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DIE SILHOUETTE VON ARSCH UND LÜGNER

LITERATUR-KRTIK

Das lesende Deutschland hat zwei ganz heiße Themen, die sich schließlich gar überschneiden: der Deutsche Buchpreis und der neue Roman von Caroline Wahl. Die Longlist des Buchpreises ruft vielerorts Verwirrung hervor (Öffnet in neuem Fenster), so auch bei Frau Wahl, die sich ebenso wie im letzten Jahr auch 2025 gerne selbst auf der Longlist gesehen hätte.

In Unkenntnis all ihrer Bücher – zumindest bis jetzt – und lediglich auf Basis des Bohei, das um sie gemacht wurde und wird (Öffnet in neuem Fenster), sowie der Verfilmung des ersten Buchs, die in der kommenden Woche in den Kinos anläuft (unsere Besprechung gibt es rechtzeitig) ist unsere Einschätzung: Gut so. Wer sich selbst allzu sehr abfeiert, aber dann nur eine scheinbar mäßige Geschichte abliefert, der oder die hat es am Ende eben auch nicht verdient, die Aufmerksamkeit durch den Buchpreis zu erfahren. Ein wenig soll es ja doch noch nach Qualität gehen. Clemens Meyer stimmt dem gewiss zu.

Damit nun aber zum eigentlichen Thema dieses Beitrags, nämlich einem anderen Buch, das am Donnerstag erschien und dessen Autor sogar schon mit Preisen bedacht wurde, der allerdings kein so großes Tamtam darum zu machen scheint, obwohl auch er die eine oder andere biografische Anleihe in seinem fiktiven Werk nimmt. Die Rede ist von Steven Uhlys „Death Valley“, das im Secession Verlag erschienen ist (dieser übrigens 2021 mit dem Großen Berliner Verlagspreis ausgezeichnet).

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Steven Uhlys gleichnamiger Hauptcharakter nimmt uns in dem Buch mit auf eine nicht ganz freiwillige Reise in das titelgebende Death Valley. Seine Mutter ist dort vom Pferd in einen Krater gestürzt und verstorben. Ihr neuer Lebensgefährte Gerd hat es ihr beim Versuch, sie zu retten, gleichgetan. Steven muss also umgehend nach Amerika reisen, das wie in der Realität wieder von Donald Trump und seinen MAGA-Leuten regiert wird. Und von denen begegnet der selbsterwählte „Menschenfeind“ Steven so einigen, ebenso wie seinem „braunen“ Stiefbruder Hans, der natürlich auf derselben Mission ist – nur eben, um die Überreste des Vaters abzuholen.

Es entwickelt sich ein Wettrennen, wer zuerst am Ubehebekrater ist und vor allem, wer schneller wieder zurück ist. In der Wohnung in der Eifel warten nämlich unter anderem wertvolle Antiquitäten, die auf keinen Fall der „braune“ Hans in die Finger kriegen darf, zumal Stevens schwangere Freundin einerseits die Kohle braucht, andererseits aber auch auf eine schnelle Rückkehr drängt.

Nun muss die Sache aber erledigt werden, da führt kein Highway dran vorbei. Steven begibt sich auf diesen „wilden Roadtrip“ (Frank Menden (Öffnet in neuem Fenster) in seinem Blurb) und trifft dabei nicht nur auf MAGA-Leute, sondern auch auf reiche Millionenerben, scheinbar indigene Priesterinnen, eifrige Anti-Trump-Journalistinnen, eine nicht immer redselige „grief counselor“ – und natürlich auf Hans. Sein Stiefbruder, der wenig überraschend Trump-Fan ist, scheint die USA noch weniger zu mögen als Steven, sich aber gleichzeitig erstaunlich schnell mit der vielfach so großen Widersprüchlichkeit des Landes zu arrangieren.

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Auch wenn bei uns anfangs tatsächlich leichte Skepsis ob dieser Geschichte bestand, dieser „wilde Roadtrip“ hat uns am Ende doch sehr in seinen Bann gezogen. Als Uhly an einem heißen Juniabend vorab die ersten Seiten aus seinem Buch las, war Skepsis angesagt: ein nur dezent sympathischer Antiheld als Protagonist und ein etwas schleppender Einstieg, der vor allem die Abneigung des Hauptcharakters gegen nicht nur Trumps Amerika zum Ausdruck brachte, ließen doch zumindest Skepsis aufkommen.

Gerade diese Abneigung, die dezente Antipathie und der Zynismus spielen sich im weiteren Verlauf des Romans jedoch grandios aus. Roman-Steven zeigt sich auch einmal verlezttzlich, kommt nach und nach von seinem hohen Ross herunter und lässt sich eben doch auf die Dinge ein, die sich ohnehin als unabwendbar herausstellen. Er ergibt sich in das, was das Schicksal für ihn auf dieser Reise bereithält. Selbstmitleid und Zynismus weichen vielleicht nicht komplett, aber wir sehen doch, wie unser Hauptcharakter sich und sein Leben reflektiert – und dennoch vermeintliche Fehler begeht.

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Hier findet echte Charakterentwicklung statt, Steven steigt hinab in den heißen Krater, um die Asche seiner Mutter zu verstreuen (stimmt, mit R. F. Kuangs Katabasis gibt es noch ein drittes Thema, das im lesenden Deutschland gerade stattfindet – selbst das findet sich hier in gewisser Weise wieder) und wird dadurch wider Willen zum (Anti-)Helden nicht nur dieser Geschichte.

Steven Uhly – dieses Mal der echte – hat im Juni zu Protokoll gegeben, dass diese Geschichte (seine Mutter lebt übrigens noch, zumindest Ende Juni) ihm bereits seit Langem unter den Nägeln gebrannt hätte und nun sei die Zeit gekommen, sie niederzuschreiben. In der Tat ist die Geschichte hochaktuell, bindet noch jüngste innenpolitische Entwicklungen nach Trumps erneutem Amtsantritt ein und könnte, nein sollte, eigentlich ein Roman der Stunde sein.

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Wir sehen, wie Trump Institutionen zerstört, wie er die Zentralbank Fed unter seine Kontrolle bringen will und wie sein Land mehr und mehr in eine Autokratie abgleitet. Roman-Steven ficht einen ähnlichen Kampf aus, in seinem Kopf und auch im gar nicht so fernen Duell mit seinem plumpen Stiefbruder Hans. Und genau hier zeigt sich die Parallele auch zu Deutschland. Viel mehr soll an dieser Stelle nicht gesagt werden. Nur: Death Valley ist wohl eine der überraschendsten Lektüren dieses späten Sommers, aber eine absolut lohnenswerte.

HMS

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Steven Uhly: Death Valley (Öffnet in neuem Fenster); August 2025; 280 Seiten; Hardcover, gebunden, ohne Schutzumschlag; ISBN: 978-3-96639-126-9; 22,00 €

Kategorie Belletristik & Literatur

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