Skip to main content

EINBAHNSTRAßE

FILM-KRITIK

Sommer, Schwimmbad, Regenfall – gleich zu Beginn der Verfilmung von Caroline Wahls Bestseller 22 Bahnen wird klar: Das werden unbequeme rund 90 Minuten. Wir begegnen Tilda (Luna Wedler), die jeden Tag im Freibad ihre 22 Bahnen schwimmt. Ihre Me-Time, die einzige, die sie wirklich am Tag hat, denn für etwa Mitte 20 muss sie bereits Erstaunliches leisten.

Ihre Mutter Andrea (Laura Tonke) hat, wie Tilda ihr gegen Ende des Films wunderbar zuschleudert, „nie Kinder großgezogen, nur geboren“. Und da sie nach ihrem Germanistikstudium nie wirklich die Karriere machen konnte, die sie wollte, legt sie nun eine auf hochprozentigen Flüssigkeiten basierende Karriere als Rabenmutter hin. Tilda ist somit diejenige, die die Erziehung und Versorgung der zehnjährigen Schwester Ida (Zoë Baier) übernommen hat und nebenher noch Geld an der Supermarktkasse verdient sowie ihre Masterarbeit in Mathematik schreibt.

Da passieren mehr oder weniger zwei Dinge, die ihr Leben fundamental verändern: Ihr Professor fordert sie höflich, aber mit Nachdruck, auf, sich auf eine Promotionsstelle im fernen Berlin zu bewerben. Außerdem steht eines Tages Viktor (Jannis Niewöhner) am Beckenrand, der Bruder ihres früheren Kumpels Ivan (Kosmas Schmidt), der vor einiger Zeit mit dem Rest seiner Familie bei einem Autounfall ums Leben kam. Wie sich nach und nach herausstellt, arbeitet auch dieser Verlust noch in Tilda, aber nicht nur um des Verlusts willen, sondern auch aus einem anderen Grund, wie sich nach und nach zeigt.

© Constantin Film Distribution / Gordon Timpen

Gleich vorweg: Auf Basis der Verkaufszahlen des Debütromans von Wahl (das wir nicht gelesen haben) und dem Anklang, den dieses somit fand, ist davon auszugehen, dass auch die Verfilmung von Mia Maariel Meyer (Regie) und Elena Hell (Drehbuch; kennt ihr vielleicht als Autorin der RTL-Sisi-Serie) die Kinos im Spätsommer füllen wird. Mit der Story sind auch tatsächlich viele gesellschaftliche Probleme angesprochen und gerade der Druck, unter dem die Generation der Mittzwanziger leidet, wird in der Geschichte sehr plastisch dargestellt.

Emotional und empathisch gehen die Macher*innen an die Geschichte heran und liefern uns eine zwar etwas düstere, aber eben auch nicht aussichtslose Grundstimmung. Im Gegenteil, es gibt immer Hoffnungsschimmer und die werden auch glaubhaft übermittelt. Von der Einfühlsamkeit und den Empfindungen her ist die Verfilmung von 22 Bahnen tatsächlich ein mitreißendes Gesamtwerk.

© Constantin Film Distribution / Gordon Timpen

Allerdings gibt es eben auch Schattenseiten. Bereits früh ist klar, wohin sich die Geschichte entwickeln wird, welche dramatischen Elemente noch folgen dürften und wo sich Konfliktlinien auftun. Überraschungen sind in 22 Bahnen leider absolut nicht vorhanden, was ein wenig schade ist. Dazu kommt, dass viele der Figuren doch etwas holzschnittartig geformt sind oder irgendwie implantiert wirken. Letzteres gilt vor allem für Tildas betagte Schwimmbadbekanntschaft, die wohl mit ihrer Lebenserfahrung punkten und gleichzeitig ein wenig Leichtigkeit in die Geschichte bringen soll.

Jannis Niewöhner wird in seiner Rolle komplett zum Nebendarsteller degradiert, was er zwar auch ist, aber seinen Handlungsstrang doch arg abwertet. Einzig Laura Tonke als alkoholabhängige Mutter spielt ihre fast schon abstruse Rolle mit einer solchen Authentizität, dass mensch mit Prosecco hierauf anstoßen möchte.

https://www.youtube.com/watch?v=vkj0AFB9WXM (Opens in a new window)

Wer das Buch mochte, wird bestimmt auch die Verfilmung von 22 Bahnen – warum die 22 so magisch ist, wird anfangs übrigens kurz eingeleitet, aber nie so recht aufgelöst – feiern. Es gibt vermutlich auch schlechtere Unterhaltung für den kommenden Herbst, aber der Hype um das bei Dumont 2023 erschienene Buch erklärt sich uns aus dem Film leider noch immer nicht.

HMS

PS: Apropos Dumont: Diese Neuerscheinung ist ein Must-Read des Jahres (Opens in a new window)! Wirklich. Zwar nicht für den Deutschen Buchpreis 2025 nominiert (Opens in a new window), aber das heißt ja erstmal eh nichts.

IN EIGENER SACHE: Da unser reguläres Online-Magazin noch immer nicht wieder am Start ist, veröffentlichen wir vorerst hier. Mehr dazu lest ihr in unserem Instagram-Post (Opens in a new window) oder auf Facebook (Opens in a new window). Außerdem freuen wir uns immer, wenn ihr uns einen Kaffee spendieren wollt (Opens in a new window) oder uns direkt via PayPal (Mail: info_at_thelittlequeerreview.de) unterstützen mögt.

22 Bahnen ist ab dem 4. September 2025 im Kino zu sehen; Laufzeit ca. 102 Minuten; FSK: 12

Topic Film & Serie

0 comments

Would you like to be the first to write a comment?
Become a member of the little queer review and start the conversation.
Become a member