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#004 - Taubenschlag-Newsletter:

Liebes Taubenschlag-Publikum,

wir starten mit guten Neuigkeiten: die GoFundMe-Spendensammlung für den legendären Performer Rob Roy (“Deaf Man Walking”) hat in Rekordzeit alle Spendenziele geknackt: Über 41.000 australische Dollar (Ziel: 30.000) kamen zusammen, um dem Tauben Australier zu helfen, der obdachlos und schwer krank auf den Philippinen gestrandet ist. Link zum GoFundMe (Öffnet in neuem Fenster), organisiert von Robs Bruder.

🚽 Ins Klo gegriffen haben hingegen entweder Culcha Candela, der CSD Cologne oder beide. Auf der Pride-Parade in Köln sollten diese eigentlich verdolmetscht werden, doch wie in einer Instagram-Story (Öffnet in neuem Fenster) (läuft 7.7. abends ab) von den LoorEns-GSD persönlich mitteilt wird, wurde daraus nix. Die GSD wurden von der Bühne geschickt, weil die Band das angeblich nicht wollte. Nach Online-Protest meldet sich die Band (auf ihrem Instagram-Profil und in den Kommentaren zu dem Ursprungs-Post) zu Wort, dass es ein Missverständnis gewesen sei und man sich zu dem Thema an die Veranstalter, Cologne Pride, wenden sollte. Die schildern es so (Öffnet in neuem Fenster): Ein Teammitglied der Produktion von Culcha Candela hätte ohne Absprache mit Band oder Veranstalter die Verdolmetschung abserviert. Die Band wiederum reagiert empört, dass das nicht stimme. Stellt sich die Frage, warum das Dolmetschen bei den anderen Bands klappte und bei Culcha Candela nicht.

Hier noch mal als Blogbeitrag bei uns (Öffnet in neuem Fenster).

Hätte übrigens auch schlimmer kommen können: Auf dem Donauinselfest in Wien wurde beim “Inklusionskonzert” (allein der Name!) sogar ein Avatar eingesetzt. Kritik folgte prompt. (Öffnet in neuem Fenster)

👩‍⚕️Mit kreativen Ideen bei der Therapieplatzsuche kommt man in Deutschland nicht weit, aber eine gehörlose Frau ließ es drauf ankommen. Die Patientin suchte eine Therapie mit Gebärdensprache, bekam drei Therapeutinnen vorgeschlagen, von denen zwei nicht konnten und eine nur mit Verdolmetschung arbeitete. Als Alternative fand sie eine Heilpraktikerin, die DGS beherrscht, doch die Krankenkasse weigerte sich, die Kosten zu übernehmen. Jetzt hat nach fünf Jahren das Landessozialgericht zu Gunsten der Krankenkasse entschieden und keine Revision zugelassen. Die Patientin muss also entweder die Kosten aus eigener Tasche zahlen oder sich auf eine Behandlung einlassen, die ihren Kommunikationswegen nicht entspricht.

Dass Psychotherapieplätze Mangelware sind, ist kein Geheimnis. Hier versagt das System auch für Hörende oft genug, und wenn diese andere Angebote wie Coaches oder Heilpraktiker*innen in Anspruch nehmen, müssen sie es auch selber bezahlen. Akademisch qualifizierte Kräfte, die Mangelware sind, durch schneller, aber eben nicht akademisch ausgebildete Leute auszugleichen, klingt bekannt?

Beim Dolmetschen gibt es ja auch die andauernde Diskussion, dass in manchen Situationen vielleicht Kommunikationsassistenz ausreicht. Diese sind breiter verfügbar, günstiger und bieten schlichtweg auch andere Leistungen als beim Dolmetschen. So ähnlich ist es bei Heilpraktiker*innen im Vergleich zu zugelassenen Psychotherapieleistungen.

Die Hintergründe und den Link zum Urteil inkl. Aktenzeichen gibt’s bei uns auf Taubenschlag (Öffnet in neuem Fenster).

🤖 Die Übersetzung von Gebärdensprache in Laut- oder Schriftsprache ist eine der größeren Herausforderungen beim aktuellen KI-Boom. Während Google Gerüchten zufolge die Gemini-KI mit Gebärdensprachkompetenz ausstattet, machen junge Frauen in Deutschland Nägel mit Köpfen und entwickeln “Gebärden-Dolmetscher” als App – noch nicht ganz marktreif und mehr als Studie, aber doch sehr eindrucksvoll.

Den Einstieg machen bei Jugend Forscht zwei Schülerinnen aus Bernau bei Berlin, die einen “digitalen Dolmetscher” entwickelt haben (Öffnet in neuem Fenster), der bereits in der Lage ist, das ASL-Fingeralphabet mit 86,7% Genauigkeit zu erkennen, wie Milena Reißmann dem Taubenschlag auf Nachfrage schrieb. Langfristig soll das Projekt auch wirklich dolmetschen und nicht nur Fingeralphabet erkennen können. Die Grundlagen sind geschaffen.

Neu hinzugekommen ist jetzt Claudia Gaida aus Hannover, die konkrete Zahlen nennt: 1.000 Gebärden soll ihre App bereits können (Öffnet in neuem Fenster), Berichten zufolge feilt sie auch an einem Avatar, um aus der Laut- oder Schriftsprache zurück zu übersetzen.

Vielleicht enden damit zumindest die ewigen Geschichten vom “Gebärdensprach-Handschuh”, weil eine App in jedem Fall einfacher zu benutzen ist. Aber vielleicht reicht in den meisten Fällen wirklich Papier und Stift, gibt’s (Öffnet in neuem Fenster) auch (Öffnet in neuem Fenster) als (Öffnet in neuem Fenster) App (Öffnet in neuem Fenster).

🧑‍🦯‍➡️ Ein weiteres Bundesland bekommt das Taubblindengeld. Im Saarland gibt es seit dem 1. Juli nun 675 € im Monat für taubblinde Menschen. Die im Vergleich zu anderen Bundesländern (Hessen: 1.514 €, Bayern 1.496 €) kleine Summe hat nichts mit der Größe des Bundeslands zu tun. Thüringen ist z.B. deutlich größer, bietet aber nur 644 €.

Das komplette Ranking gibt es in unserem Blogbeitrag (Öffnet in neuem Fenster). Neun Bundesländer haben jetzt ein Taubblindengeld, in den andern sieben muss man sich mit dem sparsamer ausgelegten Blindengeld begnügen (das aber in Hamburg sogar höher ist als das Taubblindengeld in Thüringen – und nur in zwei Bundesländern gibt es noch weniger Blindengeld als im Taubblindengeld-Schlusslicht Schleswig-Holstein (425 €).

Die Community sehnt sich unverändert nach einem bundeseinheitlichem Teilhabegeld, im Idealfall sogar nach einem, das für den Lebensunterhalt reicht, egal ob taubblind, taub oder schwerhörig.

🇪🇺 In eigener Sache noch mal ein Hinweis für diejenigen, die’s vielleicht übersehen, verpasst oder vergessen haben: Im Mai ging unser aktuelles transnationales Projekt zu Ende. Mit Deaf Journalism Europe (Öffnet in neuem Fenster) experimentierten wir mit vielen verschiedenen Formaten, berichteten aus Reims vom Clin d’Oeil (Öffnet in neuem Fenster) und aus Brüssel von der Europawahl (Öffnet in neuem Fenster), schrieben und gebärdeten etliche Artikel, u.a. zu den Themen:

Eine Übersicht der Artikel gibt es hier (Öffnet in neuem Fenster) und auf dem Instagram-Account von Deaf Journalism Europe (Öffnet in neuem Fenster).

Grüßt:

Wille

P.S.: Der Dolmi-Bundesverband BGSD hat auch reagiert auf den möglichen Millionen-Betrug von Hessen (Öffnet in neuem Fenster): In einer Stellungnahme betont der Verband, dass der Beschuldigte kein Mitglied im BGSD ist und fordert einen Schutz der Berufsbezeichnung fürs Dolmetschen, bessere Kontrollen u.v.m. (Öffnet in neuem Fenster)

P.P.S.: Schon gewundert, woher der Gehörlosenapplaus mit dem Händewedeln kommt? Ein schwedischer Forscher hat es herausgefunden und erzählte die ganze Geschichte auf Instagram. Will ich euch nicht vorenthalten, klickt hier (Öffnet in neuem Fenster).

Aber Vorsicht: Peer Review steht noch aus. (Heißt auf Deutsch so viel wie “Ist evtl. kompletter Quatsch”)

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Taubenschlag war lange ein ehrenamtliches Projekt, ein Blog, eine lebendige Pinnwand. Zwei Jahre lang haben wir mit dem ersten DJE-Projekt (Öffnet in neuem Fenster) – kurze und längere, mehr und weniger tief recherchierte journalistische Artikel veröffentlicht, gefördert von der Europäischen Union. Abseits davon: Die Sparte “Übers Dolmetschen (Öffnet in neuem Fenster)” mit einer eigenen Webseite (Öffnet in neuem Fenster) ist einerseits eine für alle zugängliche Informationsquelle rund um Standardfragen zum Dolmetschen (ähnlich wie nicht-stumm.de (Öffnet in neuem Fenster), welches sich rund um Taubsein und Gebärdensprachen dreht) und andererseits Heimat für exklusive Meinungs- und Diskussionsbeiträge. Fehlt dir etwas? Hast du Lob, hast du Tadel? Schreib uns an info@taubenschlag.de (Öffnet in neuem Fenster) !

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