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SPOILERWARNUNG: MARIA CALLAS TRITT AB

FILM-KRITIK

Anlässlich Maria Callas’ Abschied von der Opernbühne nach ihrer letzten Tosca-Aufführung am 5. Juli 1965 in London, veröffentlichen wir heute erneut unsere Rezension zu Pablo Larraíns Film MARIA mit Angelina Jolie. Veröffentlicht hatten wir diesen zuerst zum deutschen Kinostart im Februar; mittlerweile ist der Film auf DVD und Co. erhältlich (siehe unten).

Alles in Pablo Larraíns Film MARIA, nach Jackie und Spencer der Abschluss seiner Trilogie über faszinierende Frauen des 20. Jahrhunderts, sieht perfekt aus, klingt perfekt, ist perfekt komponiert und kombiniert. Als Besetzung der großen, wenn nicht gar größten, Opern-Diva Maria Callas hat der chilenische Regisseur (übrigens Produzent des Oscar-prämierten Films Eine fantastische Frau) sich mit Angelina Jolie für eine der größten Schauspiel-Diven entschieden.

Im Spiegel: Maria Callas (Angelina Jolie) // © STUDIOCANAL GmbH / Pablo Larraín
Im Spiegel: Maria Callas (Angelina Jolie) // © STUDIOCANAL GmbH / Pablo Larraín

Jolie, die zu den bestverdienenden Schauspielerinnen der Welt gehört, nahm monatelang Gesangsunterricht, um eine der bestverdienenden Opernsängerinnen ihrer Zeit (für ihren Auftritt in Norma an der New Yorker Met 1956 verlangte die Callas die gleiche Gage wie die männlichen Sänger und Dirigent Herbert von Karajan – ein Schock für und veritabler Skandal in der Musikwelt), glaubhaft verkörpern zu können. Ebenso wurden für die im Film verwendeten diversen Arien die Stimmen von Maria Callas und Angelina Jolie zusammengeführt. Regisseur Larraín sagt, es gehe ihm darum, ehrlich mit der Figur und ihrem Auftreten zu sein.

„Für mich ist es der falsche Weg, mit einer Form von Zynismus zu agieren, bei der man beispielsweise nur versucht, richtig auszusehen, den Ton zu treffen, den Mund synchron zu bewegen, aber der Schauspieler hat es nie wirklich erlebt. Es könnte sich gefährlich unecht anfühlen, [...]“

MARIA öffnet mit einer optisch beeindruckenden Schwarz-Weiß-Sequenz (Bildgestaltung: Ed Lachmann), in der Angelina Jolie als zeitlose Maria Callas „Ave Maria“ aus Verdis Otello „singt“. Meine ersten Eindrücke waren an dieser Stelle: Sieht toll aus, klingt toll, zwar etwas on the nose, aber sei's drum. Ebenfalls aber dachte ich: Bei RuPaul's Drag Race Lip Sync Challenge wäre Miss Angie wohl raus.

Dieser Eindruck verändert sich im Laufe der zweistündigen Filmlaufzeit zwar, dafür verstärkt sich ein anderer. Je länger wir der letzten Woche ihres Lebens im Pariser Herbst des Jahres 1977, gespickt mit Rückblenden, folgen, fühlen wir uns, als würden wir durch ein Museum laufen. Sicherlich laufen wir, begleitet von dezenten Wärter*innen, durch ein wunderbar kuratiertes, perfekt ausgeleuchtetes, in jedem Raum mit neuen Entdeckungen bestücktes Museum. Und sei es auch in Form der von Szenenbildner nachgebauten Pariser Wohnung Marias Callas': die Räume bleiben hoch, kühl, unnahbar.

Nein, kein Wes Anderson-Film: Ferruccio (Pierfrancesco Favino) und Bruna (Alba Rohrwacher) in Pablo Larraíns MARIA // © STUDIOCANAL GmbH (Opens in a new window)
Nein, kein Wes Anderson-Film: Ferruccio (Pierfrancesco Favino) und Bruna (Alba Rohrwacher) in Pablo Larraíns MARIA // © STUDIOCANAL GmbH

So ist MARIA, den Pablo Larraíne passend dazu als seinen ersten Kunstfilm bezeichnet: Perfektion zum Ansehen, doch weniger zum Spüren. (Dies jedenfalls meiner Meinung nach. In der Vorführung in der ich saß, schlief jemand nahezu den gesamten Film durch, eine weitere Person ging mit jedem Gesangsmoment mit, eine andere weinte nicht nur zum imponierenden Schlussmoment ergriffen, wer anders aß sehr viel.)

Dabei ist es nicht so, dass der von Spencer-Autor David Knight geschriebene Opern-Drama-Bio-Mindfuck-Film nicht Momente des Gefühls anböte. Oder des Mitfühlens (nicht des Mitleids, nicht verwechseln). Wenn eine sich nur mit starken Medikamenten aufrecht und, zumindest dem eigenen Vernehmen nach, bewusst haltende Maria Callas etwa einbildet, von einem Journalisten (Kodi Smit-McPhee), der genau wie ihr liebstes Medikament „Mandrax“ heißt, interviewt und begleitet zu werden, gibt es sensible Momente und eine Form von Verletzlichkeit.

Maria Callas (Angelina Jolie) und Aristotle Onassis (Haluk Bilginer) // © STUDIOCANAL GmbH
Maria Callas (Angelina Jolie) und Aristotle Onassis (Haluk Bilginer) // © STUDIOCANAL GmbH

So auch im Austausch mit ihren langjährigen Angestellten und quasi Freunden, dem Butler Ferruccio (Pierfrancesco Favino) und der Haushaltshilfe Bruna (Alba Rohrwacher, Schwester der Regisseurin Alice Rohrwacher). Oder in weiteren Momente des Rückblicks sowie der Fantasie, in welchen sie auf ihre zweite große Liebe des Lebens nach der Oper Aristoteles Onassis (Haluk Bilginger) trifft. Hier soll, häufiger, der Mensch Maria Callas und nicht die Opern-Diva vermittelt werden.

Maria Callas (Angelina Jolie) // © STUDIOCANAL GmbH / Pablo Larraín
Maria Callas (Angelina Jolie) // © STUDIOCANAL GmbH / Pablo Larraín

Allein es scheint, als funktioniere das lediglich in der Theorie. Wirken doch selbst diese Momente wie ein Fotogemälde und weniger wie ein Teilnehmen am Leben der porträtierten Person. So spielt Angelina Jolie sich nicht nur in Momenten auf der Bühne die Seele aus dem Leib, wie überhaupt alle Beteiligten stark aufspielen. Doch bleiben sie hinter Glas, auf das wir mit ein wenig Abstand von einer etwas in die Jahre gekommen Absperrgondel aus schauen.

Begeistert bewundern wir die mehr als sechzig von Kostümbildner Massimo Cantini Parrini angefertigten Kreationen. Eine Szene mit dem Anvil Chorus aus Il Trovatore ist beeindruckend gestaltet und gefilmt. Die Bühnenauftritte wirken glanzvoll. Wenn es auch etwas stört, dass die Macher*innen sich entschieden haben, im Grunde eine Auswahl ausschließlich aus ohnehin über-bekannten Stücken zu treffen.

Das berühmte Portrait von Maria Callas von Cecil Beaton (im Film nachgestellt mit Angelina Jolie) // © STUDIOCANAL GmbH
Das berühmte Portrait von Maria Callas von Cecil Beaton (im Film nachgestellt mit Angelina Jolie) // © STUDIOCANAL GmbH

Beinahe so, als würden Regisseur Pablo Larraíne, Musikberaterin Milena Fessmann und Co. den Zuschauer*innen nicht zutrauen, sich auf MARIA einzulassen, wenn sie nicht am Großen Arien-Raten teilnehmen dürften. Nein, halt, anders! Als würden sie es sich nicht zutrauen, einen Film über Maria Callas, ihr Leben, ihr Lieben, ihre Gefühle, ihre Stärke, ihre Schwäche, ihre (verlorene) Stimme zu machen, ohne sich durch „Casta Diva“, „O mio babbino caro“, „E che? Io son Medea!“, „Vissi d'arte“ oder das bereits erwähnte „Ave Maria“ abzusichern.

Noch so eine Abstandsgondel. Was mich zur letzten Frage führt, die mich seit der Filmvorführung umtreibt: Für wen ist MARIA gemacht? Opern- und Callas-Fans werden ihn sich ansehen. Was sie dann da sehen und wie sie es sehen, wird sich sicherlich unterscheiden. Leute, die Larraíns Jackie und Spencer gesehen (und gemocht) haben, wohl auch. Jolie-Fans? Schon schwieriger. Denn hier gibt es jene, die sie körperlich kämpfen sehen wollen. was sie im übertragenen Sinne als Maria Callas durchaus schafft. Wenn ich auch immerfort das Gefühl hatte, nicht Angelina Jolie als Maria Callas zu sehen, sondern Angelina Jolie, wie sie sich vorstellt, dass sie die Callas gern spielen würde.

Maria Callas (Angelina Jolie) in Paris  © STUDIOCANAL GmbH
Maria Callas (Angelina Jolie) in Paris // © STUDIOCANAL GmbH

Menschen, die mit Opern nichts am Hut haben, werden nicht in MARIA gehen. Menschen, die mit Musikfilmen, Biopics, Dramen, Paris usw. usf. nichts am Hut haben, eh nicht. Ebenso dürfte der Film, das von Pablo Larraín gewünschte Ziel, eine gewisse Opersensibilität zu vermitteln, kaum erreicht werden. Dafür ist MARIA zu unzugänglich.

Alles sieht perfekt aus. Alles sitzt. Jede Szene ist fantastisch anzusehen. Es verwundert kaum, dass der Film bei zahlreichen Preisen in den Kategorien wie Bildgestaltung, Kostüme oder Szenenbild nominiert, teils prämiert wurde. Weniger wundert es, dass es in den Kategorien Beste Hauptdarstellerin, Bester Film oder Beste Regie eher ähnlich mager aussieht wie Jolie als späte Callas.

Sieht auch immer perfekt aus: Kodi Smith-McPhee als Mandrax in MARIA // © STUDIOCANAL GmbH
Sieht auch immer perfekt aus: Kodi Smith-McPhee als Mandrax in MARIA // © STUDIOCANAL GmbH

Ein optisch perfektes Gemälde, diese MARIA. Es gibt eine Stelle im Film, in der Maria Callas erläutert, warum sie sich nie Aufnahmen von sich anhöre. Diese seien zu perfekt. Gesang sei aber nie so perfekt, er wäre immer unterschiedlich. Manchmal ist zu perfekt eben einfach zu viel, zu glatt, zu unantastbar. Letztlich habe ich MARIA gern gesehen. Andererseits wüsste ich nicht, wem ich ihn empfehlen würde.

AS

PS: Im C.H. Beck Verlag ist 2023 mit Maria Callas – Die Stimme der Leidenschaft eine reich bebilderte Biografie von Eva Gesine Baur erschienen. Unsere Besprechung folgt.

https://steady.page/de/thelittlequeerreview/posts/5560863a-45c0-45e1-9336-181707a759e4 (Opens in a new window)

PPS: Ein Soundtrack zu MARIA ist digital am 29. November 2024 und als physisches Album am 17. Januar 2025 erschienen. Neben den im Film verwendeten Arien finden sich auch instrumentale Tracks, Soundbits und zwei, drei weitere Stücke auf dem Album. Charmante Sache.

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MARIA ist seit Juni auf DVD und Blu-ray sowie als Video on Demand erhältlich.

Topic Film & Serie

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