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„DIE EIGENE ÜBERFLÜSSIGWERDUNG“

LITERATUR-KRITIK

Alles ist ersetzlich, nur die Wurst hat zwei. Nee, warte, irgendwas geht hier durcheinander... Stimmt, manchmal malt mensch sich alles so schön aus, aber dann geht etwas schief oder es kommt etwas anderes dazwischen. So geht es Carla Mittmann, die eigentlich als Philosophin an der Universität an ihrer Promotion arbeitete, dann aber über einen Skandal stolpert, der eigentlich der ihres Chefs ist. Boom, Karriere in der Wissenschaft geplatzt, unehrenhaft aus dem Institut entfernt.

So fristet sie in Katja Kullmanns neuem Roman Stars nun bereits seit Jahren ihr tristes Dasein in der Buchhaltung einer Möbelfirma – in Teilzeit. Klingt deprimierend, ist es auch, nur ist Carla das lange nicht so recht klar. Sie steckt halt in ihrem Trott. Verdient sich als „Cosmic Charly“ nebenher ein paar Kröten (Öffnet in neuem Fenster), indem sie Fremden per Mail ihre Sterne liest.

Nee, so richtig geil klingt das nicht. Ihr Erwachen hat Carla eines Tages, als ein Stein eines ihrer Fenster küsst und eine Kiste mit zehntausend Dollar vor der Tür steht. Absender: unbekannt (Öffnet in neuem Fenster). Dieser Tag jedoch verändert ihr Leben, denn sie wird sich der Abstrusität bewusst, die sie bisher ihr „Leben“ nannte. Zack, Job gekündigt, Charly wird in den Ruhestand geschickt und voilá, da ist die „studierte Astrophilosophin mit internationalem Renommee (Lyon, Antwerpen)“, die von nun an ihr Leben wieder in die Hand nimmt.

https://steady.page/de/thelittlequeerreview/posts/ebe7430f-301a-4bbb-b855-212f62eaad51 (Öffnet in neuem Fenster)

Wir begleiten Carla auf diesem Weg der Selbstermächtigung, denn Katja Kullmann zeigt uns in diesem bei Hanser Berlin (Öffnet in neuem Fenster) erschienenen Roman, wie viel Sicherheit ein kleines finanzielles Polster geben kann (Öffnet in neuem Fenster). Carla und ihr Leben waren für den Lauf der Welt bis dahin schier überflüssig, aber die Gewissheit, ein Polster für Notfälle zu haben, ermöglichten ihr – gepaart mit dem Schock der zerschlagenen Scheibe – den Ausbruch aus dem bisherigen tristen Alltag.

Wir erleben die Geschichte einer Selbstermächtigung, fühlen sogar so etwas wie Freude, dass Carla sich der Tristesse entziehen kann. Und leider, leider wirkt sie trotzdem wie das unsympathische Abziehbild einer Heldin, die zwar mit Rückschlägen hadert, aber auf einmal doch irgendwie alles richtig macht (Öffnet in neuem Fenster). Scheinbar steht ihr Sein unter einem guten Stern, vor allem in der zweiten Hälfte von Leben und Buch.

https://steady.page/de/thelittlequeerreview/posts/5560863a-45c0-45e1-9336-181707a759e4 (Öffnet in neuem Fenster)

Es mag daran liegen, dass ich selbst auf Astrologie – so philosophisch sie auch untermauert sein mag – herzlich wenig gebe, aber die Geschichte um Carla lässt mich am Ende doch kälter zurück als auf der Oberfläche des Pluto – egal in welchem Haus er heute steht. Ich erkenne die Bemühung, uns hier die Geschichte einer Frau zu erzählen, die sich gegen alle durch Passivität selbst auferlegten Widerstände die Deutungs- und Entscheidungshoheit über ihr Leben zurückholt.

Und ja, auch das Vorhandensein eines finanziellen Polsters lässt vermutlich jede*n besser schlafen. Das erst erlaubt es manchen, ins Risiko zu gehen und aus der Mühle namens Alltagsleben auszubrechen. Nur ist das vielen Menschen leider nicht vergönnt und genau diese strukturellen Missstände spricht Katja Kullmann in Stars implizit an. Darauf hinzuweisen ist wichtig und das ist wohl der größte Mehrwert dieses Buchs. Aber das allein wird das System nicht ändern. (Wobei das wohl kaum der Anspruch der Autorin respektive des Romans sein dürfte.)

HMS

PS: Das hübsche Cover ist übrigens KI-generiert, wie es Hanser Berlin im Impressum transparent macht.

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Eine Leseprobe findet ihr hier (Öffnet in neuem Fenster).

Katja Kullmann: Stars (Öffnet in neuem Fenster); April 2025; 256 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-446-28246-9; Hanser Berlin; 24,00 €

Kategorie Belletristik & Literatur

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