hatten wir an Fakultät 4 - Soziale Arbeit, Gesundheit und Musik - drei Institute. Jetzt kommt ein viertes hinzu, das ist das Institut für Erziehungswissenschaft. Der Studiengang Lehramt Primarstufe ist an diesem neuen Institut angesiedelt. Das Institut wird aus zehn Professuren bestehen, fünf davon werden die Kernfächer Deutsch, Mathe und Englisch und Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Heterogenität und Partizipation und Grundschulpädagogik mit dem Schwerpunkt Inklusion abbilden. Die weiteren fünf Professuren widmen sich der Fachdidaktik und Fachwissenschaft in Kunst, Musik, Sport und Sachunterricht.

Wie kam die Lehrerausbildung überhaupt nach Senftenberg? 
Im Herbst 2022 wurde die aktuelle Lehrermodellrechnung des Bildungsministeriums vorgestellt, die große Defizite offenbarte – vor allem auch in der Primarstufe. Die beteiligten Ministerien und der Landtag haben schnell gehandelt und Mittel für den weiteren Auf- und Ausbau der Lehrerbildung bereitgestellt. Die BTU hat den Auftrag angenommen, die Lehrkräfteausbildung im Lehramt für die Primarstufe am Standort Senftenberg zu etablieren - in einer eigentlich unmöglich kurzen Frist von nicht mal einem Jahr. Dazu haben wir an der BTU eine kleine Arbeitsgruppe eingesetzt, zu der ich auch gehöre. Eine Aufgabe bestand darin, eine Studienordnung zu entwickeln. Durch die Lehramtsstudienverordnung des Lands sind dabei schon viele Punkte vorgegeben. Wir haben versucht, unsere Ideen von einem modernen, kreativen Unterricht in diesem Rahmen einzubringen.

Welche?
Uns liegt sehr an der Praxisorientierung. Wir wollen eine echte Verzahnung von universitärer Lehre und Schulpraxis. Das ist ganz zentral, wir wollen in Senftenberg eine zeitgemäße Lehrerausbildung installieren, da dürfen wir nicht Konzepte von anderen kopieren, zumal die Bedingungen auch anders sind. Deshalb ist die Lehramtsausbildung in Senftenberg auch keine Filiale der Lehrkräfteausbildung in Potsdam.

Wie viel Anteil hat die Uni Potsdam an dem, was in Senftenberg entstehen soll? 
Die Potsdamer haben uns zu Beginn eine tolle Arbeitsgrundlage zu den Rahmenbedingungen der Lehrkräfteausbildung gegeben, und sie haben uns während des gesamten Prozesses unterstützt und beraten, woran man denken muss, welche Gesetze berücksichtigt werden müssen und uns ihre Netzwerke zur Verfügung gestellt. Aber wir machen auch Dinge aus guten Gründen anders. Potsdam hat eine eigene Rahmenordnung für das Lehramt - neben der Rahmenordnung für die ganze Uni. Das machen wir nicht, das wäre eine unnötige Doppelstruktur. Wir orientieren uns an der Rahmenordnung der BTU. Ich glaube auch, dass es dem Studiengang und dem Standort guttut, wenn klar wird, wir machen hier etwas Eigenes. 

Wie viele Mitarbeiter soll es geben? 
Noch haben wir nicht alle Zahlen – wir sind ja noch im Aufbau. Wir brauchen die zehn Professuren und weitere Lehrkräfte für die Fächer. Dazu kommen unterstützende Bereiche wie das Praktikumsamt, Techniker und Assistenzen sowie Verantwortliche für das Campusmanagementsystem.

Brandenburgs ehemalige Bildungsministerin Britta Ernst (Abre numa nova janela) wollte sogenannte Bildungsamtsleute ausbilden. Das wäre eine Lehramtsqualifikation, die nur in Brandenburg gilt. Werden diese Amtsleute in Senftenberg ausgebildet? 
Nein, wir machen in Senftenberg einen grundständigen Studiengang, der die Studierenden in einem Bachelor- und Master-Studiengang sowie dem folgenden Referendariat auf den Schuldienst vorbereitet. Zunächst fangen wir mit Deutsch und Mathe an, da bestehen die größten Bedarfe und das ist in der Kürze der Zeit zu machen. Das Studium ist unterteilt in die beiden Unterrichtsfächer, die Grundschulbildung und die Bildungswissenschaft.

Wie bringen Sie Theorie und Praxis zusammen? 
Wir haben das vorgeschriebene Eingangspraktikum von sechs Wochen auf zwei Semester verteilt. Das heißt: Bei uns gehen die Studierenden im ersten und zweiten Semester einmal die Woche in die Schule. Damit orientiert sich die Lehre um diesen wöchentlichen Praxistag. Wenn wir das über zwei Jahre so machen können, haben wir die Theorie-Praxis-Verzahnung in einer Weise, die die nachhaltige Entwicklung pädagogischer Haltungen anhand konkreter Szenarien ermöglicht. Im 4. und 5. Semester finden die Tagespraktika statt, in denen die Studierenden Unterrichtseinheiten durchführen. Im 6. Semester ist dann nochmal ein Praktikum im außerschulischen Bereich, in dem die Studierenden auch mit Jugendamt oder Jungendzentren zusammenarbeiten. Neben den Praktika werden Theorie und Praxis durch das Studium in Lernwerkstätten konsequent miteinander verzahnt.

Wie steht es um die Digitalisierung? Da hat sich seit der Pandemie viel verändert. 
Ja. Deshalb müssen wir uns dem Thema auch in der Lehrerbildung mit neuen Vermittlungsformen nähern. Wir verteufeln digitale Medien nicht, sondern helfen, sie einzuordnen und als positiv motivierende Lernszenarien zu nutzen.

Wie gut ist der Standort Senftenberg gerüstet? 
Senftenberg (Abre numa nova janela) ist ein studierendenfreundlicher Standort und ein wunderbarer Campus, das gefällt mir gut. Die Stadt ist sehr offen für das, was wir da aufbauen. Senftenberg ist ein entschleunigter Ort, das ist eine gute Voraussetzung für unser Konzept. Ein kleiner Campus ermöglicht Ruhe, um in Denksituationen zu kommen, aber auch um Kontakt zu den Lehrenden aufzubauen. Außerdem gibt es eine klare Win-Win-Situation für die Region. Wir haben in der Vergangenheit viele junge Leute kennengelernt, die gesagt haben: Eigentlich wollte ich Lehramt studieren, ich wollte aber nicht die Region verlassen, deshalb habe ich Soziale Arbeit (Abre numa nova janela) genommen oder aber, die jungen Leute sind tatsächlich an Hochschulstandorte gegangen, die ein Lehramtsstudium anbieten. Mit dem neuen Studiengang haben wir die Möglichkeit, dass wir junge Menschen durch den Studienort und die Praktika in den Schulen in der Region halten und zum Zuhause werden lassen.

Juliane Noack Napoles, Jahrgang 1978, gestaltet als kommissarische Leiterin den neuen Studiengang Lehramt Primarstufe in Senftenberg aus. Davor war sie Professorin für Erziehungswissenschaft in der Sozialen Arbeit in Cottbus. Noack Napoles stammt aus Görlitz. Sie hat Sozialpädagogik, Pädagogik und Ökonomie in Siegen und Schweden studiert, ihre Postdoc-Zeit verbrachte sie in Brasilien.
Mit Juliane Noack Napoles sprach Claudia Arndt.

Tópico Wissenschaft und Bildung