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Solidarisches Preppen und das Exklusionsproblem linker “Szeneräume”

https://www.flickr.com/photos/mariamare75_2/2087755994/

Quelle: Flickr (Link s. Bildbeschreibung)

Liebe Leute,

diese Woche bin ich mal wieder auf Lese- und Diskussionsreise, und hatte vorgestern in Aschaffenburg eine sehr schöne Diskussion mit dem dortigen FAU (Freien Arbeiter*innen Union – der anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaft)-Syndikat. Es ging unter anderem natürlich um die derzeit üblichen Fragen – Verdrängung und Faschismus, Kollaps ja oder nein, welche Arten von Aktivismus und politischer Praxis ergeben überhaupt noch Sinn – aber nicht nur. Ein besonders schöner Aspekt der Diskussion war, dass ich die Bühne mit einem FAU-Genossen teilte, der immer wieder ganz direkt Fragen an uns als “Kollapsbewegung” stellte, die ich einfach nicht beantworten konnte: z.B., “wie habt Ihr auf dem Kollapscamp eigentlich die Organisierungsfrage diskutiert?” Häh? Ah, richtig: der fragt, wie wollen wir uns organisieren, in welchen Arten von Gruppen/“Einheiten” (nicht im militärischen, eher im systemischen Sinne), wie wollen wir diese miteinander vernetzen. Eben “die Organisierungsfrage” im klassischen Linkensprech. Meine Antwort in dem Moment war ungefähr: “Ähm... also, ja... die Organisierungsfrage... Ich glaube, wir stehen gerade noch total am Anfang als Bewegung, und ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, wie wir uns organisieren sollten – in klassischen linken Polit- oder in Kadergruppen, in Nachbarschaftsnetzwerken, in demokratischen Föderationen, in Räten... - weil wir diese Frage noch gar nicht gestellt haben. Wir haben uns ja erstmal gerade gefunden!”



Neue Bewegung, alte Fragen

Ihr wisst, ich tendiere eher zum antworten, als zum fragen, aber die freundliche und solidarische Diskussion gestern abend hat mir nochmal sehr klar verdeutlicht, dass wir neue “Kollapsbewegung” zwar in kurzer Zeit ziemlich viel erreicht haben – nämlich als entstehende Bewegung tatsächlich fühl- und sichtbar zu sein, und von anderen politischen Akteuren zunehmend als relevanter Faktor und Gesprächspartner gesehen zu werden – dass das aber auch bedeutet, dass wir uns selbst ein paar schwierige Fragen stellen müssen, die in unserer politischen Praxis jetzt schon sichtbar werden, und sich in Zukunft immer expliziter stellen werden.

Eine dieser Fragen erwähnte ich in meinem Rückblick aufs Kollapscamp (Öffnet in neuem Fenster)vor zwei Wochen, nämlich die, ob die Kollapsbewegung denn “eine Bewegung für Alle” sei. Ich entdecke an dieser Frage immer neue und spannende Aspekte, einer davon, der auch schon in vielen Gesprächen über solidarisches Prepping und die entstehende Kollapsbewegung aufgetaucht ist, bezieht sich auf unsere Strategie, als Bewegung darauf zu zielen, in Katastrophenfällen (ob Hochwasser, faschistischer Großangriff oder Stromausfall) “offene, solidarische Räume zu schaffen, die für Alle offen sind, und in denen Menschen sich wohl, sicher und willkommen fühlen können. Die Begrifflichkeiten sind jetzt meine, aber Ihr wisst glaube ich, was ich meine: wenn z.B. der Strom während einer Hitzewelle ausfällt, und wir im Schillerkiez in Neukölln Kühlungsräume einrichten (einer meiner political wet dreams), für wen sind die dann wirklich zugänglich, im Sinne von: wer wird sich darin wohlfühlen, wer wird wiederkommen, wer wird sich sogar vielleicht dort organisieren wollen?



Linke Exlusion

Ihr wisst vermutlich, worauf ich mich beziehe: während die Kollapsbewegung zwar keine linksradikale ist, stecken zumindest seit dem Kollapscamp schon ne ganze Reihe linker Szenecodes in der neuen Bewegung, wenngleich noch nicht so tief, weil halt alles so neu ist. Und diese linken Szenecodes, die aus guten Gründen existieren, und die “unsere” Räume halt für uns relativ safe und vorhersagbar machen, fühlen sich für Menschen, die sie nicht kennen, oft extrem exklusiv an, so gut und links und solidarisch diese Menschen auch sein mögen. Also haben wir dann diesen megacoolen Kühlungsraum, in dem sich Menschen aufhalten, und dann hören wir aus einer Ecke einen alltagsrassistischen oder -queerfeindlichen Begriff; alternativ kommt zum Beispiel ein Mann rein, der offensichtlich Hilfe braucht, sich aber ein bisschen rüpelhaft patriarchal verhält.

Die Frage? Naja: was machen wir jetzt mit dem, oder mit denen? Verweisen wir ihn einfach des Raums, wie wir es in der radikalen Linken so oft machen, wenn wir mit Brüchen unserer Regeln und Codes konfrontiert sind? Abgesehen davon, dass ein “Rechtssystem” (das System, das existiert, um soziale Regeln durchzusetzen), das fast nur eine Sanktion hat – Rauswurf, Szeneverweis, Exil – vielleicht ein paar subtilere Reaktionsmöglichkeiten auf Regelübertritte entwickeln sollte, sollte das Problem offensichtlich sein: wenn der Bruch relevanter Szenecodes entweder mit Verweis aus dem Raum sanktioniert wird, oder, etwas niedriger gehängt, wenn nach einem derartigen Bruch die Leute, die den Raum organisieren, Dich die ganze Zeit schräg anschauen, dann ist das natürlich gerade nicht der Ort, an dem Menschen sich wohl und willkommen fühlen werden. Und wenn Ihr Euch ein bisschen mit linken Szeneräumen auskennt, wisst Ihr, was ich meine.


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Rechte Offenheit

Um das ganze jetzt noch weiter auf die Spitze zu treiben: in einem gewissen Sinne können sich von rechten aufgebaute Räume dann durchaus “offener” und “befreiter” anfühlen, als linke Szeneräume. Das stimmt natürlich nicht für die solche Subjekte, die von Rechten zu Gegner*innen erkoren, oder gar zur Auslöschung freigegeben werden, aber betrachtet es mal so: rechte Räume sind “Arschloch-offene” Räume. Wenn ich Rassist bin, aber Queers nicht hasse, werde ich trotzdem von meinen rechten Kameraden offen aufgenommen – entweder ist es denen egal, dass ich Queers noch nicht hasse, oder die denken sich “keine Angst, das bringen wir dem/dir schon bei!” Kein Problem, wenn ich “nur” Antifeminist bin, aber deswegen noch nicht gerade vom Führer Höcke regiert werden will, auch da bringen wir Euch schon hin. In dem Sinne ist jede Arschlochigkeit bei den Rechten akzeptiert, und die, die ihr nicht mitbringt, lernt ihr dort – und wenn Ihr mal ausnahmsweise und aus Versehen was queerfreundlichen sagt, werdet Ihr deswegen noch lange nicht des Raums verwiesen. Ich glaube, dass die Coronaproteste ungefähr so funktioniert haben: da trafen stramm rechte Kader auf Menschen, die erstmal gegen die Coronaeinschränkungen waren, und die dort geknüpften Beziehungen wurden zu einem der wichtigen Inkubatoren der rechten Offensive, die wir zur Zeit erleben.

Ich glaube, dass eines der Probleme, das wir als Linke im Kollaps haben, darin liegt, dass der Faschismus genau wegen Kollaps und Schuld und Angst zu einer genuinen Befreiungsbewegung wird: Befreiung von Vernunft und Ethik, von Empathie und Natur, von Menschlichkeit und den meisten anderen Menschen. Und wenn auf der anderen Seite dieser “Befreiungen” (vgl. “Das Coming Out der Arschlochgesellschaft (Öffnet in neuem Fenster)”) dann der Eindruck entsteht, dass die Räume, die von den verhältnismäßig linken und humanistischen “Kollapsis” angeboten werden, in Wahrheit wieder solche sind, wo Menschen, die keine linken Szenecodes kennen, sich ausgeschlossen fühlen... naja, das wäre halt ziemlich scheiße.



(Noch keine) Antworten

Ich habe in der Diskussion gestern an mehreren Punkten gesagt: “danke für die spannende Frage, ich glaube, das müssen wir jetzt einfach mal anfangen, zu diskutieren.” Mir ist jetzt klar, ich hätte eher sagen sollen, dass ich nicht die beste Person bin, um diese Frage zu beantworten, da ich mein Leben in der Orga von Eventaktivismus und linken Szeneprojekten verbracht habe. Aber die Menschen, die alltägliche Nachbarschaftsarbeit machen, die werden ja Erfahrungen haben, und ich fände es sehr spannend, die zu hören, vielleicht mal per Genoss*innenbeitrag. Auch die FAU-Genoss*innen sind ja Mitglieder einer Basisgewerkschaft, und da redet mensch halt auch mal mit solchen, die nicht “alles richtig machen”. Einer sagte: “Naja, das muss man halt auch mal aushalten, dass jemand was sagt, was einen stresst – das sollte dann nicht unwidersprochen bleiben, aber die Person sollte nicht rausfliegen.”

Der Beispiele, wie linke Menschen mit diesem Problem umgehen, sind natürlich unzählig viele, und in diesem kurzen Text ging es mir weniger darum, Antworten zu geben oder zu suchen. Vielleicht ging es mir vor allem darum, in einen anderen Modus zu schalten. Mehr Fragen, weniger Antworten. Zumindest for the time being.

Mit fragendvoranschreitenden Grüßen,

Euer Tadzio

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