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Kollektive Selbstermächtigung statt apellatives Scheitern: Warum es eine Kollapsbewegung braucht.

Source: ideogram.ai (Opens in a new window)

03/07/2025


Liebe Leute,

letzten Freitag rief mich eine Freundin aus alten Ende Gelände-Zeiten an, mit der mich eine Mischung aus Zuneigung und tiefem Respekt einerseits, konstantes in-politstrategischen-Fragen-überkreuz-liegen und darüber mit großer Freude streiten andererseits verbindet. Es war kein persönlicher, es war ein Arbeitscall, es ging um die gerade entstehende Kollapsbewegung.

“Lieber Tadzio, ich stimm' Euch in der Analyse im Grunde zu, Klimakatastrophe, Verdrängung, Faschisierung, etc. Aber was ich nicht verstehe, ist, warum ihr diesen extrem schweren Begriff 'Kollaps' verwendet. Der schreckt Leute ab, und führt am Ende zu genau der Lähmung und Hoffnungslosigkeit, die ihr ja vermeiden wollt.”

Sie ist nicht die Erste, die mir, die uns “Kollapsis” (doomers) diese Frage stellt, aber die darauf folgende Diskussion war für mich so erhellend, dass ich mir dachte, ich schreib' einige der Gedanken daraus mal auf.


Warum vom Kollaps reden?

Die Frage ist nicht nur strategisch nachvollziehbar, sie rührt auch an eine Erfahrung, die viele doomers machen: sobald wir “Kollaps” sagen, müssen wir immer (und am besten sehr schnell, bevor die Gesprächspartnerin Zeit hat, sich in Rage zu fühlen) hinzufügen, dass wir mit Kollaps natürlich nicht das Ende aller Dinge meinen, sondern einen strategischen Raum für politisches Handeln (Opens in a new window), yadayadayada... Es stimmt also, dass Kollapskommunikation einen Begriff nutzt, den sie erstmal von seinen existierenden Konnotationen befreien muss. Klar, sowas ist immer Aufwand, sowas kostet Zeit und Ressourcen, ist aber für radikale politische Kommunikation völlig normal: I mean, schaut Euch mal den Titel des Blogs an, den ihr gerade lest – “friedliche Sabotage” ist strukturell der selbe diskursive Move wie “solidarischer Kollaps”.

Ok, also das mit dem Abschrecken schreckt mich nicht ab: radikale politische Kommunikation wird von den im Feld Moderateren immer als abschreckend und ausgrenzend wahrgenommen, aber nicht, weil das tatsächlich ein Problem der Kommunikation ist, sondern eher, weil sie sich davon abgeschreckt und ausgegrenzt fühlen. Und in der entstehenden Kollapsbewegung ist den meisten völlig klar, dass wir zuerst einmal ein minoritäres politisches Projekt bleiben werden, die Mehrheit der Gesellschaft fröhnt wie ihr wisst lieber der Verdrängung und/oder der Arschlochisierung. Letzteres ist übrigens keine These, sondern eine jeden Tag besser belegte Tatsache.

Praxis jenseits des Appellativen

Und das bringt mich zum zentralen Punkt, den ich heute machen will: soweit ich die Kollapsbewegung verstehe, geht es vielen von uns nicht mehr darum, mit einer Gesellschaft ein Gespräch zu führen (über Klimaschutz, über Menschenrechte, über “Entwicklungshilfe”, you name it) das materiell nichts oder fast nichts ändert, das immer in Verdrängungsschleifen hängenbleibt, und am Ende zum bloßen Taubenschach (Opens in a new window) wird. Wir sind kein appellatives Diskursprojekt, dass durch coole Aktionen und slicke Kampagnen Mehrheitsmeinungen in der Gesellschaft verschieben will. Und obwohl es in der Kollapsbewegung natürlich eine Vielzahl von Positionen dazu gibt, ob es überhaupt noch Sinn macht, appellative, auf Mehrheiten ausgerichtete Politik zu betreiben (meine kompromisslose “no fucking way!”-Position wird auch von vielen meiner engeren Kollapsgenoss*innen kritisch gesehen), so haben wir doch folgendes gemeinsam: uns geht es darum, Menschen tatsächlich, in der Praxis dazu zu befähigen, in den kommenden Katastrophen solidarisch zu handeln (durch das Erlernen von Fähigkeiten, aber vor allem durch den Aufbau von Beziehungen).

Und wenn unser Ziel ist, Menschen dazu in die Lage zu versetzen, sich solidarisch auf Katastrophen vorzubereiten, dann müssen wir zuerst verstehen, wieso das heute nicht passiert. Pace meine gute Freundin werde ich jetzt mal die Annahme, die Gesellschaft bereite sich nicht auf die Katastrophe vor, weil zu viel über die Katastrophe gesprochen würde, rechts liegen lassen, und mich mit realen Barrieren beschäftigen.

Also: warum bereiten wir uns nicht auf die kommenden Katastrophen vor, obwohl wir immer mehr darüber reden? Erstens, weil wir die kommenden Katastrophen emotional noch nicht akzeptieren können, und wir nicht sehen können, was wir nicht sehen wollen. Genau um diese Auseinandersetzung voranzutreiben, setzen wir auf den aufrüttelnden Kollapsbegriff: “Die Einführung des Kollapsbegriffs machte das relative Scheitern der Klimabewegungen aus den Bewegungen heraus offensiv zum Thema und regte Konflikte innerhalb der Bewegungen an (Opens in a new window).”

Zweitens, weil es bisher noch als total uncool, bordering on slightly loony angesehen wird, sich auf Katastrophen vorzubereiten: gerade weil das verdrängte Wissen, dass wir uns nur unzureichend oder halt nicht auf die kommenden Katastrophen vorbereitet haben, dazu führt, dass wir Menschen, die sich vorbereiten, dafür shamen (indem sie zum Beispiel in die Nähe rechter Faschoprepper gestellt werden), ist es wichtig, diese Praxis sozusagen “aus dem Schrank” zu holen, ein bisschen cool zu machen. Nicht, weil wir glauben, dass sich dann Alle vorbereiten, sondern, weil wir wissen, dass es so für die leichter wird, die sich vorbereiten wollen.

Drittens, weil es bisher noch wie etwas sehr vereinzeltes erscheint, einerseits wegen der Dominanz des individualistischen Preppingdiskurses, andererseits wegen der Abwesenheit attraktiver solidarischer Strukturen, die die Einstiegsbarrieren in Katastrophenvorbereitung reduzieren. Und solche Strukturen wollen wir aufbauen, das ist der Kern des SoliPrepping (Opens in a new window).

So wird auch das Kollapscamp verständlich: inspiriert davon, wie Ende Gelände und die Hambi-Besetzer*innen zivilen Ungehorsam fürs Klima cool gemacht haben, gegen die und trotz der gesellschaftlichen Verdrängung, sind wir gerade dabei, solidarische Katastrophenvorbereitung zu etwas zu machen, dass im Gegensatz zu all dem anderen abgestandenen und mittlerweile im besten Fall ineffektiven Klimakram ein bisschen cool ist, das sofort Handlungsfähigkeit vermittelt, das sich gut anfühlt. Darum geht es der Kollapsbewegung: nicht um Appelle an das gute Gewissen einer Gesellschaft, die sich entschieden zu hat, ihren worse angels zu folgen, sondern um konkrete Praxis, die zu Selbstwirksamkeitserfahrungen führt.

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Warum nicht vom Kollaps reden?

Nochmal: es geht der Kollapsbewegung darum, Menschen tatsächlich, in der Praxis dazu zu befähigen, in den kommenden Katastrophen solidarisch zu handeln. Das heißt dann auch, weniger Angst vor den Katastrophen zu haben, weil die sich vorbereitete Person durch die Vorbereitung jetzt schon weiß, dass sie in der Katastrophe nicht ausgeliefert, handlungsunfähig sein wird. Und wir können uns ja wohl darauf einigen, dass eine Gesellschaft, die sich weniger fürchtet, weniger irrational und scheiße ist.

Das stellt wiederum die Frage nach den eher moderaten, in unserem Verständnis die Radikalität des Kollaps (ökologisch wie gesellschaftlich) herunterspielenden Diskursen, die wir aus dem verbleibenden Klimafeld hören: wer nicht klar und deutlich kommuniziert, und in den Fokus nimmt, dass Katastrophenvorbereitung ABSOLUT notwendig ist, weil die Katastrophen mit ABSOLUTER Sicherheit kommen werden, ist ein enabler der Verdrängungsgesellschaft, denn so wird die Katastrophe zu einem möglichen Outcome unter vielen degradiert, was es dem verdrängenden Subjekt viel leichter macht, sie komplett zu ignorieren. Wenn dann die Katastrophe kommt, und niemand vorbereitet ist, wird der Raum durch Angst und rechte Katastrophenpolitik besetzt werden, was wiederum dem Faschismus Vorschub leistet.

Deshalb braucht es eine radikal ehrliche Kollapsbewegung: weil wir nur, wenn wir uns vorbereitet haben, in der Katastrophe solidarisch und rational handeln können, und die Kollapsbewegung wird dazu beitragen, diese Vorbereitung zu ermöglichen, diese Strukturen aufzubauen. Und wer sich davon abgeschreckt fühlt, tut dies nicht wegen der Radikalität unserer Diskurse, sondern wegen der eigenen mangelnden Auseinandersetzung mit eben dieser Tatsache: der absoluten Sicherheit einer Vielzahl gesellschaftlicher und ökologischer Katastrophen, die sich irgendwann zu einer globalen Dauerkatastrophe verdichten wird. Und in dieser immer noch solidarisch handlungsfähig zu sein: das ist das Bewegungswunder, das wir auf mittlere Sicht anstreben.

Zum Abschluss und zur Illustration dann noch ein erschreckender und gleichzeitig wunderschöner Absatz aus einem Artikel über Trumps USA mit dem schönen Namen “Antifaschistische Tugenden: Warum wir mehr Alltagsmut brauchen (Opens in a new window)”: “In Zukunft werden wir alle immer mehr darauf angewiesen sein, dass es in jeder Stadt und in jedem Dorf Infrastrukturen der Fürsorge gibt: Räume, in denen man übernachten kann, in denen es etwas zu essen gibt, in denen man über Traumata und Trauer reden kann, in denen gute Musik läuft, in denen Verbindungen hergestellt werden. Zusätzlich zur Frage 'Was traue ich mich?' kann sich jede*r von uns auch fragen: Um wen oder was kann ich mich kümmern, hier und heute?”

Mit kollapsbewegten Grüßen,

Euer Tadzio

Topic Klimakampf 2.0

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