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„Wir müssen Lehrkräfte stärker in die Pflicht nehmen“

INTERVIEW / KULTUSMINISTER CLEMENS ÜBER SCHULE IN SACHSEN

  1. April 2025

Conrad Clemens (CDU) will die Bildungsgerechtigkeit in Sachsen wiederherstellen. Doch der Oberlausitzer startet als Kultusminister unter schwierigen Bedingungen: Wegen Lehrermangel fällt jede zehnte Schulstunde in seiner Heimat aus.

Conrad Clemens ist seit Ende letzten Jahres Sachsens Bildungsminister. Sein Maßnahmenpaket gegen Unterrichtsausfall empört Gewerkschaften und Lehrerverbände. Foto: Frank Grätz
Conrad Clemens ist seit Ende letzten Jahres Sachsens Bildungsminister. Sein Maßnahmenpaket gegen Unterrichtsausfall empört Gewerkschaften und Lehrerverbände. Foto: Frank Grätz

Frage: Herr Clemens, wie viel Dankbarkeit haben Sie empfunden, als Sie Kultusminister wurden?

Eine sehr große. Bei Bildung geht es um die Zukunft. Man könnte statt Kultusministerium auch Zukunftsministerium sagen.

Herr Clemens! Auch wenn sie im Grundsatz Recht haben: Der Lehrermangel erweist sich als Krebsgeschwür des Bildungssystems. Da ist wenig Zukunft zu sehen.

Ja, der Unterrichtsausfall ist ein gewaltiges Problem. Daher habe ich auch sehr schnell ein Paket mit 21 Maßnahmen gegen den Lehrermangel vorgestellt.

Und genau dafür ernten Sie gerade reichlich Kritik. Vor allem Lehrerverbände und Gewerkschaften protestieren seit Wochen gegen ihr Maßnahmenbündel. Schaffen Sie das trotzdem?

Wir sprechen mit allen Beteiligten – jetzt bereits in einer dritten Gesprächsrunde. Ich bin sicher, dass wir zu einer guten Lösung kommen.

Sie sind also bereit nachzubessern?

Nichts ist in Stein gemeißelt. Unser gemeinsames Ziel heißt: mehr Unterricht, weniger Ausfall.

Im Moment führen Sie eine Studie zur Arbeitsbelastung von Lehrkräften durch. Warum erst der Instrumentenkasten und dann die gemeinsame Wissensgrundlage? Hätten Sie nicht besser die Ergebnisse der Studie abgewartet?

Die Ergebnisse der Arbeitszeitstudie kommen im Herbst. Deswegen warten wir mit der Entscheidung, ob und wenn ja, wie wir Arbeitszeitkonten einführen auf jeden Fall bis dahin. Das ist auch im Vorfeld immer so kommuniziert worden.

Aber warum brechen Sie einen Großteil ihres Aktionsplan übers Knie?

Wir können nicht noch ein Schuljahr verlieren! Die Zeit drängt, weil derzeit zu viel Unterricht ausfällt. Das ist ungerecht gegenüber allen Kindern und Jugendlichen, die das betrifft. Hinzu kommt: Wir haben eine besondere demografische Lage – gerade bei uns in der Lausitz. An den Schulen haben wir zu wenig Lehrer und in den Kitas zu wenig Kinder. Das heißt, wir werden an Grundschulen sehr bald nicht mehr über Lehrermangel sprechen. Deshalb haben wir Maßnahmen vorgeschlagen, die schnell wirken und steuerbar sind.

Unterrichtsausfall und Lehrermangel sind ernste Probleme, die Sie von Ihren Vorgängern geerbt haben. Was hätten Sie sich von Ihrem Parteifreund Christian Piwarz gewünscht?

In der Amtszeit von Christian Piwarz wurde viel getan für die Attraktivität des Lehrerberufs: die Verbeamtung, die bessere Bezahlung für Lehrkräfte an Grund- und Oberschulen und die Einführung von Assistenzkräften. Damit haben wir das Ziel erreicht, mehr Bewerberinnen und Bewerber nach Sachsen zu holen. Zum Februar-Termin haben wir fast 1.000 Lehrer einstellen können.

Dennoch können Sie die Löcher damit nicht stopfen.

Leider. Trotz der großen Anstrengungen sehen wir: es reicht nicht. Deswegen müssen wir jetzt die Lehrkräfte stärker in die Pflicht nehmen.

Wie konnte Sachsen, ein Land mit Spitzenbildung und viel Stolz darauf, überhaupt in eine solche Lage kommen?

Die Situation wiederholt sich ja gerade: Wir erleben erneut einen Geburteneinbruch. Und natürlich ist die erste Reaktion dann zu sparen. Nach dem Motto: Es sind weniger Kinder da, also müssen wir Kitas schließen. Die Frage ist immer, wie man auf eine demografische Entwicklung reagiert. Es gehört sehr viel Mut und auch sehr viel Geld dazu, zu sagen: Wir bilden weiter aus und stellen trotzdem ein, obwohl es weniger Geburten gibt.

Hat Ihren Vorgängern der Mut gefehlt, das nötige Geld für Bildung trotzdem auszugeben?

Naja, Sie müssen das Geld auch haben. Ich kann auch die Kommunen verstehen, die besonders in Ostsachsen unter finanziellem Druck stehen. Da kann es sein, dass der Kitabetreiber sagt: Ich habe gar nicht die Möglichkeiten, dieses Geld vorzuhalten.

Der Lehrermangel in den Schulen aber ist hausgemacht. Der ist entstanden, weil ihre Vorgänger einfach konsequent zu wenig junge Lehrer eingestellt haben.

Uns fehlen bestimmte Jahrgänge, das muss man so klar sagen. Es mangelt vor allem an Lehrkräften im Alter zwischen 40 und 50 Jahren, die man damals nicht eingestellt hat.

Um diesen Lehrermangel aufzufangen, soll nun vermehrt das „digitale Selbstlernen” stattfinden. Was genau ist das?

Das digitale Selbstlernen soll dann zum Einsatz kommen, wenn eine Lehrkraft erkrankt ist oder aus anderen Gründen kurzfristig ausfällt. Zunächst in den Klassenstufen 7 und 8 soll jede Lehrkraft pro Jahr mehrere Unterrichtseinheiten vorbereiten, die sich die Schülerinnen und Schüler in ihren Klassen dann im Krankheitsfall selbst erarbeiten können.

Also ganz ohne Lehrer? Nur für sich vor dem Bildschirm?

Nein, so ist es nicht. Betreuung findet statt, aber es braucht dann eben keinen speziellen Fachlehrer.

Kann denn jeder Lehrer und jede Lehrerin in Sachsen eine digitale Schulstunde vorbereiten?

Es kommt darauf an, von welchen digitalen Anwendungen wir sprechen. Wenn die Tools gut und intuitiv sind, dann hat eine Lehrkraft Lust, das zu nutzen. Und dann haben auch die Schülerinnen und Schüler Lust, damit zu arbeiten. Das Ziel muss sein, dass die Digitalisierung das System Schule entlastet. Aktuell habe ich noch zu oft den Eindruck, dass jede neue Anwendung zu mehr Belastung führt.

Ihr CDU-Kollege Armin Schwarz aus Hessen will Handys an Grundschulen ganz, an weiterführenden Schulen weitestgehend verbieten. Schließen Sie solche Verbote in Sachsen aus?

Ich kann die Argumente für ein Handyverbot gerade im Grundschulbereich gut nachvollziehen. Ich finde aber unsere Regelung in Sachsen gut, dass jede Schule nach Hausordnung selbst entscheiden kann. Wir werden das Thema in der Bildungsministerkonferenz weiter im Blick behalten.

Das heißt ein BMK-Beschluss zu Handyverboten an Schulen wird nicht an Sachsen scheitern?

Ich sehe jedenfalls auch die Gefahren, die in dieser Technik und den Algorithmen liegen. Selbst Erwachsene haben Schwierigkeiten, diesen süchtigmachenden Geräten zu widerstehen. Ich persönlich finde, Handys und Smartphones haben an der Grundschule nichts zu suchen. Wenn wir von älteren Schülern und Schülerinnen sprechen, muss es aber um Medienbildung und Medienpädagogik gehen, nicht um Verbote.

Aber Sachsen hat doch überhaupt kein Fach Medienbildung?

Es ist kein eigenes Fach, richtig. Wir haben aber gute medienpädagogische Initiativen und Konzepte, die immer wichtiger werden.

Zuletzt: wann ist Chancengleichheit in Sachsen wieder Realität?

Ein wesentlicher Faktor ist die Unterrichtsversorgung. Schüler müssen in jeder Schulart ausreichenden Unterricht bekommen. Die Entscheidung, ob man nach der 4. Klasse Gymnasium oder Oberschule wählt, darf nicht zur Entscheidung 100 oder 80 Prozent Unterrichtsabdeckung werden.

Conrad Clemens, Jahrgang 1984, stammt aus Schönebeck (Elbe) und ist seit Dezember 2024 Sächsischer Kultusminister. Zuvor leitete der CDU-Politiker für einige Monate die Staatskanzlei, nach dem er fünf Jahre Bevollmächtigter desFreistaates Sachsen beim Bund war. Clemens studierte Internationale Betriebswirtschaftslehre in Frankfurt/Oder, Maastricht und Vancouver, bevor er 2011 an der FU Berlin promovierte. Conrad Clemens Familie stammt aus der Oberlausitz und er ist Mitglied der Herrnhuter Brüdergemeine. Mit Conrad Clemens sprach Robert Saar.

Argomento Wissenschaft und Bildung