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Wenn alle anderen “linksextrem” sind

Hi,

auch wir beschäftigen uns heute mit Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin, Hochschullehrerin, (Stand jetzt noch) designierte Verfassungsrichterin - und seit einigen Tagen Ziel einer massiven rechten Kampagne.

Falls du noch nicht genug davon hast und weil wir in unserer Recherche so viele starke Beiträge dazu gesehen, gelesen und gehört haben, möchten wir dir einige gleich mal ans Herz legen, weil wir darauf entweder nicht oder nur sehr knapp eingehen:

  • Klar, Franzi von Kempis darf nicht fehlen, sie hat sich in ihrer aktuellen Newsletter-Ausgabe (Öffnet in neuem Fenster) ausführlich mit dem AfD-Playbook hinter der Causa Brosius-Gersdorf auseinandergesetzt.

  • Lesenswert sind auch die Ergebnisse (Öffnet in neuem Fenster) von Polisphere, auf die sich ja gerade die meisten beziehen. Darin wird gezeigt, welche Akteure es eigentlich waren, die die Kampagne gegen Brosius-Gersdorf angestoßen und großgemacht haben.

  • Dann noch dieser Text in der Wirtschaftswoche, der das fragwüdige Verhalten der Union aufzeigt, er heißt: Die Jagd auf die Mitte (Öffnet in neuem Fenster). Ein Satz daraus, der das Agieren der Merz-Parteien beschreiben soll: “Dilettantismus plus Chuzpe mal Niedertracht und üble Nachrede.”

  • Und natürlich noch der Übermedien-Podcast (Öffnet in neuem Fenster), in dem diese Woche Ingrid Brodnig zu Gast war und über die Rolle der etablierten Medien gesprochen hat und wie diese die rechtsextreme Kampagne vergrößert haben - hörenswert.

So, wir schauen uns dafür eine rechte Zuschreibung Brosius-Gersdorfs aus dem rechten Eck an, die uns immer und immer wieder begegnet ist.

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Um was gehts?

“Warum dieses Land so vor die Hunde geht? Weil die CDU sich freiwillig in linke Geiselhaft begibt: Sie wählt linksextreme Politiaktivisten mit Juraexamen als Verfassungsrichter, obwohl sie das nicht muss. Impfpflicht-Aktivisten, Abtreibungsfanatiker, Kopftuch-im-öffentlichen-Dienst-Befürworter. Dahin geht die Reise. WEIL DIE CDU DAS MITMACHT.”

Das hat Beatrix von Storch vergangene Woche auf X geschrieben. Sie meint mit “linksextreme Politaktivistin” natürlich: Frauke Brosius-Gersdorf. Die Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht, über die ganz Deutschland spricht, weil sie Ziel einer rechten Kampagne geworden ist.

Auch wenn schon viel geschrieben wurde, wollen auch wir uns heute damit beschäftigen. Genauer: Mit einer Zuschreibung, die uns immer wieder aufgefallen ist und die von Storchs Eingangszitat gut zeigt:

Die rechtsextreme Deutung von Brosius-Gersdorf als “linksextrem”, “knalllinks”, “ultralinks” oder “linksradikal”. All das schallt derzeit aus der rechten Ecke des Internets mit großer Unterstützung bis in die AfD-Führung hinein.

Polarisierung in Freund und Feind

Besonders laut: Beatrix von Storch. Kurzer Hinweis, in diesem Newsletter (Öffnet in neuem Fenster) haben wir von Storchs Biografie ausführlicher beschrieben. Sie jedenfalls nennt Frauke Brosius-Gersdorf seit Tagen konsequent “linksextrem”, “linksradikale Aktivistin” oder fantasiert einen angeblich “nachgewiesenen Linksradikalismus” bei ihr herbei.

Was zunächst auffällt ist die permanente Wiederholung. Diese ist beabsichtigt und will den Wahrheitseffekt (Öffnet in neuem Fenster) auslösen. Der besagt, dass Aussagen, die schon einmal gehört oder gelesen wurden, eher für wahr gehalten werden.

👉 Es geht also im ersten Schritt einmal ganz stumpf darum, die Zuschreibung “linksradikal” zu etablieren und in den Köpfen der Menschen zu verankern.

Das zweite Ziel hinter der Zuschreibung ist die Freund-Feind-Scheidung. Es geht darum, eine Person als Feind zu markieren und sich selbst zu einer Gruppe zu bekennen, die sich diesem entgegenstellt. Das ist typisch für rechte Sprache. Der Soziologe Andreas Kemper nennt solche Zuschreibungen “sprachliche Embleme (Öffnet in neuem Fenster)”, mit denen man seine Gruppenzugehörigkeit und gemeinsame Identität durch die Feindzuschreibung stärkt.

Die eigene radikale Position in die Mitte rücken

Netter Nebeneffekt: Rechte Positionen werden dadurch normalisiert. Zwei zentrale Mechanismen erklären das:

  1. Overton-Window: Es existiert ein gesellschaftlicher Diskursrahmen - also ein Spektrum des Sag- und Denkbaren. Wird eine demokratisch legitimierte Person oder Aussage als “linksradikal” gebrandmarkt, verschiebt sich dieser Rahmen künstlich nach rechts. Dadurch erscheinen zuvor extreme Positionen der AfD plötzlich “moderater” oder “vernünftiger”, weil sie innerhalb des neuen Sagbarkeitsfensters liegen.

  2. False Balance: Zugleich wird eine Scheinsymmetrie erzeugt. Es entsteht der Eindruck, als stünden sich zwei gleich extreme Lager gegenüber - “rechtsradikal” und “linksradikal”. In Wahrheit liegt die AfD-Position oft weiter außerhalb des demokratischen Konsenses als die angegriffene Gegenseite. Doch Beobachter:innen neigen dazu, eine vermeintliche Mitte zwischen beiden Polen zu suchen - wodurch sich der Wahrnehmungs-Schwerpunkt nach rechts verschiebt.

Und so sieht das konkret aus: Indem Beatrix von Storch die Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf als “linksextrem” oder “linksradikal” bezeichnet, wird nicht nur ihre Person politisch markiert, sondern auch ihre juristischen Positionen gedeutet. Die Zuschreibung wirkt wie ein rhetorischer Filter: Was Brosius-Gersdorf verfassungsrechtlich formuliert, erscheint als ideologisch, extrem oder gefährlich.

Ein zentrales Beispiel ist ihre Haltung zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Brosius-Gersdorf setzt sich differenziert mit den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Neuregelung auseinaner. Von Storch behauptet jedoch, sie wolle “straffreie Abtreibung bis zum 9. Monat” oder spreche “einem 9 Monate alten Baby eine Minute vor der Geburt die Menschenwürde ab”.

Das sind krasse Verzerrungen und hat Brosius-Gersdorf nicht gefordert (Öffnet in neuem Fenster). In diesem öffentlichen Statement (Öffnet in neuem Fenster) erklärt sie das. Wer sich umfassender mit Brosius-Gersdorf Positionen auseinandersetzen möchte, findet sie in diesem Gutachten (Öffnet in neuem Fenster) zu Schwangerschaftsabbrüchen (S. 26 ff.).

Aber Fakten spielen in der rechten Kampagne keine Rolle, entscheidend ist die rhetorische Wirkung.

Indem eine verfassungsrechtlich legitimierte, mehrheitsfähige Position als “linksextrem” geframt wird, erscheint die eigene radikale Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen als moderate, “bürgerliche” oder “moralisch vernünftige” Gegenposition. Beatrix von Storch taucht immer wieder bei Pro-Life (Öffnet in neuem Fenster)-Märschen auf oder wird mit Anti-Choice (Öffnet in neuem Fenster)-Bewegung in Verbindung gebracht.

Nur: In Umfragen ist schon lange eine große Mehrheit für die Legalisierung eines Schwangerschaftsabbruchs bis zur 12. Woche (hier sind es 74 Prozent (Öffnet in neuem Fenster)) - also das genaue Gegenteil der AfD-Erzählung.

Politisierung des Verfassungsgerichts

Ein weiterer Grund, warum sich der Angriff auf Brosius-Gersdorf derart zuspitzt, ist ihre mögliche Rolle in einem künftigen AfD-Verbotsverfahren. Sie zählt zu den profiliertesten deutschen Verfassungsjurist:innen (Öffnet in neuem Fenster) - und hat sich also solche im vergangenen Jahr geäußert, dass sie ein Verbot der AfD für möglich hält, “wenn es genügend Material gibt (Öffnet in neuem Fenster)”.

Sollte es zu einem solchen Verfahren kommen, wäre sie am Bundesverfassungsgericht voraussichtlich mit dem Fall betraut - möglicherweise sogar in leitender Funktion.

Die AfD-Strategie ist daher: Wer eine potenzielle Verfassungsrichterin schon im Vorfeld als “linksradikal” markiert, will nicht nur ihre Wahl verhindern, sondern die Legitimität eines möglichen Urteils vorweg beschädigen.

Die AfD stellt nicht nur Brosius-Gersdorf infrage - sie zielt auf das Vertrauen in das Verfassungsgericht selbst. Der Versuch, das Gericht als politisch zu framen, ist ein Angriff auf seine Unabhängigkeit - noch bevor ein Verfahren überhaupt begonnen hat.

Wie weit weg von der Realität das ist, stellte der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle vor rund drei Jahren bei Jung & Naiv klar. Er erklärte (Öffnet in neuem Fenster), dass selbst bei ehemaligen Parteimitgliedern, die Bundesverfassungsrichter:innen werden, die politische Färbung sehr schnell verblasst: “Alle vergessen, wo sie herkommen. Alle müssen die Verfassung auslegen und nicht die politischen Vorlieben. Und das zeigen auch unabhängige Untersuchungen.”

Polarisierung in links und rechts

Die gezielte Diffamierung von Frauke Brosius-Gersdorf als “linksradikal” ist Teil einer größeren Strategie, um die Gesellschaft auseinanderzutreiben: Die AfD will das politische Feld neu sortieren - weg von demokratischer Vielfalt, hin zu einem Kampf zwischen einem angeblich radikalisierten linken Lager und sich selbst als “bürgerlich-konservativer Gegenkraft”.

In diesem Fall geschieht das, indem eine Kandidatin der demokratischen Parteien fürs Bundesverfassungsgericht willkürlich als “linksextrem” geframt wird.

Der Zweck: Wer Brosius-Gersdorf verteidigt, wird mitgebrandmarkt. Wenn progressive Parteien sie unterstützen, sollen auch sie als “linksradikal” erscheinen. Gleichzeitig gerät die Union in ein Dilemma: Entweder sie stimmt mit ab - und steht vermeintlich auf Seiten der “Linksextremen”. Oder sie verweigert die Zustimmung - und rückt näher an die AfD.

Dass die rechtsextreme Partei dieses Ziel verfolgt, hat sie kürzlich in einem Strategiepapier formuliert. Das Papier (Öffnet in neuem Fenster) und eine zugehörige Präsentation hat Politico veröffentlicht. Darin steht:

“Unser Ziel ist eine Situation zu schaffen, in der der politische Graben nicht mehr zwischen der AfD und den anderen politischen Strömungen verläuft, sondern sich ein bürgerlich-konservatives Lager und ein sich radikalisierendes linkes Lager gegenüberstehen, vergleichbar mit der Situation in den USA.”

→ Die AfD will eine neue Lagerstruktur etablieren: Nicht mehr rechtsextrem vs. demokratisch, sondern bürgerlich-konservativ vs. linksradikal.

Sie will sich als Teil eines angeblich gemäßigten, “vernünftigen” Lagers inszenieren - und gleichzeitig Linke, SPD, Grüne als radikalisierten linken Block darstellen.

“Die AfD kann wesentlich dazu beitragen, dass die Auseinandersetzung in Politik und Gesellschaft zu einem ‘Duell’ zwischen den zwei sich unversöhnlich gegenüberstehenden Lagern wird, zugespitzt auf eine Wahl zwischen AfD und Linke.”

Die aktuelle Kampagne gegen Brosius-Gersdorf ist kein Ausrutscher, sondern Teil einer größeren Strategie:

  • Das Parteiensystem spalten.

  • Die CDU/CSU rhetorisch erpressen.

  • Die Brandmauer zur AfD durch gezielte Polarisierung aufweichen.

  • Sich selbst als einzige Alternative zum angeblich “linksradikal” dominierten Mainstream präsentieren.

Auch das zentrale politische Instrument, mit dem die AfD das erreichen will, hat sie in ihre Strategiepapiere geschrieben: den Kulturkampf. Damit will sie “Linke, SPD und Grüne nach links zwingen” und sich selbst “als einzig relevante Gegenkraft” inszenieren.

Beatrix von Storch formuliert das auch ganz offen in einem X-Post, dass die Kampagne Brosius-Gersdorf genau dazu da ist:

Der Kulturkampf hat ein Gesicht bekommen: Brosius-Gersdorf. […] Die SPD will ihre linksradikale Agenda gegen die bürgerlich konservative Mehrheit im Land kompromisslos durchziehen. Wenn die Union das mitmacht, ist sie fertig. Die CDU/CSU steht vor der Wahl: entweder vor den Roten zu kapitulieren – oder die Brandmauer aufzugeben und den Weg für neue bürgerlich-konservative Mehrheiten frei zu machen. Deutschland braucht eine geistig-moralische Wende – und die gibt es nur mit der AfD.”

Der Angriff auf Frauke Brosius-Gersdorf könnte der erste von vielen sein, wie das Strategiepapier der AfD zeigt. Sie will die Gesellschaft in zwei Lager trennen und sich dabei als “bürgerlich” verharmlosen, um so neue Wähler:innen zu gewinnen. Treffen kann es dabei offenbar jede:n, der oder die der AfD nicht genehm ist.

Und so könnten Aussage und Gegenrede zu diesem Thema aussehen:

Aussage:

“Die AfD ist die einzige Partei, die noch für bürgerliche Werte steht. Die anderen sind doch längst alle nach links abgedriftet.”

Gegenrede:

“Das ist genau das, was die AfD will: die Gesellschaft künstlich in zwei Lager aufspalten - angeblich ‘bürgerlich’ gegen ‘linksradikal’. In Wirklichkeit stehen SPD, Grüne, FDP und Union alle auf dem Boden der Demokratie. Nur die AfD versucht, sich mit radikalen Positionen bürgerlich zu tarnen.”

Aussage

“Wenn jetzt schon Verfassungsrichter solche Leute wie Brosius-Gersdorf werden, ist das doch Teil einer linken Agenda.”

Antwort:

“Nein - das ist eine Verschwörungserzählung. Die Besetzung des Verfassungsgerichts folgt klaren Regeln und ist Sache des Bundestags. Was die AfD macht, ist: Richter:innen im Voraus zu diskreditieren, damit sie ein mögliches Urteil - zum Beispiel in einem Verbotsverfahren - später als ‘politisch’ ablehnen kann. Das ist gefährlich und untergräbt die Unabhängigkeit der Justiz.”

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