#005 - Taubenschlag-Newsletter:
Liebes Taubenschlag-Publikum,
fraglos Thema Nummer eins der letzten Woche: Die Entschuldigung von Hamburg.
Was ist passiert? Hoffnung gibt es für eine grundsätzliche Entschädigung für Gehörlose, für die sich DGB-Opferbeauftragter Christian Ebmeyer seit Jahren mit schier unendlicher Energie einsetzt. Konkret geht es um Folgen des Oralismus und Sprachentzug. Tatsächlich bittet die Hamburgische Bürgerschaft (so nennt man den Landtag dort) erstmal um Entschuldigung. Historisch! Mehr auf Taubenschlag (Öffnet in neuem Fenster).
Christian Ebmeyer, der Beauftragte des DGB, berichtet vom aktuellen Höhepunkt seines unermüdlichen Engagements (Öffnet in neuem Fenster)
Alexander von Meyenn, Alt-DGB-Präsident, berichtet für den Gehörlosenverband Hamburg (Öffnet in neuem Fenster), findet es auch “historisch”, Transkript und Nicht-Insta-Video hier (Öffnet in neuem Fenster)
DGB-Graderstaltpräsident Helmut Vogel war auch vor Ort und gibt ebenfalls seine Eindrücke wider (Öffnet in neuem Fenster) (“Historischer / beeindruckender Tag”)
Bericht vom DGB-Präsidenten höchstpersönlich einmal von der Sitzung (Öffnet in neuem Fenster)und dann zur widersprüchlichen Berichterstattung: hatte die AfD sich nun enthalten oder nicht? (Öffnet in neuem Fenster) Zur Erinnerung: Die Deutsche Presse-Agentur sagte, die AfD hätte sich enthalten, der DGB-Präses sagte hingegen, alle Parteien hätten einstimmig zugestimmt.
Hier (Öffnet in neuem Fenster) noch mal von uns aufgearbeitet, Kurzfassung: Die AfD ist für eine Entschuldigung, aber gegen Entschädigung, angeblich weil es ihr nicht weit genug geht (so wie es Ralph Raule in dem oben schon verlinkten Video wiedergibt), kann aber auch nicht mehr sagen als “Wissen wirkt nur, wenn es ankommt (Öffnet in neuem Fenster)”, was ja auch nicht mehr ist, als im eigentlichen Antrag der SPD und Co. (Öffnet in neuem Fenster) steht. Fazit/Eindruck: aus Prinzip konträren Quatsch erzählen, wo sich ansonsten eigentlich alle einig sind. Wenn das ausführliche Protokoll der Sitzung da ist, schauen wir noch mal nach.
Wie geht’s nun weiter? Das Bundesland Hamburg bemüht sich jetzt, auf Bundesebene eine ähnliche Entschuldigung umzusetzen; außerdem soll es eine Entschädigung für die Nachteile durch geringe Bildung, also geringes Einkommen, also eine entsprechend geringe Rente geben; und zu guter Letzt soll die Beantragung von Eingliederungshilfe und eigentlich aller Hilfen für Gehörlose grundsätzlich vereinfacht werden. Im besten Fall ein Dominoeffekt, der allen Gehörlosen das Leben erleichtert. Mitte 2026 soll es einen Zwischenbericht bei der Hamburgischen Bürgerschaft geben.
💸 Die Deutsche Gehörlosen-Sportjugend (DGSJ) ist bestrebt um transparente Informationen (Öffnet in neuem Fenster): Der Finanzreferent, der sich 2020 mit damals 75.000 Euro aus dem Staub machte, ist verurteilt worden. Das berichtet der Jugendbundessportverband der Gehörlosen. Allerdings passierte das bereits im November 2023 vom Amtsgericht Essen. Statt einem Jahr Gefängnis gibt es vier Jahre Bewährung. Rückzahlen muss der Verurteilte fast 20.000 weniger: 56.187,10 Euro. Wir haben nachgefragt, Ricardo Scheuerer vom DGSV antwortete transparent:
der Grund für die späte Pressemitteilung ist, dass alles erst rechtssicher geklärt sein musste
warum die Summe aus dem Urteil fast 20.000 Euro geringer ist, weiß die DGSJ nicht – sie war nicht an dem Verfahren beteiligt
die Rückzahlung ist noch nicht eingetroffen! Dafür ist die Staatsanwaltschaft zuständig, mit der die DGSJ im Austausch steht
Das Thema ist also noch nicht 100% abgeschlossen, aber nicht aus den Augen verloren.
⚽️ Ach ja, Sport. Aktuell ist Europameisterschaft im Fußball. Die Torhüterin der deutschen Fußballerinnen, Ann-Katrin Berger, machte die ILY-Geste (Öffnet in neuem Fenster), weil ihre Schwester schwerhörig ist. Nach der Fußballkarriere will sie dann Dolmetscherin werden, weil der Mangel so eklatant ist.
Wer noch mal live dabei sein will, Deutschland spielt:
gesichert morgen, Mittwoch den 23. Juli um 21 Uhr im ARD das Halbfinale gegen Spanien 🇪🇸
bei Sieg im Halbfinale dann am Sonntag, 27. Juli 18:00 im Finale gegen England 🏴 oder Italien 🇮🇹 (entscheidet sich heute) – da aber im ZDF
🚻 Wer das futuristische Faszinosum genderneutrale Toiletten erleben will, hat im Hamburger Gehörlosenzentrum in der Bernadottestraße neuerdings Gelegenheit. Der Verband renoviert, dazu gehören auch die Toiletten. Schlauerweise nicht beide binären Klos gleichzeitig, sondern erst das eine, dann das andere (Öffnet in neuem Fenster). Solange das Männerklo renoviert wird, ist das Damenklo für alle (Wortlaut: “Männer, Frauen, etc.”) zugänglich. Danach das Gleiche umgekehrt. Bis Mitte August, dann ist die große Frage: wohin mit dem “etc.”?
Jedenfalls beispiellose Transparenz des Verbands mit aktuellen Baustellenfotos (Öffnet in neuem Fenster). In den Kommentaren schwankt man zwischen “Schandfleck” und “Kult-WC” , manch einer schwelgt in Erinnerungen: “Es gab viele schöne Momente in diesem Raum😍”.
🎓 Deaf President Now! ist für den Emmy-Fernsehpreis nominiert worden, wie Nyle DiMarco auf Instagram verkündete (Öffnet in neuem Fenster). Sogar zweimal. Einmal für “outstanding documentary/nonfiction special”, also so viel wie “außergewöhnlicher Dokumentarfilm/nicht fiktive Sondersendung” (etwas holprig übersetzt) und einmal für die Regie (Öffnet in neuem Fenster), zusammen mit seinem Co-Regisseur Davis Guggenheim (Eine unbequeme Wahrheit). Stabil! Für den Kalender: Preisverleihung ist am 14. September. Mehr Infos auch auf Taubenschlag (Öffnet in neuem Fenster).
🎶 Köln? Musik? Dolmetschen? Da war doch was. Die letzten Sachen zur Culcha Candela-Cancelung:
die Übersetzerin/Dolmetscherin/Aktivistin Corinna Brenner seziert das Thema noch einmal ausführlich in einem Instagram-Reel (Öffnet in neuem Fenster). Spannend auch die Kommentare: offenbar arbeiteten die Dolmetschleute von Loor Ens ehrenamtlich.
die Initiative Barrierefrei Feiern, die u.a. mit den Deaf Performerinnen Susanne Kermer (Öffnet in neuem Fenster) und Ilknur Warnecke (Öffnet in neuem Fenster) zusammenarbeitet, stellt in Texttafeln Forderungen auf (Öffnet in neuem Fenster), u.a. einfach verpflichtende Barrierefreiheit, weniger diskutieren “ob” und mehr “wie genau”
allem Augenschein nach ist das Statement der Band (Öffnet in neuem Fenster) zu den Vorfällen in Köln das einzige Video auf deren Instagram-Account, das untertitelt ist. Aber auch andere Videos entsprechen nicht modernen Standards und sind quer statt hochkant gefilmt.
Kritik gab es übrigens schon vor dem CSD, also vor etwa zwei Wochen: “Dafür bin ich nicht schwul geworden” (Öffnet in neuem Fenster), berichtet T-Online über die Kommentare. Das Geburtstags-Fiasko (Öffnet in neuem Fenster), mit dem Culcha Candela zuletzt in den Shitstorm-Schlagzeilen waren, hallt wohl nach. Ob bei einer sympathischeren Band der Aufschrei um die Verdolmetschung genauso groß gewesen wäre? 🤷
Soweit erstmal, wir lesen uns in zwei Wochen wieder. Oder in einer, wenn wieder so viel passiert wie letzte Woche.
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Grüßt:
Wille
P.S.: Es tut sich auch strukturell was beim DGB! Der Deutsche Gehörlosen-Bund stellt um auf digital und löst seine Präsenz-Geschäftsstelle auf (Öffnet in neuem Fenster). Ziel ist mehr Effizienz und gespartes Geld, wobei letzteres aber nicht der Hauptgrund sein soll. Aber in einem Nebensatz dann: Die Finanzen des Verbands sind bald ein Jahr nach der Neuwahl immer noch nicht klar. Bleibt also spannend – und stabil genug, um schon mal neue Leute einzustellen. Zwischenzeitlich berichtete Raule dann noch, dass er sich mit Altpräsident Vogel traf, um die Übergabe weiter abzuwickeln. Man ist also am Ball.
P.P.S.: Julia Probst (GRÜNE) ist ihr Amt als Inklusionsbeauftragte los. Das berichtete die Illertissener Zeitung am 17. Juli. Grund: ihre hypothetische Twitter/X-Frage zur Organspende (Öffnet in neuem Fenster)(kurz gefasst: sollte man AfD-Mitgliedern eine Organspende gönnen?). Gleichzeitig wurde im Stadtrat (in Abwesenheit von Probst) diskutiert, ob man ihr das Mandat entziehen könnte. Das sei aber juristisch nicht möglich, entsprechend wurde einstimmig dagegen gestimmt. Als Inklusionsbeauftragte wollte man sie dann aber nicht mehr haben.
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