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Melancholic (Seiji Tanaka)

Vor ziemlich genau einem Jahr veröffentlichte die Bertelsmann Stiftung eine Studie über junge Menschen, die weder in Ausbildung noch berufstätig sind – die sogenannten NEETs (Not in Education, Employment or Training). Laut dieser Erhebung gab es 2023 in Deutschland über 600.000 Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die aus den unterschiedlichsten Gründen durchs Raster gefallen sind. In der Literatur heißt es, die Gruppe der NEETs sei äußerst heterogen – was es schwierig macht, den 16-jährigen Schulabbrecher mit der 23-jährigen Studentin zu vergleichen, die sich nach dem Abschluss eine Auszeit gönnt. Eine klare Definition, wer dazu gehört und wer nicht, bleibt entsprechend problematisch. Doch genau diese Frage soll uns hier nicht beschäftigen.

Interessanter ist vielmehr, was Menschen dazu bewegt, sich bewusst aus dem System zurückzuziehen. Dieser Frage widmet sich Seiji Tanaka in seinem bemerkenswerten Regiedebüt – einem Film über das Phänomen des Ausstiegs, das im gesellschaftlichen Diskurs nach wie vor zu wenig Beachtung findet.

Worum geht’s?

Kazuhiko (Yôji Minagawa) ist Absolvent der renommierten Universität Tokio. Doch statt einer vielversprechenden Karriere lebt er zurückgezogen bei seinen Eltern und arbeitet als Reinigungskraft in einem alten Badehaus. Eines Nachts wird er Zeuge eines Mordes – sein Arbeitgeber Azuma (Makoto Hada) nutzt das Badehaus, um im Auftrag der Unterwelt Menschen zu töten und verschwinden zu lassen. Aus der Not heraus hilft Kazuhiko beim Aufräumen – und wird Teilzeit-Gangster wider Willen.

Arbeitsmoral

Die Debatte um das NEET-Phänomen ist oft von moralischen Wertungen geprägt. Während konservative Stimmen gern die Faulheit einer ganzen Generation beklagen, betont die Bertelsmann-Studie die strukturelle Benachteiligung vieler junger Menschen. Kazuhiko bleibt in diesem Spannungsfeld ambivalent. Wir erfahren lediglich, dass er nach dem Abschluss keinen Beruf ergriffen hat. Er wirkt verschlossen und eigenbrötlerisch, doch bevor seine unbeholfene Art ins Autistische kippt, macht der Film klar: Hier geht es um einen durchschnittlichen jungen Mann, nicht um eine soziale Randfigur. In seinen zaghaften Annäherungen an seine ehemalige Mitschülerin Yuri (Mebuki Yoshida), in beiläufigen Gesprächen mit den Eltern – überall zeigt sich ein junger Mensch, der nicht „außerhalb“ steht, sondern einfach anders lebt.

Parallelen zu Mike Nichols Klassiker The Graduate liegen nahe. Auch hier sehen wir einen jungen Mann, dessen Lebensverlauf quasi schon vorgeschrieben ist. Ben Braddock (Dustin Hoffman) flieht vor den Karrierevorstellungen seines Vaters und sieht seinen einzigen Ausweg darin sich in eine von den Eltern gewünschte Romanze zu stürzen. Kazuhiko bekommt von seinen Eltern weniger Druck, vielleicht auch, weil seine Familie nicht so wohlhabend ist, wie die von Ben Braddock. Entsprechend ist die gesellschaftliche Erwartung an ihn nicht so hoch, als dass er sich mit dem Taucheranzug auf dem Grund des Pools verstecken müsste.

Was sagt das über Kazuhikos Arbeitsmoral? Eigentlich nichts. Er nimmt die Stelle im Badehaus nur an, weil er Yuri dort wiederzusehen hofft. Geld spielt für ihn kaum eine Rolle – er lebt genügsam in seinem alten Kinderzimmer, das Elternhaus wirkt bescheiden. Das teure Restaurant, in das er Yuri einlädt, kann er sich gerade noch leisten auch wenn die steife Etikette für Unmut sorgt. Erst als er unfreiwillig in die Rolle des Leichenentsorgers gerät, scheint sich etwas in ihm zu regen: Das Geheimnisvolle, das Verbotene fasziniert ihn. Mit leuchtenden Augen fragt er: „Wann ist es das nächste Mal so weit?“

Warum?

Doch die anfängliche Begeisterung verfliegt schnell. Kazuhiko beginnt zu hinterfragen, warum diese Menschen eigentlich sterben müssen. In der Auftaktszene sehen wir einen Dealer, der gestreckte Ware verkauft hat – sein Tod überrascht uns als Publikum daher nicht. Doch was ist mit der jungen Frau oder dem Mann, die offenbar keine Yakuza waren? Antworten erhält weder Kazuhiko noch das Publikum – nicht einmal die Auftragskiller wissen Genaueres.

Melancholic ist durchzogen von Fragen – viele davon rhetorischer Natur. Warum gehst du so oft ins Badehaus? Warum hast du mit deinem Abschluss keinen „richtigen“ Job? Warum führst du ein Badehaus, wenn es kaum Gewinn abwirft? Die meisten dieser Fragen bleiben unbeantwortet. Sie sind weniger Ausdruck von Neugier als von stiller Verurteilung. Kazuhiko muss sich ständig dafür rechtfertigen, nicht zu sein wie sein ehemaliger Klassenkamerad Tamura (Yûta Ôkubo), der zum reichen Investor avanciert ist.

Doch der Film dreht die Perspektive um: Warum sollte er so sein? Das Date mit Yuri wäre wohl entspannter in einem Izakaya als im Edelrestaurant. Kazuhiko findet sein Glück in den kleinen Dingen: Ein Bier in der Kneipe, ein Abend mit Instant-Ramen auf dem Boden, ein Besuch im Badehaus. Dinge, die kaum etwas kosten – und dennoch mehr wiegen als ein Gehaltsscheck.

Am Ende ist es Kazuhiko, der seinen Freund Matsumoto (Yoshitomo Isozaki) rettet – nicht umgekehrt. Matsumoto wollte Kazuhiko eigentlich beschützen, indem er Tanaka ermordet. Doch letztlich ist es Kazuhiko, der den Abzug drückt. Matsumoto verliert seinen Job, gewinnt dafür aber eine Freundin – und seine Freiheit.

Teilzeit-Gangster

Der Auftragskiller ist in Melancholic eine Chiffre für die Arbeitswelt im Allgemeinen. Matsumoto hat weder Familie noch soziale Kontakte. Kazuhiko müsse sich von Yuri trennen, heißt es, um sie zu schützen – Privates und Berufliches ließen sich nicht vereinbaren. elbst Kazuhikos Mutter weiß: „Arbeit ist immer anstrengend.“ Auch wenn der Vater behauptet, es sei derzeit ruhig im Büro. Selbst für die Hausfrau ist die Arbeit ihres Mannes anstrengend, weil es kaum noch eine gemeinsame Zeit gibt und selbst am Esstisch am Abend sich nicht mehr wirklich unterhalten wird.

Tanaka schließlich stellt Kazuhiko vor ein Ultimatum: Entweder du tötest – oder du wirst getötet. Nur das Blut wegwischen reicht nicht. Entweder man arbeitet, oder man ist raus. Azuma hat sich selbst dieser Logik so sehr verschrieben, dass er lieber in absoluter Unfreiheit lebt als sich von Tanaka zu lösen. Im Film gelingt es nur der jungen Generation, sich von diesem Leistungsdruck loszusagen.

Fazit

Melancholic ist ein stilles, aber eindrucksvolles Regiedebüt. Seiji Tanaka gelingt es, den gesellschaftlichen Leistungsdruck unaufdringlich, aber pointiert zu hinterfragen. Der „geborene“ Killer, der eigentlich nur im Badehaus putzen will, wird zum Sinnbild eines Systems, das keine Zwischenräume kennt – nur Leistung oder Versagen. Am Ende gesteht Yuri, sie gehe nur deshalb so oft ins Badehaus, weil sie regelmäßig vergesse, ihre Rechnungen zu bezahlen. Auch als Erwachsene müssen wir nicht immer alle Regeln einhalten – und das ist okay.

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