Von Salons und glücklich machenden Hunden
Von Hasnain Kazim - Seenotrettung / Salonfestival / Maxim Biller / Bürohund / Sprache in Wien / Islamische Woche / Ach, “AfD”!
Liebe Leserin, lieber Leser,
kürzlich meldete sich ein Bekannter aus Pakistan. Er ist arm, hat vier Kinder, ist Analphabet, hat kaum Schulbildung, ist aber ein arbeitswilliger, fleißiger Typ, arbeitet in unterschiedlichen Jobs: Putzkraft, Haushälter, Wachmann, Koch. Aber das Leben ist schwer, das Einkommen reicht kaum zum Leben. Er fragte, für mich aus heiterem Himmel, ob ich ihm raten würde, sich auf dem Landweg auf zu machen nach Europa und dann mit dem Boot über die Ägäis oder übers Mittelmeer.
“Um Gottes willen, nein!”, sagte ich ihm. Nicht, weil ich ihm kein Leben in Europa gönne. Sondern weil der Weg viel zu gefährlich ist. Weil völlig unsicher ist, ob er es schafft. Ob ihm nicht das Geld ausgeht unterwegs, abgenommen von mafiösen Schleppern. Aufgegriffen von Polizisten in einem der Länder unterwegs. Oder eben: die lebensgefährliche Fahrt übers Meer.
Ich kann seinen Wunsch nach Migration - erst er alleine, dann, später, auch der Familie - nachvollziehen. Und doch ist er nicht politisch oder aus anderen Gründen verfolgt. Er lebt einfach nur in einem Land, das, man muss es so deutlich sagen, ihm keinerlei Perspektive bietet, das sich so gut wie gar nicht um seine Bevölkerung schert, das fast nichts in Bildung investiert, das keinerlei soziales Netz hat, in dem Politiker eigentlich permanent damit beschäftigt sind, sich selbst die Taschen vollzustopfen und die ihrer Unterstützer.
Um aber in einem anderen Land, zum Beispiel in Europa, Fuß zu fassen, müsste er entweder Geld haben oder etwas können, was gefragt ist, sprich: eine Ausbildung haben, besondere Fertigkeiten und Kenntnisse. Das ist bei ihm nicht der Fall. Er wäre das, was manche hierzulande despektierlich “Wirtschaftsflüchtling” nennen.
Ich kann absolut nachvollziehen, dass Menschen aus wirtschaftlichen Gründen in ein anderes Land ziehen (so wie in vergangenen Zeiten zum Beispiel viele Europäer, auch Deutsche, nach Amerika). Dass Menschen woanders ihr Glück suchen. Ich kann aber auch verstehen, dass dies nicht auf dem Asylweg geschehen kann.
Diese Woche hat die Bundesregierung zivilen Seenotrettungsorganisationen, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten, die Mittel gestrichen. (Opens in a new window) Ich lese und höre dazu empörte Stimmungen ebenso wie jubelnde. Beides halte ich für verfehlt.
Zu behaupten, der Deutschland sei “jeder Tote im Mittelmeer recht” und “Außenminister Wadephul will lieber Menschen ertrinken sehen als ihnen bei uns Schutz zu bieten!” und “Klingbeil ist ein Mann ohne Gewissen!”, halte ich für bösartig. “Niemand, der sich freiwillig in diese Gefahr begibt, sollte gerettet werden! Jeder Ersoffene ist selbst schuld!”, ist ebenso infam.
Klar muss doch sein: Jeder, wirklich jeder, der in Seenot ist, muss gerettet werden. Wir lassen keine Menschen ertrinken! Es geht um Menschen, meine Güte! Aber ebenso klar muss sein: Auf diesem Weg kommt man nicht nach Europa, und selbstverständlich retten wir jeden - aber bringen ihn dann zurück. Denn was sehr wohl stimmt: Letztlich betreibt die - gut gemeinte - Seenotrettung das Geschäft der Schlepper. Die bieten für horrendes Geld Überfahrten nach Europa an, verfrachten die Menschen auf völlig seeuntaugliche Boote und überlassen sie nach ein paar Seemeilen ihrem Schicksal - die Europäer werden sie schon retten und holen.
Ich habe im Laufe meines Lebens mit sehr vielen Menschen auf der Flucht gesprochen. Die Angst vor dem Ertrinken, vor dem Tod, hält niemanden davon ab, trotzdem ins Boot zu steigen. Und weniger, weil die Not in der alten Heimat so groß, die Verzweiflung so überbordend ist, sondern mehr, weil Menschen sich einreden: ‘Mir wird schon nichts passieren!’ So wie Menschen eben sind. Die Möglichkeit der eigenen Erkrankung, die Chance des eigenen Unfalls bei gefährlichen Aktivitäten, der eigene Tod wird verdrängt.
Und auch die vielen Studien, von denen ich immer wieder höre, es gebe keinen “Pulleffekt”, keine Sogwirkung nach Europa durch die hiesige Politik, kann ich nicht bestätigen. Man wird mir nun wieder “anekdotische Evidenz” vorhalten, aber Tatsache ist, dass ich von Hunderten Menschen - Menschen, die selbst auf der Flucht sind, Marineleuten und Grenzschützern und Küstenwachen unterschiedlicher Länder, Politikern aus den betroffenen Staaten - genau das Gegenteil höre und sehe.
Das Einzige, das dazu beitragen würde, dass Menschen sich nicht mehr auf den gefährlichen Weg durchs Meer machen, wäre, wenn sie wüssten: Dieser Weg führt nicht zum Ziel. Du wirst gerettet, aber zurückgebracht. Auch das wird nicht alle Menschen davon abhalten, es doch zu versuchen, solange es keine anderen, legalen, geregelten Wege gibt. Aber es ist, befürchte ich, ein richtiger Schritt.
Ich hätte mir gewünscht: Die Mittel für die Seenotrettung werden nicht gestrichen, Menschen werden gerettet. Und wo dann über ein Asylverfahren entschieden wird, ob in Europa oder außerhalb, darüber kann man politisch unterschiedlicher Auffassung sein. Nach Ansicht der Bundesregierung außerhalb, okay.
Ich bin jedenfalls froh, dass der Bekannte aus Pakistan sich nicht auf den Weg machen wird. Jedenfalls nicht auf diesen Weg. Und das sage ich als jemand, der ihm das Beste wünscht.
Wohnzimmergespräche
Diese Woche war ich in Nordrhein-Westfalen zu Lesungen unterwegs: Düsseldorf, Meerbusch, Köln. In Düsseldorf war es in den Räumen eines Kulturvereins, an den anderen beiden Orten in den Wohnzimmern von Privatpersonen.

Das Konzept heißt Salonfestival (Opens in a new window), Schriftsteller und Autoren lesen meist in Privaträumen, anschließend gibt es mit dem Publikum von 20, 30, 40 Personen einen Austausch. Ich mag diese Lesungen in diesen kleinen Runden. In Zeiten der “sozialen” Medien debattieren wir ständig und viel, aber wo findet noch echtes Gespräch statt?
Natürlich, es müssen sich Menschen finden, die ihre privaten Räume öffnen. Es kommen fremde Leute dorthin. Als Gastgeber gibt man etwas von sich preis. Aber diese Abende bieten Debatte, mitunter auch Streit im vertraulichen Raum, von Respekt getragen und in gutem Ton. Das ist wunderbar. Wir brauchen viel mehr davon.
“Depubliziert”
Die “Zeit” hat diese Woche einen Text des Schriftstellers Maxim Biller veröffentlicht: “Morbus Israel”. Ein Text mit der Unterzeile: “Warum regen sich die Deutschen immer so über die Juden des Nahen Ostens auf?”
Ich will hier kein Wort über den Text verlieren. Nicht darüber, wie gut oder wie schlecht er ist, ob er böse, zynisch oder menschenverachtend ist oder treffend, hervorragend oder genial. Fakt ist: Er steht, gedruckt, in der “Zeit”. Und er ist, natürlich, von der Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt. Unabhängig von der Beurteilung bin ich überzeugt: Unsere Gesellschaft hält auch scharfe, polemische, überspitzte Texte aus.
“Zeit Online” hingegen hat ihn von der Seite gelöscht. Die Redaktion nennt es: “depubliziert”. Der entsprechende Link führt nun zu einem “Hinweis, 26.06.2025: Der an dieser Stelle erschienene Beitrag enthielt mehrere Formulierungen, die nicht den Standards der ZEIT entsprechen. Unsere aufwändige redaktionelle Qualitätssicherung hat leider nicht gegriffen. Wir haben den Text deshalb nachträglich depubliziert.”
Mich nervt das ungemein. Kommt jetzt auch jemand vorbei und reißt, zumindest bei den Abonennten, denn deren Adresse haben sie ja, die jeweilige Seite aus der Zeitung? Was genau soll das werden?
Für Texte, die zensiert, verboten, gelöscht werden, interessiere ich mich immer. Ja, manches stellt sich dann im Nachhinein als qualitativ schlecht heraus. Trotzdem rate ich immer dazu, wenn irgendwelche Rechtsextremen und Supergläubigen in Amerika Bücher aus Schulbibliotheken verbannen wollen, sie unbedingt zu prüfen und dazu zumindest anzulesen. Wenn irgendwelche Linken meinen, man müsse Astrid Lindgren oder Otfried Preußler oder Michael Ende oder Karl May aus den Bücherregalen nehmen, möchte ich sie erst recht Kindern zum Lesen geben (und den Inhalt dann mit ihnen diskutieren). In Pakistan, wo Bücher von Salman Rushdie verboten sind, habe ich sämtliche Rushdie-Romane von meinem subversiven Buchhändler gekauft, denn natürlich konnte er sie mir trotzdem besorgen, und jede gute Buchhandlung sollte subversiv sein.
Der Text von Biller ist natürlich auch noch im Netz zu finden. Man kann ihn gut finden oder schlecht. Man soll darüber streiten, unterschiedlicher Meinung sein, man kann ihn feiern oder auch einfach ignorieren. Nur eines sollte man nicht: ihn “depublizieren”. Schon allein wegen dieses Wortes.
Hund und Geld
An dieser Stelle schrieb ich kürzlich über eine Studie, die belegt, dass ein Hund (na gut, eine Katze auch) glücklich macht und dass dieser Zuwachs an Glück angeblich monetär messbar sei, nämlich einen Wert von etwa 80.000 Euro im Jahr ausmache.
Diese Woche lese ich nun eine Meldung vom “Bundesverband Bürohund e. V. (den gibt es tatsächlich, und mein Hund Frau Dr. Bohne erwägt eine Mitgliedschaft, aber nur, wenn sie sofort Präsidentin wird), wonach “88 Prozent der Mitarbeiter sich über einen wohlerzohnenen Bürohund in ihrem Arbeitsumfeld freuen”, heißt es da. “48 Prozent würden dafür sogar auf eine Gehaltserhöhung verzichten.”
Dafür fordert nun Frau Dr. Bohne eine Leckerlierhöhung von mir.
So sagt man’s in Wien
In den öffentlichen Verkehrsmitteln in Wien sagt man nicht: “Bitte festhalten”. Man sagt: “Bitte sich festzuhalten”. Das mag für manche ein belangloser Unterschied sein, für mich ist es der Unterschied zwischen normaler und feiner Sprache. Ich lieb’s!
Frau Dr. Bohne hingegen liebt “Beißkorb und Leine” gar nicht! (Frau Dr. Bohne sagt als Ur-Wienerin natürlich auch “Beißkorb”, nicht “Maulkorb”, Letzteres, sagt sie, sei “Piefkenesisch”.)
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Islamwoche
Es ist mir ein Rätsel, warum eine Universität - die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel - im Mai eine “Islamische Woche” zugelassen hat, bei der bei Vorträgen Geschlechtertrennung galt, bei der antisemitische Botschaften verbreitet wurden und bei der extremistische, salafistische Typen auftreten durften. So etwas zu tun, ist kein Zeichen von Toleranz, sondern ein Zeichen ausgeprägter Blödheit.
Nachdem ich das andernorts kritisiert hatte, schrieben mir einige, die Universität habe nichts von den Inhalten gewusst, weder von den salafistischen Rednern noch von den antisemitischen Ideologien noch von der Geschlechtertrennung. Außerdem habe die islamische Hochschülerschaft um Entschuldigung gebeten und deren Führung habe ihren Rücktritt angekündigt.
Wenn die Universität nichts davon wusste, frage ich mich: Warum wusste sie nichts davon? Und wenn sie davon wusste: Warum ließ sie so etwas zu?
Prinzipiell habe ich ja nichts gegen solch eine Veranstaltung, wenn es um Dialog, Austausch, Information geht. So wie es natürlich auch eine Katholikenwoche, eine Buddhistenwoche et cetera geben darf. Wobei ich mich schon frage, was Religion an einer Universität verloren hat, aber gut, Hochschulen sind Orte der Debatte, und warum sollte man nicht Religion debattieren?
Aber genau das sollte man: kritisch debattieren. Streiten. Auch über Mohammedkarikaturen. Und “Blasphemie”vorwürfe. Aber nicht missionieren, Ideologien verbreiten, gar Geschlechtertrennung betreiben.
Wenn diese Kritik jetzt dazu führt, dass so etwas für lange Zeit nicht mehr vorkommt und die Verantwortlichen sensibilisiert sind, ist immerhin etwas erreicht.
“AfD” und Neutralität
Anfang des Jahres war ich zu Besuch in meinem Heimatdorf Hollern-Twielenfleth. Das war vor der Bundestagswahl. Der Samtgemeindebürgermeister Timo Gerke machte da bei einem Videoprojekt mit, in dem verschiedene Bewohner des Ortes ein Schild hochhalten: “Kein Ort für Rassismus”. Timo Gerke fragte mich, immerhin ehemaliger Bewohner, ob ich mitmache - und ich sagte zu. Natürlich kann man über die Sinnhaftigkeit solcher Aktionen unterschiedlicher Meinung sein. Ich finde, hin und wieder ist es wichtig, auch mit solchen Aussagen Position zu beziehen (und sie dann natürlich auch durch entsprechendes Handeln zu untermauern).
Das Video entstand und wurde im Netz verbreitet. Prompt beschwerte sich die “AfD” beim Landkreis Stade. Dabei spielte die “AfD” in dem Video überhaupt keine Rolle, wurde nicht einmal genannt, es gab nicht einmal irgendwelche Anspielungen. Nur den Satz: “Kein Ort für Rassismus”. Trotzdem schrieb ein “AfD”-Typ an die Kommunalaufsicht, die Aktion stelle eine “gezielte rechtswidrige Wahlbeeinflussung und Neutralitätspflichtverletzung unmittelbar vor der Bundestagswahl dar, die ggf. auch zu einer Anfechtung der Wahl führen könnte”.
Und weiter heißt es: “Da in der Samtgemeinde Lühe keinerlei rassistischen Vorkommnisse bekannt sind, ist die Aktion offensichtlich (…) als Diffamierung gegen eine demokratisch legitimierte Partei und die größte Oppositionspartei im Bundestag, die ALTERNATIVE für DEUTSCHLAND (AfD) gerichtet.”
Bemerkenswert: Wir sagen: “Kein Ort für Rassismus” - und die “AfD” fühlt sich angesprochen.
Das Ganze zog natürlich einen unsinnigen Arbeitsaufwand nach sich: Gerke musste eine Stellungnahme schreiben, die Sache musste in der Verwaltung bearbeitet werden, und am Ende: Natürlich keinerlei Rechts- oder Neutralitätspflichtverletzung. Wir sagen etwas allgemein gegen Rassismus und für die Werte des Grundgesetzes.
Natürlich ging es der “AfD” darum, unnütze Arbeit zu machen, die Verwaltung zu beschäftigen und letztlich: Leute einzuschüchtern.
Ich bin froh, dass Timo Gerke sich nicht einschüchtern lässt.
Notiz an mich selbst: Diese Geschichte aufbewahren, wenn man einmal jemandem den Spruch “Getroffene Hunde bellen” erklären möchte.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag und eine angenehme Woche! Wenn Ihnen die “Erbaulichen Unterredungen” gefallen und Sie möchten, dass sie weiterhin wöchentlich erscheinen, unterstützen Sie mich bitte mit einer Mitgliedschaft. Abonnieren können Sie sie natürlich auch ohne finanzielle Unterstützung.
Herzliche Grüße aus Wien,
Ihr Hasnain Kazim