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Der Ostsee und seine natürlichen Grenzen

ANALYSE / REKULTIVIERUNG IN DER NIEDERLAUSITZ
  1. April 2024

Cottbus feiert den 5. Geburtstag seines Vorzeigeprojekts. Doch die Zweifel an der gigantischen Flutung sind nicht verschwunden. Im Gegenteil.

von Christine Keilholz

Voll wird der Ostsee wohl werden. Die Frage ist, ob er auch voll bleibt. Foto: Stadt Cottbus
Voll wird der Ostsee wohl werden. Die Frage ist, ob er auch voll bleibt. Foto: Stadt Cottbus

Am Anfang war ein Fehlstart. Allerlei Prominenz (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)war dabei, als der Schieber am Einlaufwerk des Cottbuser Ostsees sich im April 2019 erstmals öffnete. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) drehte persönlich den Hahn auf, der den Tagebau Cottbus Nord fluten sollte. Eine Landtagswahl stand bevor. Der Kohleausstieg war soeben verkündet, mitsamt den 40 Milliarden Euro für den Strukturwandel. Der sollte schnell ein Hoffnung machendes Symbol bekommen: Fließendes Wasser in das tristeste aller Tagebau-Restlöcher.

In jenen Tagen zog eine neue Stimmung in der Lausitz ein. Es war eine Mischung aus top down verordnetem Zweckoptimismus und dem Gefühl, nun eine Menge Geld für Großes zur Verfügung zu haben. Großes wollen die Leute jetzt sehen, das war die einhellige Meinung in den Ministerien. Am besten gleich das größte künstliche Binnengewässer Deutschlands, das noch dazu Ostsee heißt. Doch einen Faktor hatten die See-Planer nicht einberechnet. Und der rächte sich prompt: Zwei Wochen später musste der Hahn wieder zugedreht werden. Es war zu wenig Wasser da.

An diesem Freitag wird der Ostsee fünf Jahre alt. Eine kleine Geburtstagsfeier hat die Stadt Cottbus organisiert. Oberbürgermeister Tobias Schick (SPD) wird diesmal am Einlaufbauwerk in Lakoma stehen, zusammen mit Geotechnikern des Bergbau-Betreibers Leag. Der Ostsee ist ein Gemeinschaftswerk von Kommune und Konzern, dem das Gelände gehört. Zu feiern gibt es tatsächlich etwas: Der Ostsee hat sein Jahresanfang eine geschlossene Wasserfläche.

Praktisches Mehrzweckgewässer

Der Ostsee ist ein Symbol für die großen Ambitionen der Lausitz. Und für ihre natürlichen Grenzen. Der Wassermangel war vor fünf Jahren noch ein Thema für Umweltaktivisten und Wandel-Skeptiker. Heute ist er eins der größte Probleme für die wirtschaftliche Entwicklung der Lausitz - gleich nach dem Fachkräftemangel. Das belegen mehrere Studien. Das steht in mehreren Evaluierungsberichten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), wie dem des Bundeswirtschaftsministeriums. Kein Industriegebiet hat Chancen auf Investoren, wenn die Verfügbarkeit von Wasser nicht zugesichert werden kann. Die wirtschaftliche Notwendigkeit zwingt die Lausitz, sich mit dem Wasser in seiner Endlichkeit auseinanderzusetzen.

So gesehen, ist der Cottbuser Ostsee der letzte große Akt der sündhaften Verschwendung. Eine Fläche von 1.900 Hektar soll er haben, wenn er fertig ist. Seit Beginn der Flutung sind 142 Millionen Kubikmeter Spreewasser in das Loch geflossen. „Bis die Lausitzerinnen und Lausitzer im Cottbuser Ostsee baden gehen können, werden noch Jahre vergehen“, sagt Benjamin Raschke, Grünen-Fraktionschef im Landtag Brandenburg. „Wenn es in den nächsten Jahren nicht extrem feucht wird, gehen wir davon aus, dass die vollständige Flutung im Jahr 2025 nicht abgeschlossen sein wird.

Vom Wasser hängt vieles ab für die Lausitz - und für Cottbus noch mehr. Ein ganzer Stadtteil soll am Wasser entstehen. Die Stadt wirbt bereits (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) mit dem Naherholungswert um Zuzügler. Mit dem See in der Nähe können bisher vernachlässigte Stadtgebiete zu bevorzugten Wohngegenden werden. Naherholung und Tourismus sollte der See bieten.

Doch durch den Wassermangel rücken Nutzungen in den Vordergrund, die weniger romantisch sind. Die Lausitz braucht dringend Wasserspeicher. Und der bestmögliche ist der Ostsee - das wurde im Februar bei einer Expertenanhörung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)im Bundestag deutlich. Der See kann zu einem Speicher für 27 Millionen Kubikmeter ausgebaut werden. Ob es dazu kommt, wird derzeit länderübergreifend geprüft. Wenn ja, dürfte das den Badespaß merklich eintrüben.

Immer wieder rutscht das Ufer

Der Ostsee ist auch der letzte Akt sozialistischer Planwirtschaft in großem Stil. Schon in den 1980er Jahren reiften die Pläne, einen See aus dem Tagebau zu machen, nachdem er mit 220.000 Zügen voll Kohle alles gegeben hatte, was man von ihm wollte. Der Masterplan Cottbuser Ostsee (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) entstand schon 2006, der Tagebau lief noch bis 2015.

Die Flutung war die einzig ernsthaft verfolgte Nachnutzung - war sie doch die billigste Lösung für alle Beteiligten. Damals war an Wassermangel nicht zu denken. Außerdem sollte Wasser für den Gegendruck auf die Böschungen sorgen. Fällt der weg, dann rutscht die Architektur der Folgelandschaften.

Das ist wohl auch die Ursache dafür, dass es am Ostsee immer wieder zu Rutschungen kommt. „Am Cottbuser Ostsee sieht man, dass man eine Flutung nicht am Reißbrett planen kann, wie die immer wieder auftretenden Rutschungen zeigen“, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Bernhard Herrmann. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Nach bisherigen Plänen sollen in Welzow und Nochten noch größere Wasserflächen entstehen. Dabei zeigen uns nicht nur Klimamodelle, dass uns immer heißere Temperaturen und weniger Niederschläge in den Sommermonaten erwarten.

Der Ostsee, meinen Kritiker seit Jahren, wäre besser kleiner geworden. Das hätte weniger Wasser gekostet. Es würde weniger Fläche entstehen, auf denen das Wasser großzügig verdunstet. Voll wird der See wohl werden - aber die Frage sei nun, ob er dauerhaft voll bleibt, sagt René Schuster. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Der Chef der Grünen Liga Cottbus ist einer der lautesten Ostsee-Kritiker. „Das Wichtigste ist jetzt, dass man die Fehler bei den noch laufenden Tagebauen nicht wiederholt“, sagt Schuster. „Also keine unnötig großen Seeflächen schafft.“ Theoretisch könnte man auch den Cottbuser See noch verkleinern, meint er. „Aber das wäre ein exorbitanter Aufwand. Und da müssten alle umdenken.“ 


Sujet Energie und Klima