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Noctivagus Charakter-Hörbücher (Avis Daemrun)

Ein Teaser von neuen Charakteren aus Vytra für unseren Noctivagus-Nebenstrang, der auf der Gamescom 2025 startet und unter anderem auf Conventions weitererzählt wird, geschrieben und eingelesen als Hörbuch von unseren Synchronschauspielenden, damit ihr direkt ein Gefühl für diese Persönlichkeiten bekommt.

Triggerwarnung (TW):

psychische und physische Gewalt, traumatische Erinnerungen/Ereignisse, Blut, Tod, Alkoholkonsum, Wahnsinn

Kapitel 5 - Das Gemälde

Sie treten aus den Schatten. Nachts, wenn Nox das Firmament erstickt. Wiedergänger auf der Jagd nach Mächten, jenseits der Vernunft. Meidet sie und betet, dass ihr für sie nicht von Interesse seid. Sie hinterlassen Tod und Trauer auf ihren Wegen. Sie sind Noctivagus.

Aus dem Leben von Avis Daemrun


Der Bilderrahmen aus Ebenholz wirkte im Vergleich zum Gemälde definitiv zu wertvoll. Die floralen Schnitzereien auf dem dunklen Holz mussten von geübter Hand gefertigt worden sein - wahrscheinlich ein Familienerbstück des Wirts, das er kürzlich auf dem Dachboden entdeckt hatte, ohne seinen wahren Wert zu erkennen.

Das Bild darin hingegen wirkte wie ein Fund aus irgendeinem Ramschladen - gemalt mit kruder Pinselführung, als hätte der Maler mitten im Entstehungsprozess die Lust verloren. Dass es nun hinter der Theke hing, war wohl ein kläglicher Versuch, etwas „Kultur“ in der Taverne zu behaupten - in der Hoffnung, die ziehenden Händler so auf ein Getränk zu locken und sie um ein paar Münzen zu erleichtern.

Trotzdem konnte Avis den Blick nicht von dem Bild lassen, während er an seinem Krug nippte.

Die Szenerie zeigte eine erbitterte Seeschlacht zwischen zwei Schiffen, die im Kampf ineinander verkeilt waren – wie zwei Körper im letzten Akt eines gewaltsamen Tanzes. Auf der einen Seite ein Piratenschiff, auf der anderen eine schwer beladene Handelsgaleere, die vor wenigen Momenten von den Freibeutern geentert wurde.

Das schrille Gelächter vom Tisch hinter ihm, an dem ein paar Trunkenbolde Karten spielten, nahm Avis kaum wahr. Vielmehr war er damit beschäftigt, sich zu fragen, warum die beiden Kriegsparteien auf dem Bild noch immer so verbissen kämpften - schließlich brannten beide Schiffe bereits zu großen Teilen. Sie waren auf offener See - ihr Ende schien besiegelt. Nur ganz hinten am Heck des Piratenschiffs entdeckte er eine kleine Gestalt – einen jungen Piraten, kaum 14 Jahre alt, der resigniert seinen Säbel hängen ließ und als Einziger mit leerem Blick an dem Betrachter des Bildes vorbeizusehen schien…

„HEY TORVIN! Vier Schnaps - und diesmal nicht wieder diese verwässerte Plörre!“, bellte eine Stimme, die soeben vom lauten Kartentisch zur Theke gestolpert war.

Avis schenkte ihr keine wirkliche Beachtung. Er war noch immer vom Ausdruck des Jünglings fasziniert. War dieser sich als einziger gewahr, dass sie alle sterben werden?

„Torvin! Was soll überhaupt dieses hässliche Bild in deinem Laden? Hat das dein Sohn gemalt? Und hat deine Alte dich gezwungen, es aufzuhängen? Hahahaha!“

Es kam Avis vor, als hätte sich der junge Pirat im Bild ein wenig näher zu ihm vorgebeugt. Als würde er in diesem Moment bemerken, dass er von außen beobachtet wird.

Die raue Stimme neben ihm drang nun näher an sein Ohr: „Na ja, wenigstens dem Vogel scheint es zu gefallen. Hahaha... Na, mein zerflederter Freund, aus welchem Loch bist du denn gekrochen?“

Der Blick des jungen Piraten schien plötzlich trauriger zu werden.

„Moment…“, die Stimme zögerte plötzlich, „du kommst mir irgendwie bekannt vor...“ Das eben noch betrunkene Lachen wich einem ernüchterten Tonfall.

Fast war Avis dankbar für diese Stimme. Sie riss ihn los von dem Bild, das sich in seine Gedanken festgekrallt hatte. Er griff in seine abgewetzte Offiziersjacke, um ein Stück Silber zur Bezahlung zu finden.

Wenig überraschend förderte er eine Handvoll Knöpfe zutage - und zwischen ihnen versteckte sich eines seiner letzten Silberstücke. In den letzten Wochen fand er immerhin immer weniger Knöpfe in seinen Taschen. Das beruhigte ihn ein wenig.

Er legte das Silber auf den Tresen, leerte in einem Zug seinen Krug und stand wortlos auf.

„Warte mal... Ich kenn dich doch! Ich hab dich schon mal gesehen…“ Die Stimme ließ nicht locker.

Avis’ Schritte wurden nun schneller. Er eilte zum Ausgang der Taverne, vorbei an dem Tisch, der nun ruhig geworden war, verließ den Laden und hetzte in die nächste dunkle Seitengasse. Dort kam er schließlich zur Ruhe.

Aber da tauchte vor seinem inneren Auge erneut das Gemälde auf. Die Augen des Piraten – sie sahen ihn noch immer an. Und inzwischen waren diese nicht mehr der Einzigen.

Er bemerkte kaum die Schritte, die sich zu ihm in die Gasse gesellten.

„DU! Ich weiß, wer du bist... und was du getan hast“, hörte er die Stimme wieder anklagen.

Er war nicht mehr allein. Offenbar war ihm der ganze Tisch gefolgt. Ihre Gesichter zeigten keine Spur mehr vom Vergnügen der letzten Stunden.

Doch länger konnte sich Avis nicht auf sie konzentrieren. Er war wieder auf dem Schiff. Es war windstill. Nur das Knistern der brennenden Segel war zu hören. Niemand kämpfte mehr. Alle standen nur noch da. Und sahen ihn an. Mit Unverständnis. Mit Wut, Enttäuschung. Mit Vorwurf. Und dann……sah er ein neues Gesicht in der Menge das ihn anstarrte. Sein eigenes.

Ein betrunkener Hieb traf ihn an der Schläfe und holte ihn zurück in die Gasse.

„Du weißt nicht, was du mir genommen hast“, hörte er die Stimme sagen.

Avis sah nur noch, wie ein Dolch im Laternenlicht glänzte - und dann kam die Dunkelheit.

Am nächsten Morgen war der Markt ungewöhnlich lebendig. Der Duft von gebratenem Fleisch, frischem Brot und exotischen Gewürzen hing schwer in der Luft.

Loran hatte seine Schicht schon vor einigen Stunden angetreten. Er musste heute früher als gewöhnlich seinen Dienst als Stadtwache leisten - obwohl es dabei lediglich um einen Fall von Vandalismus ging. Vermutlich ein paar Jugendliche, denen es in der Nacht zu langweilig gewesen war und die sich gegenseitig Mut beweisen mussten. Nun machte er seinen täglichen Kontrollgang über den Markt.

An dem Stand auf der anderen Seite sah er Gundo - noch gezeichnet von der Nachtschicht, mit Augenringen und einem Fleischspieß im Mund.

„Na, mein Freund“, rief Loran, „Hast du gestern die Straßen oder eher die Weinkeller bewacht?“ Er schlug ihm etwas zu kräftig auf die Schulter, sodass Gundo beinahe der Bissen aus dem Mund fiel.

„Na ja, irgendwer musste ja dem Wein beim kippen helfen“, grinste Gundo, während er weiter kaute.

„Das war nicht zufällig Torvins Weinkeller, oder? Ich wurde heute früh in seine Taverne gerufen - irgendjemand hat in der Nacht dieses hässliche Gemälde geschändet. Alle Gesichter darauf ausgekratzt... Wenn du mich fragst: ein Akt der Kunstkritik.“, lachte Loran leise in sich hinein.

„Nein, ich war gestern nicht für die Altstadt zuständig“, sagte Gundo. „Das musst du Justir fragen - wobei, ich hab gehört, der hatte ganz andere Probleme...“

Loran blickte neugierig auf.

„Er hat es mir nicht selbst erzählt, aber was man so hört... Mehrfacher Mord im Ostteil. Anscheinend noch nicht klar, wie viele Opfer - sie suchen noch die Körperteile zusammen. Manche sollen sogar auf den angrenzenden Dächern gefunden worden sein. Kein schöner Anblick. Justir soll sein Abendessen auch gleich dort verteilt haben.“

„Ach, da wird bestimmt wieder übertrieben. Wahrscheinlich wurde nur irgendein Obdachloser von einem Wolf, der sich in die Stadt verirrt hat, angenagt.“

„Ja, vielleicht. Aber dann muss dieser Wolf einen sehr merkwürdigen Geschmack haben... Angeblich wurden auch alle Knöpfe von den Kleidungsfetzen abgerissen.“

Gundo, mein Freund. Du bist zu gutgläubig. Oder noch besoffen. Und jetzt komm, ich glaub du brauchst erst mal ´nen Kaffee.“

Aus dem Leben von Avis Daemrun

Euer Alex
Kategorie Die Welt von Vytra

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