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FASAN, ÖFFENTLICH GERÖSTET

LITERATUR-KRITIK

Nun hat sie es doch getan: Frauke Brosius-Gersdorf hat ihre Bereitschaft zurückgezogen, Richterin am Bundesverfassungsgericht zu werden. Dem war eine etwa einmonatige Exposition in der Öffentlichkeit vorausgegangen. Das politisch interessierte Deutschland verfolgte aufmerksam bis argwöhnisch, wie hier eine Frau öffentlich dämonisiert und demontiert wurde, weil sie zuvor ihren Job gemacht hatte.

Das könnte nun ein langer Kommentar darüber werden, was in diesem Land falsch läuft, wenn es um den öffentlichen Diskurs, die Meinungsbildung oder sonst etwas geht. Das wird es aber nicht, denn davon gab und gibt es in den vergangenen Wochen und vermutlich auch nun nach dem Rückzug der Potsdamer Juristin genug. Nein, dieser Text handelt von zwei anderen Frauen mit Potsdam-Bezug, die eine real, die andere von dieser realen Frau erdacht.

Hella Karl ist die fiktive Frau, Antje Rávik Strubel quasi ihre Schöpferin. Karl ist die Protagonistin in dem neuen Roman der Buchpreisträgerin von 2021. Der Einfluss der Fasane ist erneut bei S. Fischer erschienen, aber bereits lange vor dem Trubel um Brosius-Gersdorf. Und doch weist die Geschichte so manche Parallele zu der Chose um die Juristin auf.

Hella Karl nämlich hat ihren Job gemacht: Als Cheffeuilletonistin einer renommierten Berliner Zeitung zeichnet sie in der Geschichte für die Schlagzeile „Intendant zwingt Schauspielerin zur Abtreibung“ verantwortlich. Besagter Intendant hat anschließend – offenbar freiwillig – seinen Posten geräumt (vermutlich, um das Theater nicht zu beschädigen) und hat sich nun in Australien das Leben genommen.

Hella Karl wird jetzt öffentlich die Verantwortung hierfür zugeschoben und es beginnt eine wahre Hexenjagd. In einem missglückten Interview befeuert sie diese leider selbst, aber dennoch war sie nicht unausweichlich. Hella versucht daraufhin ihr altes Leben wiederzubekommen, kämpft um ihre Karriere, um ihr Renommee und um ihre Beziehung, die unabhängig von alldem gerade über die Spree, äh Wupper geht...

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Ja, auch in Der Einfluss der Fasane manifestiert sich die latente Misogynie, die nicht nur der fiktiven Gesellschaft in dieser Geschichte inhärent ist. Wäre es ein Günter Wallraff gewesen, der die Geschichte um den Intendanten aufgedeckt hätte, es wäre wohl ein Triumph gewesen. Aber es war eine Frau, noch dazu eine aus eher niederen Verhältnissen, die sich ihr Leben und ihre Karriere erarbeiten musste – und nun aus der oberen Klasse verstoßen wird.

Und auch wenn es immer Fragen gibt, wenn jemand sich das Leben nimmt: Bei den allermeisten Menschen handelt es sich um mündige Personen. Ja, es gibt häufig Gründe im persönlichen Umfeld, die zu diesem Schritt geführt haben, aber am Ende handelt es sich bei Erwachsenen um selbstbestimmte Menschen, die eine Wahl haben – und sich aus welchen Gründen auch immer zumeist aus freiem Willen dafür entscheiden, aus dem Leben zu scheiden. Anderen dafür die Schuld zu geben, ist wohlfeil und entmündigt die verstorbene Person posthum.

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Wir bekommen Einblick in das Seelenleben von Hella, einer gefallenen Frau. Es ist erstaunlich, welche Parallelen sich in dieser Gedankenwelt zum Fall Brosius-Gersdorf ergeben. Niemand nämlich sprang zuerst dem unter Beschuss stehenden Intendanten zur Seite, niemand der Frau, die den Skandal aufdeckte. Aber bei der Jagd machten sie alle fleißig mit. Darin können sich in der Analogie auf Brosius-Gersdorf alle Koalitionsparteien wiederfinden, denn die Dynamiken, die Antje Rávik Strubel im Roman so plakativ beschreibt, könnten nicht weniger prophetisch sein.

Nur der Sicherheit halber sei daran erinnert, dass Der Einfluss der Fasane bereits im März 2025, also weit vor dem Beginn des Dramas um Frauke Brosius-Gersdorf, in die Regale der deutschen Buchläden kam. Wer gerne eine kluge Geschichte über den Umgang unserer Gesellschaft mit (in der Kritik stehenden) Frauen lesen möchte, ist bei diesem Buch an genau der richtigen Stelle. Und es ist kein Spoiler zu sagen: Oft genug ist dieser Umgang vollkommen voreilig und vor allem ungerechtfertigt. In der schnelllebigen Mediendemokratie ist er aber leider zu häufig der Regelfall.

HMS

PS: Am 19. August 2025 werden die Nominierten für den Deutschen Buchpreis 2025 bekanntgegeben. zwinkerzwinkerblinker

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Eine Leseprobe findet ihr hier (Si apre in una nuova finestra).

Antje Rávik Strubel: Der Einfluss der Fasane (Si apre in una nuova finestra); März 2025; 240 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-10-397171-2; S. Fischer; 24,00 €

Das Hörbuch ist als ungekürzte Autorinnenlesung im Argon Verlag erschienen; Laufzeit 6 Stunden 34 Minuten; Download - Streaming, UVP 19,95 € (Si apre in una nuova finestra)

Argomento Belletristik & Literatur

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