Herzbergs Campus in der Platte
HINTERGRUND / WOHNEN IN ELBE-ELSTER
Juli 2023
Von einer eigenen Hochschule träumen viele Städte der Lausitz. Herzberg träumt noch kühner: Von einem Campus für Studierende, deren Hochschule 100 Kilometer entfernt liegt. Kann das klappen?
von Naomi Asal
In Herzberg steht die Werbekampagne für einen Ko-Campus in den Startlöchern. Ein gewagter Plan für eine Kleinstadt mit 8.700 Einwohnern und ohne den Hauch einer Hochschulstruktur. Doch Herzberg im Landkreis Elbe-Elster ist kreativ geworden und hat das Konzept eines Campus ohne Hochschule entwickelt. Die Stadt ist eineinhalb Stunden von Berlin und damit von vielen Hochschulen weit entfernt. Noch fährt die Bahn in Richtung Hauptstadt nur im Zwei-Stunden-Takt, doch ab 2026 soll der Anschluss stündlich befahren werden. Damit rücken wichtige Zielgruppen der Zuzugswerbung näher heran.
Campus ist das neue Zauberwort im Strukturwandel. Kleine Städte und Gemeinden setzen große Hoffnungen in die aus dem Universitätsleben stammende Idee vom kreativen Zentrum. Viele versuchen (Öffnet in neuem Fenster), eigene Orte für Bildung und Kreativität aufzubauen. Je mehr sich der Gedanke durchsetzt, dass es nicht mehr nur auf das Arbeitsplatzangebot und Industrie ankommt, desto häufiger entstehen Konzepte von Campi, um die Gemeinden zu beleben. Junge Leute lassen sich ohne Bildungsmöglichkeiten schließlich nicht auf dem Land halten.
Plattenbau als Wohnmaschine für Studierende
In Herzberg hat der „Summer of Pioniers (Öffnet in neuem Fenster)“ den Ausschlag gegeben, bei dem 2022 Großstadtleute für einige Monate das Leben in der Stadt testen konnten. „Wir haben durch den Summer of Pionieers Digitalschaffende für unsere Stadt gewinnen können“, sagt Vize-Bürgermeisterin Stephanie Kuntze. „Aber wir sind eine hochschulferne Region und haben uns überlegt, wie man junge Menschen hier binden kann."
Daraus ist die Idee des Ko-Campus geboren. Studierende sollen günstige, möblierte Zimmer erhalten und sich im Gegenzug einbringen und das Campusgelände gestalten. Als Campus soll eine Herzberger Plattenbau-Siedlung dienen, die mit Leerstand kämpft, aber auch viele Gestaltungsmöglichkeiten bietet.
Als Projektpartner wurde die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (Öffnet in neuem Fenster) (HTW) angefragt. Unter der Leitung der Immobilienforscherin Regina Zeitner (Öffnet in neuem Fenster) erstellten Studierende aus dem Masterstudiengang Facility Management ein Konzept für Herzberg. Die Frage dabei: Kann einer der Herzberger Plattenbauten als studentischer Wohnort und Campus genutzt werden? Zumindest in der Theorie konnten die Studierenden allen Luxus entfalten: Die Platte soll mit 42 Wohnungen Raum für 101 Personen schaffen und mit einem Kino, einem Fitnessstudio und einem Waschsalon ausgestattet werden. Auf dem begrünten Dach sollen Photovoltaikanlagen für Strom sorgen.
Die Studierenden planten zudem eine große Gemeinschaftsfläche im Erdgeschoss des Platten-Campus. Dort konzipierten sie eine Küche mit Essbereich, einen Coworking-Space und ein Café. Auch von außen soll die Platte aufgehübscht werden und mit einer Gartenveranda, einem Hof und einem Gemeinschaftsgarten versehen werden. Das ist die Wiedergeburt der Wohnmaschine, zugeschnitten auf die Bedürfnisse des digitalen Nachwuchses.
Generation Z will zurück aufs Land
Um den Wohnmarktwert von Herzberg unter jungen Berlinerinnen und Berlinern zu ermitteln, haben die HTW-Masterstudierenden eine Umfrage unter ihresgleichen durchgeführt - immerhin 65 Studierende von vier Universitäten in Berlin nahmen teil. Das Ergebnis ist erstaunlich: Über die Hälfte zeigte sich offen dafür, aufs Land zu ziehen.
Professorin Zeitner führt das auf die hohen Mieten in Berlin zurück - und auf etwas anderes. Sie spricht von einem Trend zur Retraditionalisierung der sogenannten Generation Z, der in der Wissenschaft vielfach zu beobachten sei. Was bedeutet: Wer heute bis Mitte 20 ist, schätzt das Landleben mehr als etwa die Millenials Mitte 30. „Bezahlbarer Wohnraum bietet hier Sicherheit und Beständigkeit“, sagt Zeitner. Zwar sei die Umfrage nicht ganz repräsentativ und müsste noch mal wissenschaftlich aufbereitet werden, aber sie zeigt dennoch auf, dass Projekte wie in Herzberg unter bestimmten Bedingungen funktionieren können. Besonders wichtig sind dabei eine gute Anbindung, günstige Mieten und eine Gemeinschaft.
Hybrides Studieren als Chance für die Lehre
Professorin Zeitner sieht in der hybriden Lehre den Schlüssel für das Konzept Campus auf dem Land. Professoren und Professorinnen könnten projektbezogen für einige Tage an den Ko-Campus kommen, der Rest der Lehre würde online stattfinden. „Dafür müsste man in der Lehre flexibler werden“, sagt die 55-jährige Professorin. Sie ist überzeugt, dass die Bereitschaft für diese Flexibilität an den Hochschulen durchaus vorhanden sei. „Ich denke, die Möglichkeit, einige Tage am Stück intensiv mit den Studierenden in ein Thema einzutauchen, würden alle annehmen“, sagt sie. „Das ist eine Chance für die Lehre.“
Und ebenso für die kleine Stadt. In Herzberg steht die Werbekampagne für den Ko-Campus in den Startlöchern. Finanziert werden soll sie mit Lotto-Mitteln, für die die Stadt nun in die Bewerbungsphase geht. Im Sommer 2024 soll dann das Pilotprojekt des Ko-Campus starten.
Für die Renovierung der Platte wurde bereits ein Sammelantrag mit anderen Herzberger Projekten an die Lausitz-Mittel gestellt, der gerade bearbeitet wird. Für die Platte wurden dabei rund vier Millionen Euro eingeplant. Außerdem will die Stadt Förderanträge für die Wohnungsbauförderung der Berliner Baugenossenschaft sowie für die Städtebauförderung von Bund und Land einreichen. Wenn alles klappt, werden die ersten Studierenden schon in einem Jahr erst mal für einen begrenzten Zeitraum die Platte gestalten.