Die abtrünnige Ostdeutsche
PORTRAIT / KATHERINA REICHE BEIM ANTRITTSBESUCH IN DER LAUSITZ
Von der ersten ostdeutschen Wirtschaftsministerin hatte sich der Osten mehr Östlichkeit erwartet. Dann das: Südbonus, Rente mit 70 und Tegernsee-Connection. Wird es wieder gut zwischen Katherina Reiche und der Lausitz?
von Christine Keilholz
August 2025

Proteste gab es schon, bevor Katherina Reiche (CDU) in Schwarze Pumpe (Opens in a new window) eintraf. Die Leag und ihre Beschäftigen mobilisierten die Konzernmacht, um die Bundeswirtschaftsministerin zu empfangen. Das klang ähnlich wie zuvor, als es gegen den Grünen Robert Habeck ging. Oder wie zu Zeiten der Kohleausstiegsverhandlungen gegen Merkel-Minister. Diesmal galt dieses Zeichen der Geschlossenheit und Kampfeslust einer Ministerin, bei der noch keiner recht weiß, wohin sie will.
An diesem Montag stattete Reiche der Lausitz ihren Antrittsbesuch ab. In den vier Monaten nach ihrer Ernennung war schon oft öffentlich gefragt worden, wo sie denn bleibe. Zumal aus der Ferne Irritierendes von ihr zu hören war. In Bayern sicherte Reiche Markus Söder (CSU) eine Vorrangstellung Bayerns beim Ausbau der Gaskraftwerke zu. Erläutert hat sie diese Idee bisher nicht, obwohl auch Lausitzer Christdemokraten Erklärungen einforderten. Dass seither über einen neuen Südbonus spekuliert wird, scheint die Ministerin nicht zu stören. Ausdrücklich widersprochen hat sie nicht.
Von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ließ sie sich nun durch das Kraftwerk Schwarze Pumpe führen - das rauchende Zentrum einer Energieszene, die sich düpiert fühlt. Gewerkschafter warnen vor einem neuen Ost-West-Konflikt. Und der SPD-Mann Dirk Panter ließ Reiche von Dresden ausrichten: „Die Region braucht jetzt eine verlässliche Bundespolitik, die strukturschwache Räume stärkt.“ Panter ist seit neun Monaten Wirtschaftsminister von Sachsen, fand aber noch keine Zeit für einen Besuch in der Lausitz.
Investitionsbooster statt Ideologie
Reiche hat empfindliche Gefühle enttäuscht. Von der Nachfolgerin Habecks hatte man sich nicht nur mehr Pragmatismus und Ideologieferne in Energiefragen erhofft. Sondern von der ersten ostdeutschen Frau in diesem Amt eben auch mehr Östlichkeit. Da trifft die Sache mit dem Südbonus besonders schmerzlich. Gerade jetzt: Reiche tritt ins Amt in einer Zeit, da Ostdeutschland davor ist abzuheben. Das Wachstumspotenzial ist sichtbar, das Aufholen zu den Altbundesländern ist der Konkurrenz gewichen. Deshalb war Söder die ministerielle Beglaubigung des Energiestandorts Bayern ja so wichtig.
Katherina Reiche wirkt in dieser Konfliktlage wie eine abtrünnige Ostdeutsche. Die Brandenburgerin, deren Loyalität Bayern gilt, wo sie mit dem CSU-Mann Karl-Theodor zu Guttenberg zusammenlebt. Und wo sie zur sogenannten Tegernsee-Connection gezählt wird, einer hochkarätigen Lodenjanker-Clique aus bekannten Namen, die zusammen feiern und um Posten würfeln. Jedenfalls erzählt man sich das so unter Leuten, die nicht dazugehören.
Was das Post-Ideologische angeht, hat Reiche geliefert. Ihre angekündigten Investitionsanreize, die Stromsteuer-Senkung und der Investitionsbooster könnten gerade in strukturschwachen Regionen entscheidend wirken. Wasserstoff soll künftig nicht mehr grün sein, sondern blau - also in Kombination mit Kohlendioxid-Speicherung hergestellt werden. Das teilen die Parteifreunde aus der Lausitz grundsätzlich. Sofern die Himmelsrichtung stimmt. „Es ist auch meine Erwartung, dass sie sich zu Ostdeutschland bekennt“, sagte der Bundestagsabgeordnete Knut Abraham zu Neue Lausitz. „Bisher habe ich von ihr dazu wenig Dezidiertes gehört.“
Die Crux mit der Kehrtwende
Reiche ist ein brandenburgisches Polit-Gewächs, wie es die hiesige Christdemokratie selten hervorbringt. Mit 25 zog sie 1998 in den Bundestag ein. Zu einer Zeit, als junge ostdeutschen Frauen, die es dorthin geschafft hatten, mehr nach Blusen und Frisuren gefragt wurden als nach Positionen. Der studierten Chemikerin gelang es, sich im Partei-Establishment zu behaupten. Sie wurde Fraktionsvize und parlamentarische Staatssekretärin in zwei Ministerien.
Mit Anfang 40 verabschiedete sie sich aus dem Parlament und wurde Managerin in der Energiewirtschaft. Das Unternehmen Westenergie ist neuerdings außerhalb von Branchenkreisen bekannt, weil Reiche dort Vorstandsvorsitzende war, als sie im Mai der Ruf ins Kabinett Merz erreichte. Erfahrung in Energie und Wirtschaft brachte sie mit - das perfekte Portfolio für den maximalen Kontrast zum Philosophen Habeck. Reiche verbindet technisches Know‑how und politische Erfahrung. Auch wenn sie damit noch nicht glänzen konnte. Ihre erste große Rede im Mai beim Wirtschaftsforum in Bad Saarow klang wie ein Schlagwortsalat aus der kalten Küche: Versorgungssicherheit, Technologieoffenheit, Ideologiefreiheit mit reichlich Beilage.
Doch sie hat eben auch hohe Erwartungen zu bedienen. Unternehmer von der CDU-Basis wollen den radikalen Neustart. Die Leag und ihre Belegschaft hingegen wollen im Prinzip, das alles so bleibt, wie es Habeck versprochen hat: Die grüne Wende als Wirtschaftswunder, das ihnen gut bezahlte Jobs sichert. Dafür hat der Konzern bereits Millionen für Windparks und Batterieprojekte investiert - flankiert von Millionen an Steuergeld. Entsprechen laut sind hier die Forderungen, dass es nicht zu dem Kurswechsel kommt, den die Ministerin eigentlich vertreten muss.