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TROUBLE IN THE BUBBLE

SACHBUCH-KRITIK

„Neuland“ – Angela Merkel zog viel Spott und Häme auf sich, als sie 2013 vom Internet als „Neuland“ sprach (Si apre in una nuova finestra). Wir schienen damals alle so tech-savvy und haben die Kanzlerin überwiegend ausgelacht. Zwölf Jahre später trollen uns russische Hacker, verbreiten rechte (und linke) Aktivisten ihre polemischen Botschaften und treiben so die gesellschaftliche Spaltung voran. KI vernichtet Arbeitsplätze und wir ergehen uns in der Debatte, ob es legitim ist, Buchcover und Übersetzungen mittels solcher Anwendungen erstellen zu lassen.

Die Digitalisierung hat unser Leben verändert, ohne Frage. Und vieles davon geht zu unserem Vorteil – uns hier gäbe es ansonsten nicht in dieser Form und ihr müsstet unsere Ergüsse in anderer Form ertragen. Aber neben den bereits genannten Punkten gibt es noch weitere kritische Aspekte der Digitalisierung und um die kümmern sich der Journalist Ingo Dachwitz und Sven Hilbig, Referent bei Brot für die Welt.

Sie haben im März 2025 das Buch Digitaler Kolonialismus – Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen bei C.H. Beck veröffentlicht. Das Buch war im Frühjahr für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert und steht nun in der Kategorie ZÜNDSTOFF auf der Liste bei der Wahl zum Wissensbuch des Jahres.

https://steady.page/de/thelittlequeerreview/posts/9a0bd8ca-b8d0-4df5-8e23-14c40e0b45e8 (Si apre in una nuova finestra)

Dachwitz und Hilbig nehmen die Perspektiven ein, vor denen wir uns häufig scheuen. In großen Fabriken in Afrika trainieren Menschen Künstliche Intelligenzen, müssen Daten und Videos sichten, die oft verstörend sind und zu psychischen Traumata führen können. Die großen Tech-Firmen machen dagegen Reibach – während genannte Personen keine psychologische Hilfe bekommen, schaffen die Googles, Metas, Amazons etc. dieser Welt datengetriebene Geschäftsmodelle, die wir allzu gern – und oft kostenlos (bzw. mit unseren Daten als Währung) nutzen.

Die Natur und ihre Rohstoffe werden ausgebeutet, die Umwelt verschmutzt, Gesellschaften durch Zensur in sozialen Netzwerken unterdrückt. Infrastrukturen wie Unterseekabel und Satelliten schaffen auch physische Abhängigkeiten ohne Mitspracherechte des Globalen Südens. Und die großen politischen Mächte – die USA, China und Europa – nutzen dies für sich oder müssen ihre Rolle in der Gemengelage teils noch finden. Und doch entstehen durch die Digitalisierung neue Abhängigkeiten, ja neokoloniale Muster, die Dachwitz und Hilbig hier behandeln.

https://steady.page/de/018e38c0-7a57-4e1c-b5b8-4c831b91d2f7/posts/a8cfd9a5-0692-4f6a-a6b3-e8b396efd436 (Si apre in una nuova finestra)

Das ist sehr umfangreich und informativ. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf die hässlichen Auswüchse des digitalen Kapitalismus – und wie gesagt, wir alle, als Nutzer*innen digitaler Anwendungen, tragen durch unsere Nutzung dieser Dienste unseren Teil dazu bei. Die Autoren legen den Finger in die Wunde, sprechen mit Menschen von Kenia bis Paraguay und stellen vor allem die unternehmerischen Akte und Motive ins Zentrum ihrer Argumentation – zumindest zu Beginn.

Denn während die sozialen Missstände in vielen Ländern des Globalen Südens, die diese Machenschaften auslösen, noch sehr schön und detailliert dargestellt sind – sehr häufig finden sich hier Quellen der Institutionen, bei denen die beiden angestellt sind –, ist dies im zweiten Teil nicht mehr so tiefgehend und informativ.

https://steady.page/de/thelittlequeerreview/posts/8cca632a-c901-4815-a7b3-f9aaf4cb189f (Si apre in una nuova finestra)

Das Kapitel zu Rohstoffen und Umweltschäden beispielsweise kratzt nur an der Oberfläche und hier gibt es aus den letzten Jahren – und übrigens auch auf den vergangenen Listen des Wissensbuchpreises – eine Reihe von Publikationen, die sich dem Problem in weit größerer Detailschärfe nähern.

Ähnliches gilt für die Themen Repression/Zensur, Infrastruktur und die Großmachtpolitik. Soweit nachvollziehbar versammeln sie zwar keine Fehlinformationen, gehen aber auch nicht so sehr in die Tiefe, wie eben zu Beginn des Buches. Das mag auch daran liegen, dass gerade die Geopolitik zwischen den USA, Europa und China ganze Bibliotheken füllt. Aber der Mehrwert in den ersten Kapiteln ist deutlich höher als in den späteren.

https://steady.page/de/018e38c0-7a57-4e1c-b5b8-4c831b91d2f7/posts/e17a26e4-7852-4eeb-b003-7095567cdca2 (Si apre in una nuova finestra)

Dennoch legt Digitaler Kolonialismus von Ingo Dachwitz und Sven Hilbig den Finger in die Wunde und weist uns auf die Aspekte unseres täglichen digitalen – und auch analogen – Konsums hin, die uns oft verborgen bleiben, auch weil wir sie nicht gerne sehen wollen. Wir sollten uns immer wieder vor Augen führen, dass jede (!) unserer Konsumentscheidungen Konsequenzen hat, selbst wenn es ein Katzenvideo ist – denn auch das muss von pornografischen und gewaltverherrlichenden Inhalten unterschieden werden (können). In diesem Sinne sollten wir uns alle immer wieder in unserem Verhalten reflektieren und die Lektüre dieses Buchs lädt auf jeden Fall dazu ein.

HMS

Die Auszeichnung für die Wissensbücher des Jahres wird seit 1993 vom Magazin Bild der Wissenschaft verliehen. 2025 sind 59 Bücher in sechs Kategorien nominiert. Bis zum 14. August 2025 könnt ihr an der Publikumswahl teilnehmen (Si apre in una nuova finestra). Das Ergebnis dieser sowie die von der 11-köpfigen Jury ausgewählten Titel werden am 21.11.2025 im Dezember-Heft von Bild der Wissenschaft und auf wissenschaft.de (Si apre in una nuova finestra) bekannt gegeben.

IN EIGENER SACHE: Da unser reguläres Online-Magazin noch immer nicht wieder am Start ist, veröffentlichen wir vorerst hier. Mehr dazu lest ihr in unserem Instagram-Post (Si apre in una nuova finestra) oder auf Facebook (Si apre in una nuova finestra). Außerdem freuen wir uns immer, wenn ihr uns einen Kaffee spendieren wollt (Si apre in una nuova finestra) oder uns direkt via PayPal (Mail: info_at_thelittlequeerreview.de) untersützten mögt.

Eine Leseprobe findet ihr hier (Si apre in una nuova finestra).

Ingo Dachwitz, Sven Helbig: Digitaler Kolonialismus – Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen (Si apre in una nuova finestra); März 2025; 351 Seiten mit 8 Karten und 1 Abb.; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-406-82302-2; C.H. Beck Verlag; 28,00 €

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Argomento Sachbuch

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