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Mit der Orthese am Fuß und dem Herzen im Sand

„Nirgendwo fühle ich mich so lebendig wie beim Beachvolleyball“, sagt Anna Dißmann. Ihre Geschichte macht Mut, der eigenen Leidenschaft zu folgen – unabhängig von Applaus und Kritik.

Manchmal wissen wir genau, was uns glücklich macht und tun es trotzdem nicht. Tagsüber Beachvolleyball spielen, mit einem Athletiktrainer zusammenarbeiten oder sich allein in den Sand stellen und Aufschläge üben – das kannst du machen, wenn du Profisportlerin bist, aber doch nicht einfach so – oder? Anna Dißmann macht es und ich liebe es. Wenn Anna Beachvolleyball spielt, versprüht sie eine Energie, die ich noch drei Felder weiter fühlen kann. Sie hat das Mindset einer Leistungssportlerin und sie spielt nicht nur Beachvolleyball, sie macht sich Gedanken über die Technik, die Athletik, die mentalen Komponenten. Als Jugendliche spielte sie in der Basketballauswahl von Berlin und kam dadurch mit dem Leistungssport in Berührung. Beachvolleyball lernte sie als Kind durch ihren Vater kennen, doch erst nach dem Abitur fing sie an, regelmäßig zu spielen, auch während ihres Studiums in dem nicht unbedingt als Beachvolleyball-Hochburg bekannten London. „Ich habe da mit drei crazy Girls trainiert, egal bei welchem Wetter, an zwei Locations, zu denen wir anderthalb Stunden durch die Stadt cruisen mussten“, erzählt sie.

Die Sekunden zurückdrehen bis vor der Verletzung

  „Nirgendwo fühle ich mich so lebendig wie beim Beachvolleyball, weil es ein Sport ist, der so vielseitig ist und mir an so vielen Stellen Entwicklungsmöglichkeiten gibt“, sagt Anna. Im Dezember 2024 aber war erst einmal Schluss damit. Eine Basketballsaison wollte sie noch mitspielen, vor allem wegen der Gemeinschaft, die sie im Beachvolleyball manchmal vermisst. Eine Gegenspielerin trat ihr in den Lauf und Annas Achillessehne riss. Von einem auf den anderen Moment konnte sie nicht mehr laufen. Wer sie schon einmal erlebt hat, kann sich schwer vorstellen wie Anna sich, ihren Fuß in einer Orthese ruhiggestellt, selbst Thrombosespritzen setzt, um Bewegungsmangel auszugleichen – Bewegungsmangel, ein Wort, das so ungefähr das letzte ist, das man mit Anna Dißmann in Verbindung bringt. „Ich wusste nicht, was ich machen soll, ich war frustriert und wollte am liebsten die Sekunden bis vor der Verletzung zurückdrehen“, sagt sie.

Auf einmal ist es ok, einen Fokus zu setzen

 Dann aber fiel ihr etwas auf: „Wenn du verletzt bist, ist das ein Ausnahmezustand. Alle bei der Arbeit verstehen es, alle anderen auch. Plötzlich ist es ok, einen Fokus setzen und sich voll auf den Heilungsprozess zu konzentrieren“, sagt sie. Anna ist ihre Verletzung angegangen wie ein Profi, organisierte sich einen OP-Termin, Reha und Aufbautraining. Am 15. Dezember 2024, eine Woche nach der Ruptur nahm sie auf einem Stuhl in ihrem Schlafzimmer sitzend ihr erstes Instagram Reel auf. Ab dem Moment ließ sie ihre Follower Woche für Woche an den Höhen und Tiefen, den frustrierenden und motivierenden Momenten ihrer Reise teilhaben, immer sehr ehrlich aber mit positiver Ausstrahlung. „Als ich mich verletzt habe, habe ich gemerkt, dass es mir zwar hilft, dass Freunde für mich da sind, aber es ist nochmal was anderes, wenn man sich mit Leuten austauschen kann, die genau das erlebt haben, was du erlebst“, sagt sie. Aus diesem Grund begann sie Sportlerinnen und Sportlerin zu folgen, die auch einen Achillessehenriss hatten und entschied sich, während sie noch mitten in ihrem eigenen Schmerz war, genau diese Hilfestellung weiterzugeben.

„Ich habe mich immer ein bisschen falsch gefühlt“

 Mehrmals pro Woche buchte Anna sich allein ein Feld auf Beach 61, kniete sich mit ihrer stiefelartigen Orthese am Fuß auf einen Kasten und feilte an ihrer Schlagtechnik. „Ich musste mich irgendwie bei Laune halten“, sagt sie. Auch bei der Reha war der Ball immer dabei. Inzwischen springt Anna auch schon wieder im Training. Wer es nicht weiß, kann ihre Verletzung und den Weg, den sie gegangen ist, von außen nicht sehen. Die Angst ist noch da. „Vor der Verletzung dachte ich immer, ich sei unverletzlich, jetzt frage ich mich manchmal: Ist das jetzt der Moment, kurz bevor wieder etwas reißt?“, sagt sie.

 Von der Angst möchte sie sich aber nicht beherrschen lassen und auch nicht von der Meinung anderer Menschen. „Ich habe mich immer ein bisschen falsch gefühlt. Mir wurde reflektiert: Anna, du bist ein bisschen doll. Das ist nicht angenehm und man will ja auch dazugehören“, sagt sie. Also nahm sie sich zurück. „Dann war ich aber immer hungrig. Durch die Verletzung war es das erste Mal, dass ich mir erlaubt habe, Sport so auszuleben, wie ich mir das vorstelle“, sagt sie.

Alles eine Frage der Organisation 

Die Routinen, den Fokus, die individuelle Arbeit mit Trainern, all das möchte sie sich erhalten. „Trainierst du zu viel, bist du verbissen, trainierst du zu wenig, bist du zu faul. Jeder findet doch eh etwas zum Kritisieren, dann mache ich lieber gleich mich selbst happy. Ich habe vielleicht noch 50 Jahre auf dieser Welt und kann täglich entscheiden, was ich in denen erleben möchte“, sagt Anna: Krafttraining, Beachvolleyball und Yoga für die Regenration – alles eine Frage der Organisation und Anna ist mit ihren 31 Jahren und einem Vollzeit-Erwachsenenjob sehr gut organisiert.

Während ich mich mit Annas Geschichte beschäftigt habe, fiel mir mal wieder das Buch „Big Magic“ von Elizabeth Gilbert (Öffnet in neuem Fenster) in die Hände. In dem Kapitel „An Ampflified Existence“ geht es darum, dass wir uns zu wenig erlauben, unseren Leidenschaften Raum zu geben in unserem Leben. Es scheint, als dürfe man nur ein kreatives Leben führen, wenn es auch zur finanziellen Sicherheit beiträgt, schreibt Gilbert, und dass auf diese Weise die besonders Talentierten, also die, die in Dingen wie Musik, Kunst oder Sport so gut sind, dass sie es professionell ausüben können, die Bürde tragen, die kreativen Träume der gesamten Gesellschaft mitzuleben, während alle anderen dazu verdammt sind, eine alltägliche inspirationslose Existenz zu führen.

Es geht um das Gefühl, das bleibt

 Das ist zugespitzt formuliert, aber es ist etwas sehr Wahres dran. Wenn ich mein Geld nicht mit etwas verdiene, stellt sich die Frage: Wie viel Zeit darf ich damit verbringen?“ Es gibt ja auch diesen Spruch: „Wenn du etwas oft und lange machst, dann bist du besser gut darin.“ Alles andere wird schnell als peinlich tituliert, als Zeitverschwendung.  Was aber wäre, wenn es weniger um Medaillen, Pokale oder Geld ginge, sondern um Das Gefühl, das uns eine bestimmte Sache gibt? Elizabeth Gilbert bringt als Beispiel ihre Freundin Susann, die mit 40 Jahren das Eiskunstlaufen nochmal für sich entdeckt hat. Sie hatte es als Jugendliche nicht ganz bis nach oben geschafft und war daher gar nicht mehr gelaufen, doch dann griff sie die die Kunst wieder auf, weil sie in ihr dieses besondere Gefühl auslöste, das nicht anderes im Leben ihr zu geben vermochte. Sie stand drei Mal pro Woche um 5 Uhr früh auf, um vor der Arbeit zu trainieren, nicht für Platzierungen. Für sich.

 „…This story does not end with her winning any championship medal. I doesen´t have to. In fact, this story does not end at all, because Susann is still figure skating several mornings a week – simply because skating is the best way for her to unfold a certain beauty and transcendence within her life that she cannot seem to access in any other manner. And she would like to spend as much time as possible in such a state of transcendence while she is still here on earth. That´s all. That´s what I call creative living.

Auszug aus Big Magic von Elizabeth Gilbert.

 Das hat mich an Anna Dißmann erinnert, die sagt: „Das größte Glück im Leben ist es, wenn man eine Leidenschaft hat und sich traut, sie auszuleben. Und im besten Fall geht es nicht nur um dich selbst. Ich will das weitergeben.“ Deshalb hat sie auch den Instagram Kanal eingerichtet, dem ihr hier folgen könnt (Öffnet in neuem Fenster). Danke, Anna, dass du die verrückten Dinge tust, die dich glücklich machen. Damit hast du auch mich motiviert, Beachvolleyball wieder so zu spielen und zu trainieren, dass es mein kleines Herz zum Hüpfen bringt.

Kategorie beachvolleyball

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